Internationaler Vorstoß gegen Antibiotika-Resistenz: Die G20-Erklärung der Gesundheitsminister im Infektiologen-Urteil

Susanne Rytina

Interessenkonflikte

31. Mai 2017

Berlin – Antibiotika-Resistenzen gehören zu den größten Bedrohungen für die Gesundheit der Bevölkerung. Sie verlängern Krankenhausaufenthalte und erhöhen die Sterblichkeit. Sie können Familien zerstören, den Handel zum Erliegen und ganze Gesellschaften ins Wanken bringen, warnte Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe auf dem ersten G20-Gesundheitsminister-Treffen [1]. Die Präsidentschaft des diesjährigen G20-Gipfels hatte Deutschland inne.

Hermann Gröhe

Da solche Gefahren nicht vor nationalen Grenzen haltmachen, wird sich künftig die Gruppe der 20 wichtigsten Industrie- und Schwellenländer nicht nur mit wirtschaftlichen Fragen, sondern auch mit dem Thema globale Gesundheit befassen, wie die Gesundheitsminister in einer gemeinsamen Erklärung betonen. In Berlin trafen sie sich erstmals, um künftig besser koordiniert und abgestimmt zusammenzuarbeiten. Vor allem auch Deutschland macht sich für eine bessere finanzielle Ausstattung der WHO stark, die künftig nach dem Willen der Länder eine stärkere Führungsrolle übernehmen soll.

Allgemeine Verschreibungspflicht als richtiger Schritt

Wie beurteilen deutsche Infektiologen diesen internationalen Vorstoß in Sachen Gesundheit? „Grundsätzlich halte ich das für eine gute Initiative, auch wenn es sich um eine Mischung aus Maßnahmenkatalog und Absichtserklärung handelt. Es ist ein gutes Zeichen, dass sich führende Industrienationen zusammentun, das Problem als solches zu erkennen und versprechen, dieses anzugehen“, sagt Prof. Dr. Hajo Grundmann, Leiter der Krankenhaushygiene am Universitätsklinikum Freiburg.

 
Grundsätzlich halte ich das für eine gute Initiative, auch wenn es sich um eine Mischung aus Maßnahmenkatalog und Absichtserklärung handelt. Prof. Dr. Hajo Grundmann
 

Die Erklärung, sich für eine allgemeine Verschreibungspflicht von Antibiotika einsetzen zu wollen, gehe in die richtige Richtung und sei ein Schritt vorwärts, sagte er. Vor allem in Europas Süden würden noch viel zu häufig Antibiotika „over the counter“ vertrieben, bzw. es gebe dort eine „sehr elastische Auslegung der Rezeptpflicht“. Weniger Probleme mit Antibiotika-Resistenzen haben dagegen nördliche Länder wie die skandinavischen.

Finanzielle Probleme der WHO

Die finanzielle Stärkung der WHO hält Grundmann für sehr wichtig. Er selbst war beratend für die WHO tätig und hat beobachtet, wie in den letzten 10 Jahren deren Gelder gekürzt wurden, nicht zuletzt aufgrund des finanziellen Rückzugs wichtiger globaler Geldgeberländer, wie den USA. „Man muss jemandem die Führungsrolle übergeben. Und wer soll das sonst machen, außer die WHO?“, fragt er.

Gröhe betonte auf dem Treffen, Deutschland nehme die internationale Verpflichtung, die WHO zu stärken, sehr ernst. In den Krisenfond CFE (Contingency fund for Emergencies) zahle Deutschland mit 13 Millionen Dollar am meisten ein, heißt es in einer Pressemitteilung der Bundesregierung. Deutschland stelle insgesamt 850 Millionen Euro pro Jahr für die globale Gesundheit zur Verfügung. Der Großteil komme aus dem Entwicklungsbereich, um Gesundheitssysteme in anderen Ländern zu unterstützen.

Nur starke Gesundheitssysteme seien auch in der Lage, sich gegen die globalen Bedrohungen zu wappnen, betonte WHO-Generaldirektorin Dr. Margaret Chan auf dem Treffen .

