Der Bremer Pharmakologe Prof. Dr. Bernd Mühlbauer glaubt, dass Patienten für Antibiotika höhere Preise zahlen würden, wenn dadurch gute Produktionsbedingungen garantiert würden. „Ich würde als Patient durchaus 30 statt 15 Euro für meine Antibiotika-Therapie akzeptieren, wenn ich wüsste, dass das Medikament unter hervorragend überwachten Bedingungen in Irland produziert wurde und nicht unter zweifelhaften Bedingungen in Indien.“ Mühlbauer ist im Vorstand der Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft. Er spricht im Zusammenhang mit Antibiotika-verunreinigten Abwässern in Indien von einer „Zeitbombe“.

Prof. Dr. Bernd Mühlbauer
Gefahr eines Supererregers
Die Massenware Antibiotika wird mancherorts in Indien unter unsäglichen Umweltbedingungen hergestellt. Das belegt ein kürzlich veröffentlichter Bericht des Rechercheverbundes aus NDR, WDR und der Süddeutschen Zeitung. In dem Bericht heißt es, dass Hersteller von Antibiotika im indischen Hyderabad Abwässer und Reste der Antibiotika-Herstellung ungeklärt wegschütten. Die Folge: Die in die Umwelt gelangten antibiotischen Abwässer machen viele Bakterien, die sich in der Umwelt finden, resistent. Infiziert sich nun ein Mensch mit diesen Keimen, hilft ihm kein Antibiotikum mehr. Die Journalisten sprechen gar vom möglichen Supererreger, der durch diese Umweltverschmutzung droht und sich weltweit ausbreiten könnte.
Rund 200 pharmazeutische Betriebe arbeiten in Hyderabad, eine Region, die sich die „Gesundheits-Hauptstadt“ Indien nennt. Werbeslogan: „Minimale Kontrolle – maximale Förderung“. Produkte aus Hyderabat werden z.B. über die Firmen Hexal, Stada oder Ratiopharm auch in deutschen Apotheken verkauft.
Das deutsche Rechercheteam ließ durch den Leipziger Infektionsbiologen Prof. Dr. Christoph Lübbert 28 Proben an Abwasserkanälen, Seeufern und auch aus Wasserhähnen der Stadt ziehen und vom mikrobiologischen Institut des Universitätsklinikums Leipzig untersuchen. Tatsächlich fanden sich in den Proben Antibiotika-Reste – zum Beispiel bei dem Antibiotikum Moxifloxacin mit einer Menge von fast 700 Mikrogramm pro Liter lag diese 5.500 mal höher als der Grenzwert, ab dem sich Resistenzen bilden [1].
Zwar werde die Produktion in den Fabriken von Deutschland aus kontrolliert – nicht aber die Entsorgung von Abwässern, heißt es in dem Bericht.
Die Zeitbombe entschärfen
Das Problem sei die Zweiteilung des Arzneimittelmarktes hierzulande, meint Mühlbauer. „Einerseits erzielen die Hersteller von Antibiotika unter dem ökonomischen Druck der Preisverhandlungen oft nur noch wenige Cent Gewinn pro Tablette. Andererseits akzeptiert es unsere Gesellschaft, dass die forschenden Arzneimittelhersteller Medikamente vertreiben können mit Jahrestherapiekosten von vielen Zehntausend Euro pro Patient.“ Da werde mit den teuren Nischen-Produkten („Niche-Busters“), also sehr teuren Arzneimitteln gegen seltenere Krankheiten – etwa Hepatitis, bestimmte Krebsarten oder Psoriasis – das große Geld gemacht.
Ein weiteres Problem für die Hersteller: Antibiotika werden nur kurzfristig eingesetzt. „Sie werden selten länger als 10 bis 14 Tage verordnet, dann ist hoffentlich die Infektion vorbei“, sagt Mühlbauer. „Das ist gut für die Patienten, aber schlecht für die Hersteller. Sie verkaufen damit weniger.“ Die Niche-Busters dagegen sind um ein Vielfaches teurer und werden unter Umständen dem Patienten über Jahre hinaus verordnet. „Das bringt das richtig große Geld“.
Nicht zuletzt deswegen lahmt auch die Forschung. Neue Antibiotika werden von den großen Herstellern wegen der geringen Gewinne kaum noch entwickelt. „Wir zehren heute von den Durchbrüchen in den 70er- und 80er-Jahren“, sagt Mühlbauer. „Zum Beispiel bei den Cephalosporinen oder den Aminopenicillinen. In den letzten 15 Jahren sind wir, was neue Antibiotika angeht, aber nur noch in Trippelschritten vorangekommen.“
Mühlbauers Vorschlag dagegen: Die Preisverhandlungen bei bestimmten Medikamentengruppen überdenken – angesichts der aufgedeckten Produktionsbedingungen in Indien und der Gefahr, eines Tages einen Supererreger auch in Deutschland zu haben. „Ich denke da an Share-Risk-Modelle. Die Politik muss hier handeln, damit bestimmte Medikamentengruppen wie Antibiotika von der Verpflichtung der Kassen, ausschließlich den niedrigsten Preis zu zahlen, ausgenommen werden können. Der Einzelne muss für sichere Qualität auch nicht dazu zahlen, wenn die Preisexplosion bei Niche-Buster-Präparaten wirksam eingedämmt wird.“
Zuletzt, so Mühlbauer, sei die Abhängigkeit von einzelnen Herstellern in Schwellenländern fatal. „Wenn da mal eine Fabrik abbrennt – und das ist geschehen – dann sind die dort produzierten Stoffe unter Umständen Monate lang weltweit nicht verfügbar.“
Strenger prüfen
Martina Stamm-Fibich, Gesundheitsexpertin der CDU Bundestagsfraktion, ist allerdings weit davon entfernt, den Gesetzgeber zu fordern, um das Problem zu lösen. Sie sieht die Hersteller in der Pflicht. „Ich appelliere mit Nachdruck an die Pharma-Industrie, sich an international geltende Umwelt- und Sozialstandards zu halten“, so Stamm-Fibich auf Anfrage von Medscape.
Kein Unternehmen werde dazu gezwungen, Generika so billig herzustellen, dass sie nur unter unhygienischen Bedingungen produziert werden könnten. „Es gibt nach wie vor Unternehmen, die in Deutschland und Europa sauber und gewinnbringend produzieren. Aus meiner Sicht schieben Teile der Industrie nun die Rabattverträge als Ausrede vor, um über das eigene Fehlverhalten hinwegzutäuschen. Das Problem liegt wohl eher darin, dass Teile der Industrie Regeln nicht einhalten, um ihre Profite zusätzlich zu steigern.“
Apotheker Simon Brinkmann sieht das ähnlich. Er war früher Herstellerapotheker bei mehreren Arzneimittelherstellern. „Auch wenn die Rabattverträge nicht so streng wären, würden die Hersteller in Indien produzieren lassen“, sagt Simon zu Medscape. Denn die Hersteller wollten ihren Gewinn maximieren. „Was wir brauchen, sind deshalb bessere und häufigere Kontrollen der indischen Bedingungen von Europa aus, am besten nach weltweit gültigen Standards, die nicht nur die Qualität der Produkte prüft, sondern auch die Umstände der Produktion.“
REFERENZEN:
1. Lübbert C, et al: Infection (online) 26. April 2017
Medscape Nachrichten © 2017 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: Antibiotika-verunreinigte Abwässer indischer Pharmahersteller: Experte warnt vor „Zeitbombe“ und weltweiten Resistenzen - Medscape - 10. Mai 2017.
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