Ein neuer Bluttest, der auf dem schnellen Nachweis von 3 Proteinen beruht, kann Säuglingen und Kleinkindern unnötige Antibiotika-Gaben ersparen. Zu diesem Schluss kommen Chantal B. van Houten, Division of Paediatric Immunology and Infectious Diseases am University Medical Centre Utrecht, Niederlande, und Kollegen, in ihrer in Lancet Infectious Diseases publizierten Studie [1].
„Diese Diagnostik, basierend auf CRP, TRAIL und IP-10, hat das Potenzial, unnötige Einnahmen von Antibiotika bei Kleinkindern zu reduzieren“, erklären die Wissenschaftler. Neben dem C-reaktiven Protein (CRP), das Pädiater schon seit Jahrzehnten bei kranken Kindern ermitteln, spielen beim neuen Bluttest ImmunoXpertTM die Proteine TRAIL (TNF-related apoptosis-inducing ligants) und IP-10 (Interferon γ induced protein) eine Rolle.
„Es ist eine gute Studie mit einem vernünftigen Design und einer überzeugenden Fallzahl“, kommentiert Prof. Dr. Reinhard Berner, Klinikdirektor der Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendmedizin am Universitätsklinikum Dresden und 2. Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie (DGPI). Trotzdem, kritisiert er, zögen die Autoren Folgerungen, die nicht durch die erhobenen Daten gerechtfertigt seien. Denn: „Die klinisch relevante Frage, ob sich mithilfe von CRP, TRAIL und IP-10 ermitteln lässt, ob ein krankes Kind Antibiotika braucht oder nicht, beantwortet diese Studie nicht. Dafür war das Design der Studie nicht gemacht.“
Sie zeige nur, dass die Werte bei Kindern mit mutmaßlich bakteriellen Infektionen anders sind als bei Kindern mit mutmaßlich viralen. „Im Übrigen ergibt sich auch nur ein minimaler Vorsprung des neuen Tests gegenüber dem normalen CRP-Test, den wir seit 40 Jahren einsetzen“, so Berner. An der gängigen klinischen Praxis in Deutschland werde sich durch diese Studie erst einmal nichts ändern.
577 Babys und Kleinkinder, viele Tests und ein Pädiater-Panel
Der CRP-Wert steigt bei bakteriellen Erkrankungen an, bei viralen in der Regel nicht. Da die Trennschärfe aber nicht besonders gut ist und der Wert unter anderem auch bei rheumatischen oder chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen erhöht ist, ist es sinnvoll, zusätzliche Marker zu ermitteln und in klinischen Studien zu prüfen. Der Bluttest ImmunoXpertTM, der vom israelischen Unternehmen MeMed hergestellt wird, misst zusätzlich IP-10 – dessen Wert steigt bei viralen und bakteriellen Infektionen gleichermaßen an, aber nicht bei Rheuma oder CED – sowie das Protein TRAIL, dessen Wert bei bakteriellen Infektionen sinkt.
Binnen 99 Minuten soll der neue Kombi-Test die Frage „Bakterielle oder virale Infektion?“ zuverlässig beantworten, versprechen die Hersteller. In der EU ist der Test zugelassen, aber noch in der Einführungsphase. 2015 wurde eine erste große Studie dazu publiziert – finanziert vom Unternehmen MeMed –, an der 432 Kinder und Jugendliche sowie 333 Erwachsene aus Israel teilnahmen. Die Ergebnisse sollen bestätigt haben, dass der Index-Test zuverlässig anzeigen kann, ob eine virale oder bakterielle Infektion vorliegt.
Van Houten und ihre Kollegen wollten nun prüfen, ob sich der Test auch für unter 5-Jährige eignet. Auch ihre Studie wurde vom Hersteller finanziell unterstützt. Die Wissenschaftler rekrutierten zwischen 2013 und 2015 an 4 niederländischen und 2 israelischen Kliniken Eltern mit Kindern im Alter von 2 bis 60 Monaten. Die jungen Patienten mussten grundsätzlich gesund sein – also unter anderem frei von Immundefekten, Krebs oder Hepatitis B und C.
Ihre Körpertemperatur musste bei der Erstuntersuchung über 38 Grad Celsius liegen und sie durften nicht länger als 6 Tage krank sein. Insgesamt handelte es sich um 577 Kindern, 56% davon Jungs, die im Schnitt 21 Monate alt waren.
Alle wurden untersucht und es wurde ein Nasenabstrich und Blut abgenommen. Das Blut wurde zum einen mit dem Index-Test untersucht, zum anderen mit CRP- und Procalcitonin-Tests. Parallel dazu bekam ein Expertenpanel aus erfahrenen Kinderärzten die elektronischen Patientenakten der Patienten verblindet vorgelegt, in der sich unter anderem demographische Angaben, Ergebnisse der körperlichen Untersuchungen, Laborwerte und Bildgebung (falls erfolgt) fanden. Die Ergebnisse der Index-Tests erfuhren sie jedoch nicht.
Sensitivität 87 Prozent, Spezifität 91 Prozent
Pro Kind teilten 3 Pädiater ihre Diagnose mit den Studienautoren – entweder „bakteriell“, „viral“ oder „uneindeutig“. Kinder, die virale und bakterielle Erreger aufwiesen, wurden der Gruppe „bakterielle Infektion“ zugeordnet.