Politische Unterstützung notwendig

Prof. Dr. Winfried Kern, Leiter der Infektiologie an der Universitätsklinik Freiburg, betont ebenfalls die Notwendigkeit, die Arbeit der Ärzte politisch zu unterstützen: „Wir Ärzte können sagen, in welche Richtung man mehr forschen sollte oder welche neuen Substanzen gegen Antibiotika-Resistenzen fehlen. Wir können die Diagnostik weiterentwickeln oder auf das Verschreibungsverhalten einwirken, aber wir können keine rechtlichen und finanziellen Rahmenbedingungen schaffen – das ist Sache der Politik“, so Kern. Das G20-Treffen sei hierzu das richtige Forum, über Regulationen, Forschungsbudgets oder Herstellungskontrollen zu verhandeln.

 
Wir (Ärzte) können keine rechtlichen und finanziellen Rahmenbedingungen schaffen – das ist die Sache der Politik. Prof. Dr. Winfried Kern
 

So bekundeten die G20-Gesundheitsminister auch, dass neue Antibiotika gemeinsam entwickelt werden sollen und alte Antibiotika am Markt gehalten werden müssen. „Wenn wir jetzt nicht gemeinsam und weltweit handeln, steuern wir auf ein Nach-Antibiotika-Zeitalter zu – mit dramatischen Folgen für uns alle“, warnte Gröhe.

Auch Kanzlerin Dr. Angela Merkel hob beim G20-Gesundheitsminister-Treffen hervor, wie mühselig und kostspielig das Unterfangen sei, neue Antibiotika zu entwickeln. „Wir müssen mehr unternehmen, damit die Mittel, die wir haben, auch wirksam bleiben, sagte sie.

Chan brachte in ihrer Rede in Hamburg das bedrohliche Ausmaß mancher Resistenzen zur Sprache – etwa bei Gonorrhö. Dies sei sehr beunruhigend, so Chan.

Alte Antibiotika am Markt halten – aber wie?

„Eingeführte Antibiotika am Markt zu halten, ist ein schwieriges Kapitel“, meint Kern. Da geht es nicht um Forschung und Neuentwicklung, wo man Fördergelder zur Verfügung stellen kann. „Der Staat kann nicht so einfach in das Marktgeschehen eingreifen, das ist sehr heikel.“ Bei etwaigen Subventionen drohten Klagen von Mitbewerbern wegen Marktverzerrung oder Verstoß gegen das Kartellrecht. Es gehe hier um komplizierte Marktmechanismen. „Da hat man noch kein Rezept gefunden“, so Kern. Hier müsse sich die Politik noch Maßnahmen überlegen, die konform sind mit internationalem und nationalem Recht. „Deshalb ist es auch so wichtig, dass die WHO zentrale Verantwortung bekommt, um einen Konsens herzustellen, der unter Umständen auch die Behandlung marktrechtlicher Probleme vereinfachen kann.“

Für wichtig hält Kern auch, dass die G20-Länder den One-Health-Ansatz stärken möchten, also die Verbreitung von Antibiotika-Resistenzen einzudämmen sowohl in der Medizin als auch in der Landwirtschaft bei der Aufzucht von Tieren. Denn noch viel zu häufig werden in der Landwirtschaft Substanzen verwendet, die man eigentlich nur in der Humanmedizin einsetzen sollte.

 
Wenn wir jetzt nicht gemeinsam und weltweit handeln, steuern wir auf ein Nach-Antibiotika-Zeitalter zu – mit dramatischen Folgen für uns alle. Hermann Gröhe
 

Was die konkreten vorgeschlagenen Maßnahmen anbelangt, sieht der Krankenhaushygieniker Grundmann noch Defizite. Zwar wolle die WHO grundsätzlich ein globales Überwachungssystem (Surveillance) aufbauen, doch hier bestünde noch viel Nachholbedarf, vor allem in Ländern mit mittleren und niedrigen Einkommen.

Wie soll Krankheitslast gemessen werden?

