Degenerative Knieerkrankung: Experten-Panel rät generell von Arthroskopie ab; für deutschen Experten „greift dies zu kurz“

Ute Eppinger

Interessenkonflikte

24. Mai 2017

Orthopädische Operationen werden derzeit oft kritisch gesehen. In diesen Tenor stimmt jetzt auch ein internationales Experten-Panel ein. Im British Medical Journal raten diese, Patienten mit degenerativen Kniegelenk-Erkrankungen eher auf Physiotherapie als auf eine arthroskopische Teilresektion zu setzen [1].

„Wir sprechen uns gegen den Einsatz der Arthroskopie bei fast allen Patienten mit degenerativen Knieerkrankungen aus“, schreibt Dr. Reed A.C. Siemieniuk vom Department of Health Research Methods der McMaster University in Hamilton, Kanada. Die Empfehlung gelte für Patienten mit und ohne Osteoarthritis, für Osteoarthritis jeden Schwergrads, für Patienten mit Funktionseinschränkungen des Knies, für Patienten mit plötzlich einsetzenden Symptomen und für Patienten mit Meniskusrissen.

Die Empfehlung basiere auf systematischen Reviews und es sei „unwahrscheinlich, dass weitere Forschungen unsere Empfehlung ändern“, fügt der Vorsitzende des Experten-Panels hinzu.

Von der Empfehlung ausgenommen sind allerdings junge Patienten mit sportbedingten Verletzungen, Patienten nach schweren Traumata und Patienten mit steifen Kniegelenken.

 
Wir sprechen uns gegen den Einsatz der Arthroskopie bei fast allen Patienten mit degenerativen Knie-erkrankungen aus. Dr. Reed A.C. Siemieniuk
 

„Die Empfehlungen des Experten-Panels sind nichts grundsätzlich Neues. Mehrere Studien, die die Effektivität von chirurgischer und konservativer Therapie miteinander verglichen haben, haben bereits gezeigt, dass beide Verfahren gleich wirksam sind und die Operation der Physiotherapie nicht eindeutig überlegen ist“, ordnet Prof. Dr. Philipp Niemeyer, Leitender Arzt in der Orthopädischen Chirurgie München (OCM), die Rapid Recommendations des Panels ein.

Doch das bedeute im Umkehrschluss nicht, dass eine Operation keine Verbesserung der Funktion oder eine Schmerzreduktion bringe. Sondern nur: „Eine eindeutige Überlegenheit der Operation im Vergleich zur Physiotherapie konnte nicht nachgewiesen werden. Beide Therapien sind im Gesamtkollektiv wirksam; Ziel weiterer Studien muss es sein, exakt zu definieren, welche Patienten hier von welchem Verfahren besser profitieren“, bekräftigt Niemeyer im Gespräch mit Medscape.

„Insofern ist der Tenor der Empfehlung – wir raten generell von der Arthroskopie ab – ein wenig anmaßend“, kritisiert der deutsche Experte. Die Empfehlung greife zu kurz. Denn auch wenn Physiotherapie und Teilresektion bei den degenerativen Kniegelenk-Erkrankungen gleich wirksam sind: In der Gruppe der Patienten, die initial mit Physiotherapie behandelt werden, lasse sich ein knappes Drittel dann doch noch operieren.

Wie Niemeyer berichtet, beträgt laut einer Arbeit aus 2013 der Anteil derjenigen, die von Physiotherapie auf Operation wechseln, 30%. Es handle sich um eine Subgruppe von Patienten mit einer nichttraumatischen Innenmeniskusläsion, die nicht von einer Physiotherapie profitierten, dann aber von der folgenden Operation.

 
Ziel weiterer Studien muss es sein, exakt zu definieren, welche Patienten hier von welchem Verfahren besser profitieren. Prof. Dr. Philipp Niemeyer
 

Dass die operative und nichtoperative Therapie bei nichttraumatischen Meniskus-Läsionen wohl für die meisten Patienten gleichwertig sind, zu diesem Ergebnis kamen auch Dr. Wolf Petersen und seine Kollegen 2015 in einer Übersichtsarbeit. Die Autoren erinnern aber auch an eine Studie, in der Patienten nach arthroskopischer partieller Meniskektomie geringere Schmerz- und Symptom-Scores hatten.