71 Kinder erhielten von den Ärzten die Diagnose „bakterielle Infektion“, 435 die Diagnose „virale Infektion“, bei 71 Kindern waren die Experten sich nicht einig. Anschließend verglichen die Autoren die Diagnosen des Expertenpanels mit den Ergebnissen des Index-Tests. Von den 71 vom Expertenpanel als bakteriell erkrankt diagnostizierten Kindern hatten auch laut Index-Test 52 eine bakterielle Infektion, 8 jedoch eine virale. Bei 11 Kindern war das Ergebnis uneindeutig. Bei den 435 laut Expertenpanel viral erkrankten Kindern bestätigten die Index-Tests in 349 Fällen dieses Ergebnis, bei 34 Kindern sprach der Index-Test für eine bakterielle Infektion, bei 52 war das Testergebnis uneindeutig.
Aus allen 443 Fällen, bei denen sowohl das Panel als auch der Index-Test ein eindeutiges Ergebnis gehabt hatten, berechneten die Autoren Sensitivität und Spezifität des Tests. Sie ermittelten eine Sensitivität von 86,7% (95%-Konfidenzintervall: 75,8–93,1%), eine Spezifität von 91,1% (87,9–93,6%), einen positiven prädiktiven Wert von 60,5% (49,9–70,1%) und einen negativen prädiktiven Wert von 97,8% (95,6–98,9%).
Insgesamt, betonen die Autoren, habe ImmunoXpertTM sehr gut abgeschnitten. Sie verglichen die Aussagekraft – in Form von Area-under-the-Curve(AUC)-Berechnungen zu Spezifität und Sensitivität – mit der der bewährten CRP- und Procalcitonin-Tests. „Wir fanden heraus, dass die AUC des Index-Tests sich von der des CRP-Tests nicht unterschied, aber signifikant höher war als die AUC für Procalcitonin.“ Zudem: „Der Index-Test reduzierte die Anzahl falsch positiver Testergebnisse von 67 auf 34 (51%), verglichen mit CRP, und von 55 auf 32 (58%), verglichen mit Procalcitonin (beide p ˂ 0,0001)“.
Die entscheidenden Fragen bleiben unbeantwortet
„Grundsätzlich“, kommentiert Berner, „ist diese Studie gut gemacht und vernünftig durchgeführt und zeigt, dass ein solcher Test wohl tatsächlich das Potenzial haben kann, die Antibiotikagabe zu reduzieren. Doch reiht sie sich in eine Vielzahl von Studien ein, die immer neue Parameter zur Diagnostik viraler oder bakterieller Infektionen testen und signifikante Unterschiede zeigen können, aber zu der eigentlichen klinisch relevanten Fragestellung der diagnostischen Treffsicherheit mit Implikationen für konkrete Therapieentscheidungen viele Fragen offen lassen.“
Diese seien zum Beispiel:
Ab welchen Werten kann der Arzt auf eine antibiotische Behandlung verzichten und wann muss er andererseits so behandeln?
Wie sicher ist es überhaupt, die Behandlung aufgrund dieser Parameter zu steuern?
Dazu sage die niederländisch-israelische Studie nichts aus. Nicht zu vergessen: Immerhin 8 Studienteilnehmer waren trotz eines Testergebnisses, das für Viren als Krankheitsauslöser sprach, bakteriell erkrankt – dies bestätigten weitere diagnostische Tests und auch das Ansprechen der Patienten auf Antibiotika.
Berner ergänzt: „Gezeigt wird in Studien wie dieser nur, dass bestimmte Parameter mit mal etwas besserer, mal etwas schlechterer Sensitivität und Spezifität zwischen Virusinfektionen und bakteriellen Infektionen unterscheiden können. Wir brauchen jedoch Studien, die für diese Parameter von bestimmten Schwellenwerten ausgehen und danach prüfen, ob sich Therapieentscheidungen danach ausrichten lassen.“
Als Positivbeispiel für eine nach dieser Fragestellung designte Studie nennt er eine belgische Arbeit aus 2016, die ergab, dass CRP-Tests in der Primärversorgung, z.B. in der Kinderarztpraxis, dazu beitragen können, Krankenhauseinweisungen zu vermeiden. Sie zeigt auch, dass solche Tests Kindern mit besonders starken Symptomen oder weiteren Risikofaktoren vorbehalten bleiben können. Nicht zu vergessen ist dabei, dass unnötige Bluttests auch eine Belastung für die jungen Patienten darstellen – und, aufgrund ihrer Kosten, für das ganze Gesundheitssystem.
„Am Ende bleibt es dabei, das wesentliche Kriterium ist die klinische Einschätzung durch den erfahrenen Kinderarzt“, meint Berner abschließend. „Bluttests können allenfalls Entscheidungen unterstützen. Für den Moment ist das gute alte CRP wohl noch der zuverlässigste Helfer. Wir jedenfalls“, betont er, „arbeiten aktuell nicht mit dem neuen Test, und diese Studie wird auch nichts daran ändern.“
REFERENZEN:
1. Van Houten CB, et al: Lancet Infect Dis 2017;17:431-440
Medscape Nachrichten © 2017 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: Bakterien oder Viren: Erspart ein neuer Bluttest Kindern unnötige Antibiotika-Therapien? - Medscape - 16. Mai 2017.
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