Schluckstörungen im Alter – oft nicht erkannt und unterschätzt: Experten-Tipps zum Management

Dr. Klaus Fleck

Interessenkonflikte

15. Mai 2017

Mannheim –Schluckstörungen sind zwar bei neurologischen und besonders bei geriatrischen Patienten weit verbreitet, sie werden aber trotzdem häufig nicht ausreichend erkannt und therapiert. Doch kann die frühzeitige Diagnose oropharyngealer Dysphagien und deren geeignetes Management nicht nur die Lebensqualität der Patienten bessern, sondern sogar dazu beitragen, lebensbedrohliche Situationen zu vermeiden. Was es dabei zu beachten gilt, erläuterten Experten bei der 123. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM) in Mannheim [1].

Dr. Martin Jäger

„Die Anzahl von Dysphagie-Patienten in der Allgemeinbevölkerung über 65 Jahre in Deutschland beträgt nach einer Hochrechnung des Statistischen Bundesamts mehr als 6 Millionen, wobei die Prävalenz aufgrund der demographischen Entwicklung weiter zunimmt“, machte Dr. Martin Jäger von Hüttenhospital Dortmund, Vorsitzender der Arbeitsgruppe Dysphagie der Deutschen Gesellschaft für Geriatrie, das Ausmaß des Problems deutlich.

Besonders häufig ist die Dysphagie bei Patienten mit Schlaganfall, Parkinson-Syndrom oder Demenz. Nicht selten begünstigen mehrere Grunderkrankungen eine Dysphagie und auch Medikamente können Schluckstörungen fördern. Und auch das Lebensumfeld spielt eine Rolle. Laut Jäger beträgt die Dysphagie-Prävalenz bei Altenheimbewohnern mehr als 50%, bei geriatrischen Krankenhauspatienten sogar mehr als 70%.

Malnutrition und Dehydratation und deren Folgen

Klinisch relevante Komplikationen sind natürlich Malnutrition und Dehydratation: „Mögliche Folgen der Malnutrition wiederum sind schlechtere Immunkompetenz, erhöhtes Sturz- und Frakturrisiko, allgemein schlechtere Prognose sowie eine längere Verweildauer und ein deutlich erhöhtes Mortalitätsrisiko in der Klinik“, sagte der Dortmunder Geriater.

 
Die Anzahl von Dysphagie-Patienten in der Allgemeinbevölkerung über 65 Jahre in Deutschland beträgt … mehr als 6 Millionen. Dr. Martin Jäger
 

Dehydratation und Exsikkose verstärken z.B. auch demenzielle Syndrome und können sich ungünstig auf die Pharmakotherapie auswirken. Allerdings: Wer die Nahrungsmittelbeschaffenheit an die Schluckfähigkeit anpasst (es z.B. püriert) wirkt diesen Folgen nicht unbedingt entgegen. Denn wenn das Essen dadurch geschmacklich und optisch verliert, kann auch dies zur Malnutrition beitragen, gab Jäger zu bedenken.

Aspirationspneumonie bedeutet hohe Mortalitätsrate

Dramatisch können die Folgen sein, wenn durch die Dysphagie die Sicherheit des Schluckakts eingeschränkt ist. Typische Komplikationen sind Aspirationspneumonie (bei bis zu jedem 2. Dysphagie-Patienten; mit einer Mortalitätsrate von bis zu 70%) und Atemwegsobstruktionen durch Bolusaspiration bis hin zum akuten Bolustod.

Dr. Tanja Rittig

„Um lebensbedrohliche Komplikationen zu vermeiden, ist es deshalb entscheidend, Risikopatienten frühzeitig zu identifizieren“, betonte der Dortmunder Internist und Geriater. Ein geeignetes (standardisiertes und gut etabliertes) Dysphagie-Management könne die Pneumonie- und Mortalitätsrate relativ um 70 bis 80% senken.