„Unverständlich“ ist für Grundmann, wie die WHO ihr Versprechen einlösen will, die Krankheitslast durch Antibiotika-resistente Erreger zu messen. Etwa, wenn die WHO wissen wolle, wie viele Menschen in einem afrikanischen Land an einer Lungenentzündung sterben, weil der Erreger resistent ist. „Solche Zahlen sind aber sehr schwer zu bekommen, weil es Daten und eine enge Kommunikation zwischen Arzt und Mikrobiologen erfordert“, betont er. Solche Rückschlüsse seien sogar in Europa schwierig.

Einfacher sei es dagegen, sich die Verbreitungswege von bakteriellen Hochrisiko-Klonen genauer anzusehen. „Zum Beispiel hat die WHO für die Virusgrippe bereits ein gutes, weltweit verknüpftes Laborsystem aufgebaut, was sich jedes Jahr bei der Vorhersage der Grippeausbreitung bewährt“, betont Grundmann.

Seine eigene Gruppe unterstützt dieses Ziel durch Kooperationen mit dem European Center for Disease Prevention and Control (ECDC). Zuletzt haben sie eine Studie über Carbapenem-resistente Erreger durchgeführt, an der 36 Länder und fast 500 Krankenhäuser beteiligt waren. Es handelt sich dabei um Bakterien, die nur noch auf nebenwirkungsreiche „Reserve-Antibiotika“ ansprechen. Sie fanden 37% Carbapenem-resistente Klebsiella-Isolate und 19% Resistenzen bei E.coli-Isolaten. Die Untersuchung wurde in Lancet Infectious Diseases publiziert.

„Wichtig ist vor allem, dass viele Länder mitarbeiten – dazu braucht es auch etwas Verhandlungsgeschick“, betont der Krankenhaushygieniker. Eine Sammlung von allen Erregern erlaube es dann, die Herkunft von Bakterien auf einer Landkarte abzubilden und – wenn man die Genetik der Erreger berücksichtigt – auch Ausbrüche zu erkennen und Verbreitungswege darzustellen. „Wenn man solche Studien alle 5 Jahre wiederholt, kann man wie in einer Zeitrafferaufnahme die Verbreitung wie auf einer Wetterkarte verfolgen und Patienten, die aus ‚Schlechtwetterregionen‘ kommen, frühzeitig isolieren und auf diese Bakterien hin bei Krankenhausaufnahme untersuchen.“

 
Der Staat kann nicht so einfach in das Marktgeschehen eingreifen, das ist sehr heikel. Prof. Dr. Winfried Kern
 

Welche Auswirkung die G20-Gesundheitsminister-Erklärung haben wird, werde die Zukunft zeigen, sagte Kern. Da die Erklärung von allen Ländern unterschrieben worden sei, handele es sich nicht nur um ein Lippenbekenntnis, betonte er. Was davon umgesetzt werde, wird man dann beim nächsten Treffen in 3 Jahren messen können.

Übung für den Katastrophenfall

Die Simulation eines Ausbruchs einer Pandemie – eine Art Trockenübung für den Katastrophenfall – haben die G20-Gesundheitsminister und Vertreter der Weltbank geprobt. Darin ging es auch um „Lessons Learned“ aus dem Ausbruch von Ebola im Jahr 2014. Damals waren die Länder in der Kritik, dass die Hilfe zu langsam anlief und auch die Befehlsketten unklar waren.

Das Szenario: In einem erfundenen Land mit niedrigem Einkommen verursacht ein unbekanntes Virus schwere Atemwegserkrankungen und breitet sich zunehmend aus – die Gefahr einer weltweiten Gesundheitskrise besteht.

Es ging bei der Simulation um Fragen, wie schneller auf die Bedrohung reagiert werden kann, wer aus dem Kreis welche Hilfen bereitstellen kann und wie die Hilfe abgestimmt wird. 

 



REFERENZEN:

1. Gesundheitsministertreffen im Rahmen der G20-Präsidentschaft, 19. bis 20. Mai 2017, Berlin

Kommentar

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