Mannheim – Auf eine seltene, aber erhebliche Folge der antiresorptiven Osteoporose-Therapie machte PD Dr. Carl Neuerburg auf der 123. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM) aufmerksam [1]. Denn unter der Langzeitgabe von Bisphosphonaten oder Denosumab treten bei Patienten mit Osteoporose gelegentlich atypische Frakturen auf.
„Die Häufigkeit von hüftgelenksnahen, Osteoporose-bedingten Frakturen bei Frauen liegt bei 400 Fällen bezogen auf 100.000 Personenjahre. Nach 2-jähriger Bisphosphonat-Therapie treten bezogen auf den Zeitraum von 100.000 Personenjahren 2 atypische Femurfrakturen auf, nach 9-jähriger Therapie sind es 113 Fälle. Insgesamt machen diese atypischen Frakturen aber weniger als ein Prozent der Osteoporose-assoziierten hüftgelenksnahen Frakturen aus“, stellte Neuerburg klar.
Damit sind sie zwar selten, doch: „Bei Frakturen des Oberschenkels sollte immer auch an einen Zusammenhang mit einer langjährigen Osteoporose-Therapie gedacht werden“, betonte der Oberarzt und stellvertretende Sektionsleiter Alterstraumatologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München.
Patientin mit atypischer Fraktur des Oberschenkels
Neuerburg berichtete von einer 55-jährigen Patientin, die sich mit immobilisierenden Schmerzen im rechten Bein in der Notaufnahme vorstellte. Beim Einsteigen ins Auto traten plötzlich heftige Schmerzen im Oberschenkel auf. Radiologisch zeigte sich eine Femurschaft-Fraktur. Seit 2007 litt die Frau an einem Multiplen Myelom (Stadium IIA), in der Computertomografie zeigten sich im Becken kleinere Osteolysen; es lagen eine Panzytopenie und eine Hypothyreose vor. Die Patientin hatte eine myeloablative Hochdosis-Chemotherapie und im November 2011 eine autologe Stammzell-Transplantation erhalten.
Im Klinikum wurde die Fraktur durch eine Marknagel-Osteosynthese mit aufgebohrtem, antegradem Nagel versorgt. „Radiologisch fiel eine suspekte Verdickung der lateralen Femurkortikalis auf. Auffällig ist die Verdickung deshalb, weil es sich bei der Fraktur um eine einfache Schrägfraktur handelte, bei der solche Verdickungen normalerweise nicht auftreten“, so Neuerburg.
Im ausführlichen Gespräch berichtete die Patientin dann, dass sie seit etwa einem Jahr Beschwerden im rechten Oberschenkel habe. Seit 8 Jahren erhält die Patientin eine Langzeit-Osteoporose-Therapie mit Bisphosphonat (Zoledronat 4 mg, 4x im Jahr).
Was ist typisch für eine „atypische Fraktur“?
Im Labor zeigte sich ein auffälliger Vitamin-D-Mangel der Patientin (25-OH Vitamin D: 12,7 ng/ml). „Über 90 Prozent unserer älteren Patienten weisen einen Vitamin-D-Mangel auf. Es ist deshalb sinnvoll, standardmäßig den Vitamin-D-Spiegel zu testen“, empfiehlt Neuerburg.
Radiologisch sieht die Fraktur der Patientin einer Stress- oder Insuffizienzfraktur ähnlich: „Ursache dafür ist meist ein insuffizienter Knochenumbau. Und die Patienten haben in der Regel eine langjährige, antiresorptive Therapie – basierend auf Bisphosphonaten oder auch auf Denosumab hinter sich“, erklärte Neuerburg.
Überwiegend treten atypische Fakturen im Bereich des Oberschenkels auf, dabei ist die atypische Femurfraktur meist subtrochantär. Weisen Patienten hingegen intertrochantäre, periprothetische oder pathologische Frakturen (infolge von Knochenmetastasen) auf, so schließe das die Diagnose „atypische Fraktur“ aus.
Die atypische Femurfraktur (AFF) wurde 2010 von der Task Force der American Society for Bone and Mineral Research (ASBMR) definiert. Für eine AFF müssen 5 Haupt-Kriterien gesichert sein:
Fraktur ohne oder nach minimalem Trauma,
Frakturlinie beginnt lateral und zieht meist quer oder schräg nach medial,
komplette Fraktur (beide Kortikalices) oder inkomplette Fraktur (nur laterale Kortikalis),
Fraktur ist nicht mehrfragmentär,
lateralseitige Verdickung der Kortikalis.
Keine Voraussetzung für die Diagnose atypische Femurfraktur sind hingegen die untergeordneten Kriterien, die zwar sehr häufig, aber eben nicht immer vorliegen:
generalisierte Verdickung der femoralen Kortikalis,
unilaterale oder bilaterale Prodromi wie Schmerzen an Oberschenkel oder Leiste,
bilateral, inkomplette oder komplette Fraktur der Femurdiaphyse,
verzögerte Frakturheilung.
Im Bericht der ASBMR ist weiter ausgeführt, dass 70% der Patienten mit atypischen Frakturen im Vorfeld über prätraumatische Beschwerden im betroffenen Oberschenkel klagen und in der Regel eine Langzeit-Bisphosphonat oder Denosumab-Therapie über mehr als 3 Jahre hinter sich haben. Ob die Langzeiteinnahme von Protonenpumpen-Inhibitoren (PPI) und eine langjährige Glukokortikoid-Therapie die Entstehung von atypischen Frakturen begünstigen, wird diskutiert.
Vitamin-D-Supplementation und Anhebung des Kalzium-Spiegels
In Anbetracht des multiplen Myeloms kam bei der 55-jährigen Patientin ein Switchen auf eine osteoanabole Therapie nicht infrage. Stattdessen erfolgte eine Osteoporose-Basistherapie in Form einer Vitamin-D-Supplementierung (Dekristol® 20.000 IE/1x pro Woche) und eine Kalzium-Anhebung auf 2,45 mmol/l (zu Behandlungsbeginn lag der Kalzium-Spiegel bei 2,10 mmol/l).
Eine prophylaktische Stabilisierung des Femurknochens der Gegenseite wurde der Patientin angeboten, von ihr aber abgelehnt. Die Medikation wurde angepasst: In Absprache mit dem Hämato-Onkologen und dem Endokrinologen wurden PPI, Bisphosphonate und Glukokortikoide für 6 Wochen abgesetzt. Nach eineinhalb Monaten wurde die antiresorptive Therapie mit Denosumab fortgesetzt. Nach 6 Monaten war die Fraktur ausgeheilt, eine erneute Stammzelltransplantation ist geplant. „Der Vitamin-D-Spiegel bei der Patientin könnte noch ein wenig angehoben werden, auf über 30 mg/ml. Insgesamt aber hat der Fall doch noch einen guten Verlauf genommen“, schloss Neuerburg.
REFERENZEN:
1. 123. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM), 29. April bis 2. Mai 2017, Mannheim
Medscape Nachrichten © 2017 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: Atypische Femurfraktur – seltene, aber mögliche Folge einer Langzeittherapie bei Osteoporose - Medscape - 17. Mai 2017.
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