Atypische Femurfraktur – seltene, aber mögliche Folge einer Langzeittherapie bei Osteoporose

Ute Eppinger

Interessenkonflikte

17. Mai 2017

Mannheim – Auf eine seltene, aber erhebliche Folge der antiresorptiven  Osteoporose-Therapie machte PD Dr. Carl  Neuerburg auf der 123. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für  Innere Medizin (DGIM) aufmerksam [1]. Denn unter  der Langzeitgabe von Bisphosphonaten oder Denosumab treten bei Patienten mit  Osteoporose gelegentlich atypische Frakturen auf.

„Die Häufigkeit von hüftgelenksnahen, Osteoporose-bedingten Frakturen bei  Frauen liegt bei 400 Fällen bezogen auf 100.000 Personenjahre. Nach 2-jähriger  Bisphosphonat-Therapie treten bezogen auf den Zeitraum von 100.000 Personenjahren 2 atypische Femurfrakturen auf, nach 9-jähriger Therapie sind es  113 Fälle. Insgesamt machen diese atypischen Frakturen aber weniger als ein Prozent  der Osteoporose-assoziierten hüftgelenksnahen Frakturen aus“, stellte Neuerburg  klar.

Damit sind sie zwar selten, doch: „Bei Frakturen des Oberschenkels sollte immer auch an  einen Zusammenhang mit einer langjährigen Osteoporose-Therapie gedacht werden“,  betonte der Oberarzt und stellvertretende Sektionsleiter Alterstraumatologie an  der Ludwig-Maximilians-Universität München.

Patientin mit atypischer Fraktur des  Oberschenkels

Neuerburg berichtete von einer 55-jährigen Patientin, die sich mit immobilisierenden  Schmerzen im rechten Bein in der Notaufnahme vorstellte. Beim Einsteigen ins  Auto traten plötzlich heftige Schmerzen im Oberschenkel auf. Radiologisch  zeigte sich eine Femurschaft-Fraktur. Seit 2007 litt die Frau an einem  Multiplen Myelom (Stadium IIA), in der Computertomografie zeigten sich im  Becken kleinere Osteolysen; es lagen eine Panzytopenie und eine Hypothyreose  vor. Die Patientin hatte eine myeloablative Hochdosis-Chemotherapie und im  November 2011 eine autologe Stammzell-Transplantation erhalten.

Im Klinikum wurde die Fraktur durch eine Marknagel-Osteosynthese mit  aufgebohrtem, antegradem Nagel versorgt. „Radiologisch fiel eine suspekte  Verdickung der lateralen Femurkortikalis auf. Auffällig ist die Verdickung  deshalb, weil es sich bei der Fraktur um eine einfache Schrägfraktur handelte, bei  der solche Verdickungen normalerweise nicht auftreten“, so Neuerburg.

Im ausführlichen Gespräch berichtete die Patientin dann, dass sie seit etwa  einem Jahr Beschwerden im rechten Oberschenkel habe. Seit 8 Jahren erhält die  Patientin eine Langzeit-Osteoporose-Therapie mit Bisphosphonat (Zoledronat 4 mg,  4x im Jahr).

Was ist typisch für eine „atypische  Fraktur“?

Im Labor zeigte sich ein auffälliger Vitamin-D-Mangel der Patientin (25-OH  Vitamin D: 12,7 ng/ml). „Über 90 Prozent unserer älteren Patienten weisen einen  Vitamin-D-Mangel auf. Es ist deshalb sinnvoll, standardmäßig den Vitamin-D-Spiegel  zu testen“, empfiehlt Neuerburg.

 
Bei Frakturen des Oberschenkels sollte immer auch an einen Zusammenhang mit einer langjährigen Osteoporose-Therapie gedacht werden. PD Dr. Carl Neuerburg
 

Radiologisch sieht die Fraktur der Patientin einer Stress- oder  Insuffizienzfraktur ähnlich: „Ursache dafür ist meist ein insuffizienter  Knochenumbau. Und die Patienten haben in der Regel eine langjährige,  antiresorptive Therapie – basierend auf Bisphosphonaten oder auch auf Denosumab  hinter sich“, erklärte Neuerburg.

Überwiegend treten atypische Fakturen im Bereich des Oberschenkels auf,  dabei ist die atypische Femurfraktur meist subtrochantär. Weisen Patienten  hingegen intertrochantäre, periprothetische oder pathologische Frakturen  (infolge von Knochenmetastasen) auf, so schließe das die Diagnose „atypische  Fraktur“ aus.

Die atypische Femurfraktur (AFF) wurde 2010 von der Task Force der American Society  for Bone and Mineral Research (ASBMR) definiert. Für eine AFF müssen 5 Haupt-Kriterien  gesichert sein:

  • Fraktur ohne oder nach minimalem Trauma,

  • Frakturlinie beginnt lateral und zieht meist quer oder schräg nach medial,

  • komplette Fraktur (beide Kortikalices) oder inkomplette Fraktur (nur  laterale Kortikalis),

  • Fraktur ist nicht mehrfragmentär,

  • lateralseitige Verdickung der Kortikalis.


Keine Voraussetzung für die Diagnose atypische Femurfraktur sind hingegen  die untergeordneten Kriterien, die zwar sehr häufig, aber eben nicht immer  vorliegen:

  • generalisierte Verdickung der femoralen Kortikalis,

  • unilaterale oder bilaterale Prodromi wie Schmerzen an Oberschenkel oder  Leiste,

  • bilateral, inkomplette oder komplette Fraktur der Femurdiaphyse,

  • verzögerte Frakturheilung.


Im Bericht der ASBMR ist weiter ausgeführt, dass 70% der Patienten mit  atypischen Frakturen im Vorfeld über prätraumatische Beschwerden im betroffenen  Oberschenkel klagen und in der Regel eine Langzeit-Bisphosphonat oder Denosumab-Therapie  über mehr als 3 Jahre hinter sich haben. Ob die Langzeiteinnahme von Protonenpumpen-Inhibitoren  (PPI) und eine langjährige Glukokortikoid-Therapie die Entstehung von  atypischen Frakturen begünstigen, wird diskutiert.

Vitamin-D-Supplementation und Anhebung des  Kalzium-Spiegels

In Anbetracht des multiplen Myeloms kam bei der 55-jährigen Patientin ein  Switchen auf eine osteoanabole Therapie nicht infrage. Stattdessen erfolgte  eine Osteoporose-Basistherapie in Form einer Vitamin-D-Supplementierung (Dekristol®  20.000 IE/1x pro Woche) und eine Kalzium-Anhebung auf 2,45 mmol/l (zu Behandlungsbeginn  lag der Kalzium-Spiegel bei 2,10 mmol/l).

Eine prophylaktische Stabilisierung des Femurknochens der Gegenseite wurde  der Patientin angeboten, von ihr aber abgelehnt. Die Medikation wurde  angepasst: In Absprache mit dem Hämato-Onkologen und dem Endokrinologen wurden  PPI, Bisphosphonate und Glukokortikoide für 6 Wochen abgesetzt. Nach eineinhalb  Monaten wurde die antiresorptive Therapie mit Denosumab fortgesetzt. Nach 6 Monaten  war die Fraktur ausgeheilt, eine erneute Stammzelltransplantation ist geplant. „Der  Vitamin-D-Spiegel bei der Patientin könnte noch ein wenig angehoben werden, auf  über 30 mg/ml. Insgesamt aber hat der Fall doch noch einen guten Verlauf  genommen“, schloss Neuerburg.



REFERENZEN:

1. 123. Kongress der  Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM), 29. April bis  2. Mai 2017, Mannheim

Kommentar

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