Herz trifft Hirn: Wer in Kindheit und Jugend kardiovaskuläre Risiken hat, altert kognitiv um bis zu 8 Jahre rascher

Julia Rommelfanger

Interessenkonflikte

29. Mai 2017

Wer schon als Kind, Jugendlicher oder junger Erwachsener Raucher und Hypertoniker war und sehr früh hohe Cholesterinwerte hatte, dessen kognitive Funktionen bauen sich im späteren Leben eventuell schneller ab als bei Menschen ohne frühe kardiovaskuläre Risiken. Dies ist das Ergebnis einer Langzeit-Beobachtungsstudie in Finnland. Die Studienteilnehmer mit hohem kardiovaskulärem Risiko in der Kindheit schnitten in kognitiven Tests schlechter ab als solche mit niedrigem Risiko.

„Ein hoher systolischer Blutdruck, erhöhte Cholesterinwerte und Rauchen in der Kindheit oder Jugend waren unabhängig voneinander assoziiert mit einer schlechteren Gedächtnisleistung im Erwachsenenalter“, berichtet das Autorenkollektiv um Dr. Suvi P. Rovio vom Forschungszentrum für Angewandte und Präventive Kardiologie an der Universität Turku, Finnland, im Journal of the American College of Cardiology [1]. Sie haben berechnet, dass, wer früh ein erhöhtes kardiovaskuläres Risiko hat, auch kognitiv schneller altert – um etwa 6 bis 8 Jahre.

Prof. Dr. Harm Wienbergen

Erste Studie zu Risiko im Kindesalter und Kognition

„Das ist eine interessante Studie zu kardiovaskulären Risikofaktoren bei Kindern, die eindrucksvoll zeigt, dass eine negative Assoziation zwischen Risikofaktoren und späterer kognitiver Funktion besteht”, kommentiert Prof. Dr. Harm Wienbergen, Leiter des Bremer Instituts für Herz- und Kreislaufforschung (BIHKF) am Klinikum Links der Weser, gegenüber Medscape.

Viele Studien hätten zwar belegt, dass Risikofaktoren wie arterielle Hypertonie und Hypercholesterinämie bei Erwachsenen mit einer Verschlechterung der kognitiven Funktion im Alter assoziiert sind. „Neu an dieser Studie ist aber der Fokus auf Risikofaktoren im Kindesalter”, bemerkt Wienbergen.

In der Cardiovascular Risk in Young Finns Study (YFS) mit einem Follow-up von 31 Jahren wurden die Teilnehmer von der Kindheit bis ins Erwachsenenalter beobachtet. Als Teil der Untersuchungen führten die Ärzte im Jahr 2011 bei 2.026 Teilnehmern diverse kognitive Tests durch. Die Tests konzentrierten sich auf Hirnstrukturen, die typischerweise in frühen Stadien beeinträchtigt sind. Dies waren z.B. Untersuchungen zum visuellen und episodischen Gedächtnis, zu Problemlösung, Reaktionszeit, visueller Verarbeitung und Erkennung.

Zu Studienbeginn und mehrmals während des Follow-up wurden Blutdruck, Blutfette, Body-Mass-Index (BMI) und Raucherstatus geprüft. Die Ergebnisse wurden hinsichtlich vieler Einflussgrößen wie Alter, Haushaltseinkommen, Blutdruck- und Cholesterinsenker, Diagnose einer Herz-Kreislauf-Erkrankung, Diabetes und akademischer Leistung adjustiert.

 
Neu an dieser Studie ist aber der Fokus auf Risikofaktoren im Kindesalter. Prof. Dr. Harm Wienbergen
 

Ausgangshypothese der Forscher war, dass eine frühe kardiovaskuläre Risikolast mit einer schlechteren kognitiven Leistung im Erwachsenenalter einhergeht. Um dies zu prüfen, haben sie kardiovaskuläre Risiken in 3 Lebensabschnitten – in der Kindheit (6 bis 12 Jahre), in der Jugend (12 bis 18 Jahre) und im jungen Erwachsenenalter (18 bis 24 Jahre) mit der kognitiven Leistung in der mittleren Lebensphase (34 bis 49 Jahre) assoziiert.

Wer mit hohem Risiko aufwächst, altert schneller

In der Tat erzielten diejenigen Teilnehmer mit erhöhten Blutdruck- und Blutfettwerten in den 3 frühen Lebensphasen sowie diejenigen, die als Jugendliche oder Erwachsene rauchten, schlechtere Werte in den Tests zum visuellen und episodischen Gedächtnis und zum visuell-räumlich assoziierenden Lernen.

„Alle 3 Risikofaktoren waren unabhängig voneinander mit der Leistung beim Gedächtnistest assoziiert – und keine der Kovariablen wie Alter oder Geschlecht hatte einen signifikanten Einfluss auf dieses Ergebnis“, berichten Rovio und Kollegen. Der Zusammenhang bestand unabhängig von der Risikobelastung im Erwachsenenalter.

Nur die Auswirkung des Rauchens in der Jugend und im jungen Erwachsenenalter auf die kognitive Leistung im Erwachsenenalter wurde von einem weiteren Einflussfaktor – der intellektuellen Leistung im Kindesalter – abgeschwächt. Kardiovaskuläre Risikofaktoren, mutmaßen die Autoren, „haben schon in der Kindheit einen negativen Einfluss auf die Kognition“. 

