Mannheim – Die Koloskopie ist der Goldstandard zur Entdeckung kolorektaler Läsionen und ein wichtiges Screening-Instrument bei der Darmkrebs-Prävention. Allerdings ist die endoskopische Darmspiegelung in der Bevölkerung nicht sonderlich beliebt, da es sich um einen invasiven Eingriff handelt. „Als mit der virtuellen Koloskopie ein alternatives, nicht-invasives Verfahren verfügbar war, gab es darum noch vor wenigen Jahren einen regelrechten Hype“, berichtete Prof. Dr. Thomas Lauenstein, Evangelisches Krankenhaus Düsseldorf, auf der 123. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM) in Mannheim [1].

Prof. Dr. Thomas Lauenstein
Die Begeisterung – gemessen an der Zahl der jährlichen Publikationen zur virtuellen Koloskopie – hat seitdem zwar merklich nachgelassen, dennoch kann die Methode im Einzelfall sinnvoll und indiziert sein, wie der Radiologe erläuterte. Dabei gab er einen Überblick über negative, neutrale und positive Aspekte des Untersuchungsverfahrens.
Untersuchung mit CT oder MRT möglich
Virtuelle Koloskopie bedeutet, dass CT- oder MRT-Schnittbilder mit Hilfe einer Software so umgewandelt werden, dass virtuelle koloskopische Aufnahmen entstehen. Besonders häufig wird dafür eine Computertomografie (Mehrzeilen-Spiral-CT) verwendet. Während die CT-Kolonografie, also virtuelle Koloskopie, in den USA von der American Cancer Society als Screening auf ein kolorektales Karzinom durchaus empfohlen wird, sind in Deutschland Screenings unter Verwendung ionisierender Strahlen in der asymptomatischen Bevölkerung laut Strahlenschutzverordnung verboten – mit einer Ausnahme: der Mammografie.
Die Strahlenexposition bei einer CT-Kolonografie mit modernen Geräten ist Lauenstein zufolge nur gering und liegt zwischen 1 und 2 Millisievert (mSv). Sie sei damit niedriger als die jährliche natürliche Strahlenbelastung hierzulande. „Eine strahlungsfreie Alternative wäre die Magnetresonanztomografie (MRT)“, sagte Lauenstein, „sie ist allerdings nicht nur deutlich teurer, sondern auch nur in geringerem Umfang verfügbar.“
Abstriche bei der diagnostischen Genauigkeit
Ein anderer Kritikpunkt bei der virtuellen Koloskopie ist ihre diagnostische Genauigkeit. „Sensitivität und Spezifität sind geringer als bei der Endoskopie, und es ist wichtig, die Patienten darüber aufzuklären, dass kleine adenomatöse Polypen – mit weniger als 10 Millimeter Durchmesser – auch übersehen werden können.“
Weiterhin hat die virtuelle Methode im Vergleich zur Endoskopie den Nachteil, dass ein Polyp nicht in der gleichen Sitzung entfernt werden kann.
Extraintestinale Befunde – manchmal, aber nicht immer von Nutzen
Als neutralen Aspekt der virtuellen Koloskopie bezeichnete der Düsseldorfer Radiologe die Möglichkeit, damit gleichzeitig extraintestinale Befunde zu erheben. Patienten profitieren zum Beispiel davon, wenn so frühzeitig ein Aortenaneurysma entdeckt wird. „Extraintestinale Befunde können andererseits aber auch dem Öffnen der Büchse der Pandora ähneln und Unsicherheiten schüren – wenn wir plötzlich etwa in der Lunge oder den Nebennieren Dinge sehen, von denen wir nicht wissen, was sie bedeuten und wie wir damit umgehen sollen.“
Ebenfalls neutral bewertete Lauenstein die Patientenakzeptanz der virtuellen Koloskopie. In einer Befragung von 300 Patienten, bei denen sowohl eine endoskopische als auch eine virtuelle Koloskopie vorgenommen wurde, habe knapp die Hälfte der Befragten die eine und knapp die Hälfte die andere Methode als zukünftige Präferenz genannt. Auch der virtuellen Variante ist üblicherweise eine gastrointestinale Lavage vorgeschaltet.
Indikation bei inkompletten Koloskopien
Klare Vorteile hat die virtuelle Koloskopie, wenn eine endoskopische Untersuchung nicht komplett möglich ist, etwa weil Kolonabschnitte durch ein Malignom, eine Striktur oder eine Narbe so stark stenosiert oder verändert sind, dass sie endoskopisch nicht passiert werden können, so Lauenstein: „Hier hat die virtuelle Koloskopie durchaus ihren Stellenwert.“
Dies findet sich auch in der aktualisierten S3-Leitlinie zur Diagnostik und Therapie des kolorektalen Karzinoms wieder, in der konsensusbasiert empfohlen wird: Bei inkompletter Koloskopie aufgrund eines stenosierenden Tumors kann präoperativ zusätzlich eine CT- oder MR-Kolonografie erfolgen. „Als inkomplett werden in der Literatur zwischen einem und bis 10 Prozent der Koloskopien bezeichnet“, sagte der Radiologe im Gespräch mit Medscape.
Alternative zu gar keiner Diagnostik
Immer wieder gibt es Patienten, die – aus welchen Gründen auch immer – eine endoskopische Koloskopie als Diagnosemethode entschieden ablehnen. „Hier kann die virtuelle Variante von Nutzen und trotz ihrer Nachteile eine gute Alternative zu gar keiner Diagnostik sein“, so Lauenstein.
„Vielleicht werden virtuelle Koloskopien angesichts der bei modernen CT-Scannern nur noch geringen Strahlenbelastung auch in Deutschland in absehbarer Zeit als Screeningmethode zugelassen werden“, wagte Lauenstein den Blick in die Zukunft. Ungeachtet dessen sieht aber auch er weiterhin die Endoskopie an erster Stelle bei der kolorektalen Diagnostik.
REFERENZEN:
1. 123. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM), 29. April bis 2. Mai 2017, Mannheim
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Medscape Nachrichten © 2017 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: Virtuelle Koloskopie: Wann ist das CT- oder MRT-basierte Screening eine Alternative zur endoskopischen Darmspiegelung? - Medscape - 8. Mai 2017.
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