Das metastasierte Prostatakarzinom gilt als unheilbar. Nun hat eine Pilotstudie mit 20 Männern mit metastasiertem Prostatakrebs im frühen Stadium gezeigt, dass eine aggressive multimodale Therapie aus Hormonbehandlung, Operation und Bestrahlung die Erkrankung eliminieren kann. Insgesamt erreichten 20% der Patienten den primären Endpunkt, nicht mehr nachweisbares Prostata-spezifisches Antigen (PSA) bei Erholung der Testosteronwerte nach 20 Monaten, so die Autoren um Erstautor Dr. Matthew J. O'Shaughnessy, Abteilung für Chirurgie, Memorial Sloan Kettering Cancer Center, New York City [1].
Der Endpunkt hätte mit jeder einzelnen Behandlung nicht erreicht werden können, so ihre Aussage. „Obwohl eine längere Nachbeobachtungszeit erforderlich ist, um eine anhaltende Wirkung zu belegen, ist das ein erster Schritt nach vorne, um ein Modell zur Heilung bei Patienten mit kleinvolumiger metastasierter Erkrankung zu etablieren“, so ihre Schlussfolgerung in der kürzlich in Urology publizierten Arbeit. „Das hier beschriebene Modell ist ein Fortschritt bei den Bemühungen, Patienten zu heilen, die bislang als unheilbar angesehen wurden,“ kommentierte Prof. Dr. Oliver Sartor, Tulane University School of Medicine, New Orleans, Louisiana, im begleitenden Editorial [2].
Der Kommentar von Sartor wurde in einer Pressemitteilung von Elsevier aufgegriffen, in der es heißt, dass einige Patienten mit metastasiertem Prostatakarzinom, das bislang als unheilbar angesehen wurde, nun möglicherweise geheilt werden könnten. In der Pressemitteilung werden auch der Seniorautor der Studie Prof. Dr. Howard Scher, Leiter der urogenitalen Onkologie, Memorial Sloan Kettering Cancer Center, New York City, und Sartor zitiert, die darauf hinweisen, dass eine längere Nachbeobachtungszeit erforderlich sei.
Prof. Dr. Richard Hoffman, Direktor der Abteilung für allgemeine Innere Medizin am University of Iowa Carver College of Medicine, Iowa City, kommentierte auf Anfrage von Medscape: „Diese Pressemitteilung dürfte missverständlich sein, vor allem durch die Verwendung des Wortes ‚Heilung‘.“ Er wies darauf hin, dass die Autoren der Studie in ihrer Schlussfolgerung eher vorsichtig seien. Er könne nicht erkennen, dass sie der Ansicht seien, die Krebserkrankung geheilt zu haben.
Nach den Ergebnissen der Studie haben 4 von 20 Patienten den primären Endpunkt erreicht, da bei ihnen 20 Monate nach Testosteron-Recovery kein PSA mehr nachweisbar war. Bei 2 Patienten war PSA auch nach weiteren 27 und 46 Monaten nicht nachweisbar. „Das ist ein Surrogat-Endpunkt, keine Heilung“, so Hoffman zu Medscape. Onkologen sprächen dann von Heilung einer Krebserkrankung, wenn 5 Jahre nach der Behandlung kein Hinweis auf die Krankheit mehr vorliege. „Wir wissen nicht, ob dieser Therapieansatz ein Prostatakarzinom heilt oder überhaupt das Leben verlängert.“ Dieser Artikel erinnere ihn an Berichte über HIV-Patienten, die angeblich nur durch eine Knochenmarktransplantation geheilt worden seien. Aber das Virus sei Jahre später wieder aufgetreten.
Hohes Lob für die Studie
Prof. Dr. Marc Garnick, Harvard Medical School and Beth Israel Deaconess Medical Center, Boston, Massachusetts, äußerte sich auf Nachfrage von Medscape hingegen sehr positiv über die Studie, wobei er auch betonte, dass eine lange Nachbeobachtung erforderlich sei. „Auch bei nicht metastasierten Patienten mit einem sehr viel niedrigeren Risiko wissen wir oft über Jahrzehnte nach der Therapie nicht, ob sie geheilt sind.“ Er war jedoch von den Ergebnissen sehr angetan.
Diese Studie hat „weitreichende Konsequenzen und bedeutet einen Umbruch in den derzeitigen Betrachtungsweise des Prostatakarzinoms“, sagte er zu Medscape. „Es ist erst 10 Jahre her, dass viele Ärzte für Männer mit einem Gleason-Score von 9 bis 10 keine radikale Prostatektomie in Betracht zogen, weil man befürchtete, dass sie bereits Mikrometastasen hätten. Nun erwägen wir das. Darüber hinaus ziehen wir für Männer mit vermuteter oder nachgewiesener metastasierter nodaler Erkrankung eine Lymphadenektomie in Betracht. Einige retrospektive Daten deuten auf exzellente Ergebnisse mit diesem Vorgehen hin, auch beim Nachweis mikroskopischer Lymphknoten-Metastasen.“
Aggressive Therapie
O'Shaughnessy und Kollegen nahmen in die Pilotstudie 20 ausgewählte Männer auf, 5 litten an einer oligometastatischen M1a-Erkrankung (nicht regionäre Lymphknoten befallen) und 15 an einer M1b-Erkrankung (Knochenbefall) bei der Diagnose. Im Median wiesen sie 3 (1-7) Knochenmetastasten auf. 13 Patienten (65%) hatten einen Gleason-Score von 9 oder 10, 14 (70%) Primärtumoren wurden als T3a oder höher klassifiziert. Die Becken-Lymphknoten (N1) waren bei allen 5 M1a-Patienten und bei 6 von 15 M1b-Patienten befallen.
