US-Repräsentantenhaus stimmt für Abschaffung von Obamacare – Ärzte- und Gesundheitsorganisationen „tief enttäuscht“

Ermöglicht durch einige kurzfristige Änderungen hat US-Präsident Donald Trump es nun doch geschafft, sein Gesundheitsgesetz, mit dem der Affordable Care Act (ACA, Obamacare) abgeschafft und ersetzt werden soll, durch das von den Republikanern kontrollierte Repräsentantenhaus zu bekommen.

Die Abstimmung war erwartungsgemäß knapp: 217 Ja-Stimmen der Republikaner standen 213 Nein-Stimmen (193 der Demokraten, 20 von Republikanern) gegenüber.

Der Entwurf, genannt der American Health Care Act (AHCA), schien schon gestorben, nachdem im März der Sprecher des Repräsentantenhauses, der Republikaner Paul Ryan, ihn von der Abstimmung zurückgezogen hatte, da er auch von republikanischer Seite – insbesondere den erzkonservativen Kreisen – nicht genug Unterstützung erhalten hatte. Umgestimmt wurden diese nun durch einige Änderungen im Entwurf, durch die die Bundesstaaten mehr Kontrolle über die Gestaltung des Gesundheitsplans erhalten.

Grundstruktur von Obamacare wird zerstört

Der AHCA macht die Grundstruktur der – umstrittenen – demokratischen Gesundheitsreform ACA aus dem Jahr 2010 zunichte, die der damals demokratisch kontrollierte Kongress verabschiedet hatte. Die Republikaner im Kongress werfen dem ACA vor, dass die Ausgaben zu hoch seien, die Regierung zu viel steuere, es zu viele Regulationen, Verwaltung und Vorschriften gebe.

Im Gegensatz zu den Dutzenden von Veränderungsentwürfen am ACA, die schon während Obamas Regierungszeit das Repräsentantenhaus passiert haben, hatte die aktuelle Abstimmung besondere Symbolkraft – bei diesem Entwurf ist auf jeden Fall nicht mit einem Veto des Präsidenten zu rechnen. Trump konnte sich auf die Republikaner des Repräsentantenhauses stützen, um den Entwurf durchzukriegen. Umstrittener wird der AHCA im Senat sein, wo die Republikaner nur eine knappe Mehrheit haben. Die Demokraten im Senat sind – wie ihre Kollegen im Repräsentantenhaus – strikt gegen den AHCA. Sie monieren, dieser mache große Fortschritte durch den ACA im Krankenversicherungsschutz wieder zunichte – eine Ansicht, die im Übrigen auch von vielen medizinischen Fachorganisationen geteilt wird.

Durch den ACA haben rund 20 Millionen Amerikaner zusätzlich eine Abdeckung ihrer Krankenversicherung erhalten, entweder durch einen erweiterten Medicaid-Schutz in 31 Bundesstaaten oder über private Anbieter, wo sie Einzel- oder Familien-Versicherungen erwerben können, dies sehr oft staatlich subventioniert sind.

24 Millionen US-Bürger mehr bald ohne Krankenversicherung?

Das unabhängige Budget Büro des Kongresses (CBO) hat jedoch geschätzt, dass die Zahl der unversicherten US-Bürger auf 52 Millionen im Jahr 2026 klettern wird, wenn der AHCA in Kraft tritt – um 24 Millionen mehr, als wenn der ACA in Kraft bliebe (die Berechnung beruhte auf den im März zurückgezogenen Entwurf).

Auch in seiner jetzigen Form bewahrt der AHCA einige populäre ACA-Regelungen: So sollen die Versicherer auch in Zukunft nicht die Abdeckung aufgrund von Vorerkrankungen verweigern können. Und Kinder sollen weiterhin bis zum 26. Lebensjahr bei den Eltern mitversichert werden können.