Standardisierte Diagnostik zur Früherkennung

Mit der Dysphagie-Früherkennung scheint es allerdings nicht zum Besten bestellt: „Schluckstörungen werden häufig unterschätzt, weil Symptome fehlen, untypisch oder vieldeutig sind“, erklärte die Diplom-Sprachheilpädagogin Dr. Tanja Rittig vom Hüttenhospital Dortmund. Patienten mit Schluckstörungen hätten selbst oft nur eine eingeschränkte Empfindung und Wahrnehmung. Oft fehle es bei Patienten und Betreuungspersonen auch am Bewusstsein für die Erkrankung, weil sie nicht ausreichend aufgeklärt seien. Sie empfahl gezieltes Nachfragen und eine gezielte Diagnostik.

„Risikopatienten können mit einer standardisierten Dysphagie-Diagnostik identifiziert werden, wie sie z.B. die Dysphagie-Zentren einer ganzen Reihe von Kliniken anbieten“, so Rittig. „Ziel dabei ist, Untersuchungsergebnisse in das individuelle Gesamtbild des Patienten einzubetten und im Rahmen des Dysphagie-Managements mit konkreten therapeutischen Konsequenzen zu verknüpfen.“

 
Um lebensbedrohliche Komplikationen zu vermeiden, ist es deshalb entscheidend, Risikopatienten frühzeitig zu identifizieren. Dr. Martin Jäger
 

Gewichtsabnahme und Atemwegsinfektionen können Hinweise sein

Zur Anamnese gehören Fragen nach relevanten Vorerkrankungen, aktueller Ernährung, Angst vor dem Verschlucken oder Schwierigkeiten bei der Medikamenteneinnahme. Klinische Hinweise auf eine Dysphagie können auch Kauprobleme, eine belegte Stimme, häufige Atemwegsinfekte oder Gewichtsabnahme (durch Malnutrition) sein.

Das klinische Dysphagie-Screening zur Risikostratifizierung findet Rittig zufolge heute meist in Anlehnung an die Schottische Dysphagie-Leitlinie 2010 statt und schließt, wenn möglich, auch einen Wasserschlucktest ein. Räuspern, Husten oder Stimmveränderungen nach dem Schlucken des Wassers können Hinweise auf eine Dysphagie sein.

Endoskopische Untersuchungen geben genaueres Bild

Für die genauere apparative Diagnostik stehen insbesondere die Verfahren VFSS (Videofluoroskopie, Videofluoroscopic Swallowing Study) und FEES (Fiberoptic Endoscopic Evaluation of Swallowing) zur Verfügung. „Sowohl die VFSS als auch die FEES haben einen sofortigen klinischen Nutzen“, erklärte Rittig, „sodass nach ihrer Auswertung eine direkte Aussage zur weiteren Ernährung getroffen, ein Behandlungsplan aufgestellt und die Effektivität von Schlucktechniken überprüft werden kann.“

 
Eine gute Alternative kann dann die Reduktion des Trinkvolumens unter Verwendung eines Dysphagie-Bechers mit besonders kleiner Trinköffnung sein. Jochen Keller
 

Die mittels bildgebender Diagnostik erstellten Befunde und die verordneten therapeutischen und diätetischen Maßnahmen können in einem Dysphagie-Pass dokumentiert werden. Dieser ist dann eine wichtige Informationsquelle für den betreuenden Haus- oder Facharzt und kann von diesem ebenso ergänzt werden.

Jochen Keller

Interdisziplinäre Dysphagie-Therapie

„Die Therapie der Dysphagie muss – insbesondere in der Geriatrie – stets fachkompetent begleitet und interdisziplinär ausgerichtet sein“, betonte Diplom-Sprachheilpädagoge Jochen Keller vom St. Martinus-Krankenhaus Düsseldorf. Das bedeutet, dass sie neben logopädischen Maßnahmen auch die allgemein- und fachärztliche Betreuung einschließt – etwa im Hinblick auf die Pharmakotherapie, falls Einflüsse von dieser auf die Schluckstörung zu vermuten sind.