Panel-Empfehlung bringt die unklare Abfolge der Optionen in die richtige Reihenfolge

Etwa jeder Vierte über 50 hat Schmerzen aufgrund von degenerativen Knieerkrankungen. Zu den Behandlungsoptionen gehören:

  • Gewichtsabnahme bei Übergewicht,

  • Physiotherapie,

  • orale oder topische Schmerzmittelanwendung wie NSAR,

  • intra-artikuläre Kortikosteroide und

  • die chirurgische Therapie.

„Die bevorzugte Kombination oder Abfolge dieser Behandlungsoptionen ist nicht klar und variiert zwischen den Patienten“, so die Autoren. Sie nahmen dies zum Anlass für ihre Empfehlung und stützten sich dabei unter anderem auf die randomisiert-kontrollierte Arbeit von Nina Kise und ihren Kollegen. In der Mitte 2016 im British Medical Journal erschienenen Arbeit schnitt bei Patienten mit degenerativen Meniskusrissen die arthroskopische Chirurgie nicht besser ab als Physiotherapie.

„Das Panel ist davon überzeugt, dass die arthroskopische Kniechirurgie im Durchschnitt nicht zu einer Reduktion von Langzeitschmerzen und zur Funktionsverbesserung im Vergleich mit einer Physiotherapie führt“, schreiben Siemieniuk und Kollegen. Zwar zeigten sich bei ca. 15% der Patienten, die sich einer arthroskopischen Chirurgie unterziehen, kleine oder sehr kleine Verbesserungen in der Schmerzreduktion und in der Funktion 3 Monate nach dem Eingriff. Dieser Nutzen bleibe aber nicht länger als ein Jahr erhalten. Zur Belastung, sich einer Knie-Arthroskopie unterziehen zu müssen komme das Risiko unerwünschter Wirkungen und Schädigungen durch den Eingriff hinzu.

 
Man muss berücksichtigen, dass die Komplikationsrate bei Operationen von Meniskus-Schäden bei weit unter einem Prozent liegt. Prof. Dr. Philipp Niemeyer
 

Niemeyer verweist auf die S2k-Leitlinie Meniskuserkrankung der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie (DGOU), die differenziert aufführt, wann eher konservativ und wann operativ behandelt werden sollte. Ein chirurgisches Vorgehen ist laut Leitlinie sinnvoll bei:

  • Blockierungsphänomenen,

  • traumatischen Verletzungen des Meniskusgewebes,

  • Einklemmungsbeschwerden und

  • persistierenden Beschwerden (Schmerzen, Funktionseinschränkungen des Knies) nach konservativer Therapie.

Generell gelte natürlich, dass chirurgische Maßnahmen mehr Komplikationen nach sich zögen als nicht-invasive Therapien, gibt auch Niemeyer zu bedenken. Er sagt aber auch: „Man muss berücksichtigen, dass die Komplikationsrate bei Operationen von Meniskus-Schäden bei weit unter einem Prozent liegt.“

Er erlebe inzwischen häufig, dass Patienten keine Arthroskopie wollten. „Momentan geht der Trend dazu, immer weniger zu operieren. Wenn dann noch durch die Art der Berichterstattung der Eindruck erweckt wird, eine Operation ist nutzlos, dann beeinflusst das natürlich die Patienten. Wir wünschen uns kritische Patienten, die nachfragen und hinterfragen. Der Diskussion möchten wir uns weder mit den Patienten, noch auf wissenschaftlicher Ebene entziehen. Eine wichtige Voraussetzung dafür ist aber auch eine differenzierte und korrekte Berichterstattung in den Medien“, betont er.

REFERENZEN:

1. Siemieniuk RAC, et al : BMJ 2017;257:j1982

Kommentar

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