Die Patienten wurden aggressiv behandelt. Sie erhielten eine Androgendeprivationstherapie, wurden radikal prostatektomiert und die Becken-Lymphknoten wurden ausgeräumt (retroperitoneale Lymphadenektomie bei klinisch positiven retroperitonealen Lymphknoten). Außerdem wurden die Knochenmetastasen oder der Primärtumor stereotaktisch bestrahlt. „Die gründliche Resektion des sichtbaren Tumorgewebes durch erfahrene Chirurgen war entscheidend für das Ergebnis“, so O'Shaughnessy. Die Behandlung dauerte etwa 8 Monate und wurde gut vertragen.
Jede Behandlung trägt zum Ergebnis bei
Jedes Therapieverfahren trug zum Endergebnis bei. Bei fast allen Patienten (19 von 20, 95%) war der PSA-Wert nach der multimodalen Therapie nicht mehr nachweisbar. Bei 25% war er schon nach der Androgendeprivationstherapie unter der Nachweisgrenze, bei weiteren 50% nach der Operation und bei weiteren 20% nach der Bestrahlung. „Das stimmt mit Berichten überein, die belegen, dass mit systemischer Therapie allein die Primärerkrankung oder die Metastasen nicht völlig beseitigt werden können. Dies belegt, dass jede erkrankte Stelle behandelt werden muss, um den Endpunkt ‚kein Nachweis der Erkrankung‘ zu erreichen“, kommentieren die Autoren.
Obwohl bei fast jedem Patienten PSA nicht mehr nachweisbar war, begannen bei vielen Patienten die Testosteron- und PSA-Spiegel wieder zu steigen, wenn der Effekt der Androgendeprivation verschwand. Insgesamt erreichten nur 4 Patienten (20%) den primären Endpunkt von nicht nachweisbarem PSA (< 0,05 ng/ml) und normalen Testosteronspiegeln (> 150 ng/dl) 20 Monate nach dem Beginn der Androgendeprivation. Alle 4 Patienten litten zu Beginn an einer M1b-Erkrankung (Knochenmetastasierung).
Nicht nachweisbare PSA-Werte und normale Testosteronspiegel blieben über weitere 5, 6, 27 und 46 Monate bestehen. Bei einem Patienten war der primäre Endpunkt für mehr als 5 Jahre (20 + 46 = 66 Monate) ohne weitere Therapie nachzuweisen.
In einer E-Mail an Medscape erläuterte O'Shaughnessy, dass die mediane Überlebenszeit von Patienten mit metastasiertem Prostatakarzinom im Frühstadium, die mit den Teilnehmern in dieser Studie vergleichbar sind, 42 Monate beträgt, wie z. B. bei Patienten in der Kontrollgruppe der STAMPEDE-Studie. In der Pilotstudie seien nur 2 Patienten am Prostatakarzinom gestorben, sonst habe es keine weiteren Todesfälle gegeben. „Aufgrund der Größe der Studie können wir keine endgültigen Schlussfolgerungen zum Gesamtüberleben ziehen. Aber es gibt nach unserer Kenntnis keine weiteren Berichte zu einer kompletten Elimination der Erkrankung bei diesen Patienten“, sagte er.
Früher Rückfall bei nachweisbarem PSA
Patienten, bei denen PSA weiter nachweisbar war, erlitten früh einen Rückfall. So erreichte keiner der 5 Männer mit M1a-Erkrankung den primären Endpunkt. Nach einem medianen Follow-up von 34 Monaten hatte sich bei 2 Patienten nach 18 und 32 Monaten eine kastrationsresistente Erkrankung entwickelt. 2 Patienten waren radiologisch progredient: 1 Patient in Prostata und Retroperitoneum, 1 Patient in Knochen und Lunge. Einer dieser Patienten starb am Prostatakarzinom 24 Monate nach Beginn der Behandlung.
Von den 15 Männern mit M1b-Erkrankung erreichten 4 den primären Endpunkt. Nach einem medianen Follow-up von 47 Monaten hatte sich bei 8 Patienten nach 23 Monaten im Median eine kastrationsresistente Erkrankung entwickelt. Einer dieser Patienten starb an Prostatakrebs 56 Monate nach Therapiebeginn.
Neuer Endpunkt
Die Autoren verwendeten in dieser Studie einen neuen Endpunkt. Offen ist, ob er sich in einen anhaltenden Nutzen übertragen lässt, hierzu ist eine Validierung in Phase-3-Studien erforderlich. Die Autoren argumentieren, dass dieser neue Endpunkt „die rechtzeitige Evaluation multipler Strategien ermöglicht, so dass nur vielversprechende Verfahren weiter verfolgt werden. Für Regime, mit denen dieser Endpunkt nicht erreicht werden kann, ist ein anhaltendes Ansprechen unwahrscheinlich. Sie können zurückgestellt werden.“
Ist PSA bei normalem Testosteronspiegel anhaltend nicht mehr nachweisbar, könne dies auf eine Heilung hindeuten, so die Meinung der Autoren. In der Pressemitteilung kommentiert Sartor: „Der Endpunkt muss besonders erwähnt werden, weil ein nicht nachweisbarer PSA-Wert nach Testosteron-Recovery zwar bereits diskutiert, aber nur selten untersucht wurde. Die Autoren schlagen den Endpunkt als ersten Schritt zur Etablierung eines kurativen Modells vor.
REFERENZEN:
1. O’Shaughnessy MJ, et al: Urology 2017;102:164-172
2. Sartor O: Urology 2017;102:171-172
Medscape Nachrichten © 2017 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: Metastasierter Prostatakrebs: Mit aggressivem Regime aus Hormonbehandlung, OP und Bestrahlung zur Heilung? - Medscape - 22. Mai 2017.
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