Reduktionsdiäten: Ist der Jo-Jo-Effekt für KHK-Patienten ein Risiko? Laut aktueller Analyse: Ja!

Michael van den Heuvel

Interessenkonflikte

18. Mai 2017

Reduktionsdiäten führen häufig zu Schwankungen des Körpergewichts. Dieser Jo-Jo-Effekt könnte bei Patienten mit einer koronaren Herzerkrankung (KHK) zu mehr kardiovaskulären Ereignissen und Todesfällen führen. Das deutet die Post-hoc-Analyse von Beobachtungsdaten an, die Dr. Sripal Bangalore, New York University School of Medicine, und Kollegen im New England Journal of Medicine publiziert haben [1]. Auch wenn die Studie keine kausalen Schlüsse zulässt, eins war auffällig: Je größer die Abweichungen der Waage nach oben und unten waren, desto höher war auch das Risiko – unabhängig von weiteren Einflussfaktoren.

„Gewichtsveränderungen sind bei der untersuchten Gruppe folglich als Risikofaktoren zu bewerten“, erklärt Prof. Dr. Heiner Boeing, Leiter der Abteilung Epidemiologie am Deutschen Institut für Ernährungsforschung Potsdam-Rehbrücke (DIfE), gegenüber Medscape. Den genauen Grund kenne man aber nicht. Die zugrunde liegende Studie zeichne sich dadurch aus, dass die Teilnehmer über längere Zeit hinweg regelmäßig untersucht und diverse klinische Endpunkte erfasst worden waren.

Große Kohorte aus der Treating-to-New-Targets-Studie

Bangalore arbeitete mit Informationen aus der Treating-to-New-Targets-Studie. Deren Ziel war ursprünglich, mehr zur Sicherheit und Wirksamkeit von Atorvastatin zu erfahren. Als primäre Endpunkte definierten die Studienautoren kardiovaskuläre Ereignisse jeder Art, wie etwa Todesfälle aufgrund koronarer Herzerkrankungen, nichttödliche Myokardinfarkte, Wiederbelebungen wegen eines Herzstillstands, Revaskularisierungen oder Angina pectoris.

Bei den sekundären Endpunkten wurden zerebrovaskuläre oder kardiovaskuläre Ereignisse eingeschlossen, also z.B. Herzinfarkt, Schlaganfall oder periphere arterielle Verschlusskrankheit (pAVK).

 
Gewichtsveränderungen sind bei der untersuchten Gruppe folglich als Risikofaktoren zu bewerten. Prof. Dr. Heiner Boeing
 

Für seine Post-hoc-Analyse wertete Bangalore die Daten von 9.509 Studienteilnehmern aus. Sie hatten eine KHK und LDL-Cholesterinspiegel von unter 130 mg/dl (3.4 mmol/l). Im Rahmen von Treating to New Targets erhielten sie randomisiert 10 oder 80 mg Atorvastatin pro Tag.

Nach 3, 6, 9 und 12 Monaten wurden alle Teilnehmer erneut untersucht. Weitere Tests folgten im Abstand von 6 Monaten. Die Nachbeobachtungszeit lag im Median bei 4,9 Jahren. Während dieser Zeit wurden die Patienten durchschnittlich 12 Mal gewogen. Zu Beginn lag ihr Körpergewicht bei 85 kg (±15 kg). Alle individuellen Schwankungen wurden im Anschluss erfasst.

Starke Gewichtsschwankungen erhöhen Risiken

Auf Basis statistischer Berechnungen teilten Bangalore und Kollegen alle Schwankungen des Körpergewichts in 5 Quintile ein:

  • bis 0,93 kg

  • bis 1,39 kg

  • bis 1,76 kg

  • bis 2,25 kg

  • bis 3,86 kg

Im Quintil mit den stärksten Gewichtsschwankungen (bis 3,86 kg) fanden sie deutlich erhöhte Risiken bei koronaren (64%) oder kardiovaskulären Ereignissen (85%), bei der Mortalität (124%), bei Herzinfarkten (117%) und bei Schlaganfällen (136%). Zum Vergleich zogen sie das Quintil mit den geringsten Gewichtsschwankungen (bis 0,93 kg) heran.

 
Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass wir Gewichtsschwankungen bei Menschen mit koronaren Herzerkrankungen ernst nehmen sollten. Dr. Sripal Bangalore
 

Die Autoren weisen aber auch auf die methodischen Schwächen hin: Ihre Post-hoc-Analyse von Beobachtungsdaten kann kausale Zusammenhänge nicht beweisen. So sei nicht untersucht worden, ob die starken Gewichtsschwankungen tatsächlich auf den Jo-Jo-Effekt zurückzuführen sind – oder auf andere Ursachen. Patienten mit weiteren Grunderkrankungen wurden zwar von der Treating to New Targets-Studie ausgeschlossen. Neu aufgetretene schwere Leiden seien aber möglich, heißt es weiter.

Bewusstsein für Gewichtskonstanz schaffen

Trotz der methodisch bedingten Zweifel resümiert Bangalore: „Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass wir Gewichtsschwankungen bei Menschen, die bereits ein hohes Risiko aufgrund von koronaren Erkrankungen haben, medizinisch ernst nehmen sollten.“

Für ihn steht außer Frage, dass stark übergewichtige Patienten von einer Verringerung ihres Körpergewichts profitieren, dass sie dann aber auch halten sollten. „Obwohl die Analyse nicht dafür konzipiert wurde, die Ursachen für das erhöhte Risiko zu finden, müssen wir Patienten dabei helfen, ihr Gewicht zu halten.“ Ansonsten würden Diäten KHK-Patienten mehr schaden als nutzen.

„Wir brauchen mehr Bewusstsein für die Wichtigkeit einer Gewichtskonstanz“, ergänzt Boeing. Eine hohe Gewichtszunahme sei für die Patienten oft die Motivation, wieder abzunehmen, wobei viele Reduktionsdiäten in Eigenregie der Patienten ablaufen. Für Ärzte gebe es hier bis dato kaum Möglichkeiten zu intervenieren, so Boeing weiter.

Seine Forderung: „Nehmen Patienten ab, sollten sie danach versuchen, ihr Gewicht zu halten.“ Hier sei es bekanntlich eher sinnvoll, Lebensstil und Ernährung langfristig umzustellen und auf kurzfristige Diäten zu verzichten, sagt der Experte.

REFERENZEN:

  1. Bangalore S, et al: NEJM 2017;376:1332-1340

Kommentar

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