Jedoch stärkt der AHCA die individuelle Entscheidung des Einzelnen für oder gegen eine Versicherungsabdeckung, indem die im ACA festgelegte Strafsteuer für Nicht-Versicherte entfällt. Er ersetzt auch die im ACA einkommensbezogene Subventionierung der Versicherungsprämie durch eine, die sich am Alter orientiert. Nach Berechnungen des gemeinnützigen Unternehmens Kaiser Family Foundation, das eigene Forschung zu Themen der Gesundheitspolitik betreibt und Politik und Unternehmen berät, werden dabei vor allem die ärmeren Schichten die Verlierer sein.

Die Änderungen, die Teile der erzkonservativen Republikaner schließlich überzeugt haben, dem Gesetz zuzustimmen, gibt den Bundesstaaten die Möglichkeit, individuelle Gesundheitspläne zu vereinbaren, die nicht all das abdecken müssen, was im ACA gefordert war. In anderen Worten: Die Bundesstaaten können Versicherungspläne anbieten, die bestimmte Leistung nicht beinhalten, etwa Hospitalisierungen, verschreibungspflichtige Medikamente oder Mutterschaftsbetreuung – dies um sie kostengünstiger zu machen.

Schwächung für Menschen mit Vorerkrankungen

Darüber hinaus können die Bundesstaaten bisherige Vorschriften außer Kraft setzen, die im ACA bislang verhindert haben, dass die Versicherer höhere Prämien wegen Vorerkrankungen einer Person verlangen. Will ein Staat aber diese Vorschrift außer Kraft setzen, muss er im Gegenzug ein Programm installieren, etwa einen Hochrisiko-Versicherungspool, um Menschen mit schweren Erkrankungen zu einer erschwinglichen Krankenversicherung zu verhelfen. Im AHCA sollen 130 Milliarden US-Dollar zu diesem Zweck in Form eines „Patient and State Stability Fund“ zur Verfügung gestellt werden.

Der geschwächte Schutz für Personen mit Vorerkrankungen kommt auch bei einigen gemäßigten Republikanern nicht gut an, so dass in einem zweiten Zusatz noch weitere 8 Milliarden über 5 Jahre in Hochrisiko-Versicherungspools gepumpt werden sollen. Kritiker des AHCA sagen, dass diese Programme auf Bundesstaaten-Niveau traditionell unterfinanziert waren – und es unter dem republikanischen Gesetz trotz der zusätzlichen 8 Milliarden weiter so sein wird.

Neben der Reorganisation der Versicherungen kürzt der AHCA auch öffentliche Mittel für die Medicaid-Ausweitung. Damit wird es eng für die bundesstaatlichen Medicaid-Programme, die von regelmäßiger staatlicher Unterstützung abhängen. Der Gesetzentwurf kappt diese Beiträge auf einer Pro-Kopf-Basis. Alles in allem würde die staatlichen Ausgaben des Bundes für Medicaid um 880 Milliarden US-Dollar ab 2017 bis 2026 zurückgehen, so die Analyse des Budget-Kongressbüros, die auf dem alten Gesetzentwurf basiert.

Die nun geänderte Fassung des AHCA, die nun durch das Repräsentantenhaus ging, soll dem Budget-Büro nicht mehr zu einer erneuten Analyse vorgelegt werden – was die Demokraten im Repräsentantenhaus aufs Schärfste missbilligten.

Enttäuschung bei den medizinischen Fachgesellschaften

Die meisten medizinischen Fachorganisationen und Gesundheitsversorger stellen dem neuen AHCA-Gesetz schlechte Bewertungen aus. Es heißt, damit würden medizinische Leistungen denjenigen weggenommen, die diese am meisten bräuchten. Pressemitteilungen dieser Organisationen wandten sich ungewöhnlich heftig gegen das Gesetz und monierten, der fachliche Rat sei von der Gesetzgebung ignoriert worden.

„Tief enttäuscht" sei man, monierten etwa die American Academy of Family Physicians und die American Hospital Association; „extrem enttäuscht" zeigten sich das American College of Physicians und die American Heart Association. Die American Thoracic Society erklärt sich „zutiefst besorgt" und das American College of Cardiology ist einfach „enttäuscht".