Die logopädische Schlucktherapie steht auf 2 Säulen, wie Keller erläuterte:

  • Kompensatorisch-adaptive Methoden (Haltungsänderungen, Schlucktechniken, Modifikation der Speisenkonsistenz, Ess- und Trinkhilfen) haben das Ziel, eine Aspiration zu vermeiden und den Bolustransfer zu verbessern.

  • Als 2. Säule können restituierende, kausale Methoden (tonusregulierende Maßnahmen und Muskelfunktionstraining) die Funktion des Schluckakts selbst verbessern.

Spezielle Hilfsmittel und Schlucktechniken

Einfache Hilfsmittel sind etwa spezielle Dysphagie-Trinkbecher, die es erlauben, den Kopf beim Trinken nicht zu weit nach hinten nehmen zu müssen, sondern auch bei anteflektierter Kopfhaltung trinken zu können. „Das Einüben von Schlucktechniken – wie bewusstes Luftanhalten zur Atemwegsprotektion – kann z.B. während einer endoskopischen Untersuchung durch Biofeedback-Verfahren unterstützt werden“, erklärte Keller. Solche Techniken sind unter Umständen auch für das Schlucken von Tabletten wichtig. Wenn Nahrung püriert wird, sollte sie für eine bessere Akzeptanz geschmacklich und optisch möglichst abwechslungsreich präsentiert werden.

Da besonders Flüssigkeiten bei einer Dysphagie ein Aspirationsrisiko darstellen, werden sie oft angedickt. „Ein großer Nachteil des Andickens“, so der Düsseldorfer Experte, „ist allerdings die nur sehr geringe Akzeptanz bei den Patienten. Eine gute Alternative kann dann die Reduktion des Trinkvolumens unter Verwendung eines Dysphagie-Bechers mit besonders kleiner Trinköffnung sein.“ Beispiele für restituierende Verfahren zur Dysphagie-Therapie sind etwa ein Training zur Kräftigung der facio-oralen Muskulatur, die Thermosondenstimulation der vorderen Gaumenbögen mit Kälte oder das Ausatmungstraining EMST (Expiratory muscle strength training).

 
Auch die Modifikation der Pharmakotherapie kann eine Schluckstörung günstig beeinflussen. Jochen Keller
 

„Auch die Modifikation der Pharmakotherapie kann eine Schluckstörung günstig beeinflussen“, erklärte Keller. Er erläuterte dies anhand des Beispiels eines Patienten mit Verdacht auf Hirnstamminfarkt: Dieser litt unter Risperidon an einer akuten schwere Dysphagie, die sich 72 Stunden nach Absetzen des Neuroleptikums erheblich verbessert hatte. Auch in Bezug auf Patienten mit Morbus Parkinson könne eine Aufdosierung der L-Dopa-Therapie in manchen Fällen das Schlucken verbessern.

Ärzte sollten das Thema beim Pflegeheimpersonal ansprechen

Sensibilisierungsbedarf für das Thema Dysphagie sieht Keller bei allen Berufsgruppen, die an der Versorgung älterer Patienten beteiligt sind. „Insbesondere in Pflegeheimen ist die Kommunikation zwischen Arzt und Pflegepersonal immens wichtig. Während Pflegekräfte Auffälligkeiten im Hinblick auf das Schlucken sehr viel eher wahrnehmen, weil sie die Patienten täglich bei der Nahrungsaufnahme begleiten, können Ärzte auch entsprechend zeitnah eine apparative Diagnostik veranlassen“, sagte Keller gegenüber Medscape. Er rät den Ärzten deshalb dazu, auch gezielt beim Personal nachfragen, ob mit der Nahrungsaufnahme ihrer Patienten alles in Ordnung ist.



REFERENZEN:

1. 123. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM), 29. April bis 2. Mai 2017, Mannheim

Kommentar

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