Eine Gegenüberstellung der niedrigsten und höchsten Blutdruckwerte zeigte, dass die Teilnehmer mit den höchsten Blutdruckwerten im Kindes-, Jugend- und jungen Erwachsenenalter ein um 8,4 Jahre höheres kognitives Alter aufwiesen als diejenigen mit normalen Blutdruckwerten. Bei den Cholesterinwerten lag der Unterschied bei 6,6 Jahren, bei Rauchern vs Nichtrauchern betrug er 3,4 Jahre.

Diese Auswirkungen seien „massiv und beunruhigend für Erwachsene, die noch relativ jung sind“, kommentiert Dr. Donald M. Lloyd-Jones, Abteilung Präventive Medizin und Bereich Kardiologie, Feinberg School of Medicine an der Northwestern University in Chicago, USA, in einem Editorial zu der Young Finns Study [2].

Primärprävention: Geistigen Verfall möglichst früh aufhalten

Obwohl eine solche Beobachtungsstudie konkrete Empfehlungen für die Prävention ausschließe, liefere sie doch Hinweise darauf, dass ein niedriges kardiovaskuläres Risikoprofil von Kindheit an kognitive Vorteile im weiteren Leben mit sich bringe, schreiben die Autoren. „Sollte sich diese Hypothese bestätigen, sind Kontroll- und Therapiestrategien nötig, um die Vorbeugung kognitiver Defizite von Tertiär- und Sekundärprävention auf die Primärprävention zu lenken“, so ihre Empfehlung.

 
Die Ergebnisse sind eine wichtige Motivationshilfe in der Beratung von jungen Menschen und Familien mit Risikofaktoren. Prof. Dr. Harm Wienbergen
 

Die meisten Menschen, sagt Wienbergen, haben große Angst vor dementiellen Erkrankungen bzw. einer Abnahme der kognitiven Funktion, in der Regel viel mehr als vor einem Herzinfarkt oder vor einem plötzlichem Herztod. „Die Ergebnisse sind eine wichtige Motivationshilfe in der Beratung von jungen Menschen und Familien mit Risikofaktoren.”

Bis vor kurzem sei unklar gewesen, wann man mit der Prävention von kognitiven Beeinträchtigungen beginnen solle, schreibt Lloyd-Jones. Die Erkenntnisse der YFS jedoch deuten darauf hin, dass „negative Auswirkungen auf den späteren Gesundheitszustand bereits in der Kindheit entstehen können“. Denn sie lassen erkennen, dass Risikofaktoren bereits im Alter von 6 Jahren eine Auswirkung auf die kognitive Leistung im Erwachsenenalter haben.

Auch umgekehrter Zusammenhang möglich

Da jedoch nur eine einzige Messung der kognitiven Leistung erfolgte, sei auch ein umgekehrter Zusammenhang möglich, bemerkt Lloyd-Jones. Das heißt: Eine schlechtere Kognition in der Kindheit oder Jugend könne auch zu ungesundem Verhalten und in der Folge zur Anhäufung von Risikofaktoren geführt haben.

 
Diese Studienergebnisse sind ein klarer Appell für intensivere Präventionsmaßnahmen bei Kindern. Prof. Dr. Harm Wienbergen
 

Da die Beobachtung der Studienteilnehmer weitergeführt werde, sei ein zweiter Kognitionstest möglich, der eine Longitudinal-Analyse erlaube. Interessant sei auch, wie sich Unterschiede in der kognitiven Leistung im mittleren Lebensalter auf Demenz- oder Alzheimer-Entwicklung im Alter auswirken.

Mechanismus noch unklar

Bildgebungsstudien bringen kardiovaskuläre Risikofaktoren bei älteren Menschen mit Veränderungen der weißen Substanz sowie strukturellen Veränderungen im Gehirn in Zusammenhang, erklären die Autoren. Wie aber genau das Auftreten von Risikofaktoren in jungen Jahren kognitive Beeinträchtigungen herbeiführen könne, bleibe unklar. Vaskuläre Veränderungen, vermuten sie, können zu „zerebraler Hypoperfusion und lokaler Entzündung“ und in der Folge zu neurodegenerativen Veränderungen führen. Diese könnten sich dann als eine verminderte kognitive Leistung äußern.

„Obwohl der Mechanismus noch weiter untersucht werden muss, ist offensichtlich, dass diese Auswirkungen viel früher als gedacht passieren und bereits im mittleren Lebensabschnitt messbar sind“, schreibt Lloyd-Jones. Um die künftige Krankheitslast zu verringern, müssten Blutdruck, Lipide und anderen Risikofaktoren möglichst früh kontrolliert werden, fordert er. Das erfordere frühe Interventionen, die im Kindesalter oder sogar vor der Geburt beginnen.

Es sei allgemein bekannt, dass Adipositas und ein ungesunder Lebensstil mit körperlicher Inaktivität und ungesunder Ernährung bei Kindern und Jugendlichen stetig zunehmen, sagt Wienbergen. „Diese Studienergebnisse sind ein klarer Appell für intensivere Präventionsmaßnahmen bei Kindern.“ Dazu gehören seiner Ansicht nach

  • Förderung von Sport und gesunder Ernährung in Kindergärten und Schulen,

  • Aufklärung von Kindern, Erziehern und Familien zu Risiken wie Rauchen und Übergewicht sowie über Herzerkrankungen,

  • Ausweitung von Vorsorgeuntersuchungen: Kontrollen von Blutdruck, Cholesterin und Gewicht bei Kindern und Jugendlichen.



REFERENZEN:

1. Rovio SP, et al: J Am Coll Cardiol 2017;69:2279-2289

2. Lloyd-Jones DM, et al: J Am Coll Cardiol 2017;69:2290-2292

Kommentar

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