Der American Congress of Obstetricians and Gynecologists sagte, er „missbillige" die Billigung des Repräsentantenhauses für den AHCA. Er bezeichnete die neue Möglichkeit, dass Bundesstaaten Gesundheitspläne ohne Abdeckung der Mutterschaftsbetreuung anbieten können und das Ende der Medicaid-Ausweitung als „einen Angriff auf die Gesundheit von Frauen".

Der AHCA sei „eine schlechte Entscheidung für Kinder" und gefährliche Politik für das Land, sagt die  American Academy of Pediatrics. „Die Rate der krankenversicherten Kinder in unserem Land ist auf einem historischen Höchststand von 95 %; der AHCA wird nicht nur diesen Fortschritt aufhalten, er wird ihn wieder zunichte machen."

Etwas milder fiel die Kritik von America's Health Insurance Plans aus. Dort heißt es, es seien „wichtige Nachbesserungen für Familien mit niedrigen und mittleren Einkommen notwendig, um diese zu schützen."

Die American Medical Association (AMA) kritisiert, der AHCA werde „zur Folge haben, dass Millionen von Amerikanern den Zugang verlieren werden zu einer erschwinglichen und qualitativ hochwertigen Krankenversicherung und diejenigen mit bereits bestehenden Erkrankungen werden in Zeiten zurückgeworfen, in denen sie von Versicherungen nur Prämien zu Bedingungen angeboten bekamen, die ihnen jede Abdeckung ihrer Risiken unmöglich machten“.

Im Senat braucht das Gesetz 51 Stimmen

Die AMA und andere Gruppen drängen nun den Senat und die Trump-Administration, mit ihnen zusammenzuarbeiten, um eine gemeinsame parteiübergreifende Linie zu finden, die verhindert, dass durch die Umstellung zu große Belastungen für Einzelne entstehen.

Laut Berichten wollen die Republikaner im Senat nicht über den AHCA per se abstimmen, sondern stattdessen Teile davon mit eigener Gesetzgebung verschmelzen. Mehrere Republikaner im Senat haben bereits Gesetzentwürfe zur ACA-Aufhebung und dessen Ersatz eingebracht. Daraus soll nun ein Gesetz entstehen, mit dem mindestens 50 republikanische Stimmen gewonnen werden können. Damit wäre eine einfache Mehrheit von 51 Stimmen möglich, wenn als Zünglein an der Waage noch das Votum von Vizepräsident Mike Pence hinzukäme.

Die Republikaner haben derzeit 52 Sitze im Senat, 8 zu wenige, wenn man berücksichtigt, dass 60 nötig sind, um ein Filibuster der Demokraten zu überwinden. Die Republikaner im Senat planen jedoch, den ACA in einem alternativen Verfahren aufzuheben und zu ersetzen, mit einer so genannten „Budget Reconciliation Bill“, die nicht „filibustered“ werden kann.

Eigentlich sind „Budget Reconciliation Bills“ der Ausgaben- und Steuergesetzgebung vorbehalten. Daher müssen die Republikaner im Senat darauf achten, dass das neue Gesetz keine Änderungen des ACA enthält, die außerhalb dieser Themenbereiche liegen. Gleichzeitig müssen sie das Gesetz aber auch den moderaten Republikanern schmackhaft machen, die sich dem AHCA widersetzt hatten – oder sie riskieren das 50-Stimmen-Ziel nicht zu erreichen.

Übrigens hat Donald Trump am vergangenen Donnerstag auch noch ein Dekret unterzeichnet zur „religiösen Freiheit“ – dieses erlaubt es z.B. Arbeitgebern, auch Krankenversicherungen anzubieten, die z.B. Kontrazeption nicht abdecken – dies aus religiösen Gründen. 


Dieser Artikel wurde von Sonja Böhm aus www.medscape.com übersetzt und adaptiert.

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