Der Bundestag hat die Novelle des Bundeskriminalamtsgesetzes (BKA-Gesetz) verabschiedet und beschlossen, dass zwar Geistliche, Bundestagsabgeordnete und Rechtsanwälte gesetzlich als gesonderte Gruppen vor staatlicher Ausspähung und Überwachung geschützt sind – nicht aber Ärzte und psychologische Psychotherapeuten [1]. Ärzteschaft und Psychotherapeuten protestieren gegen die Aufweichung des ärztlichen Berufsgeheimnisses im Gesetz.

Prof. Dr. Frank Ulrich Montgomery
Die Bundesärztekammer (BÄK) hatte kurz vor der Entscheidung im Bundestag in einer Pressemitteilung vor der Gefahr einer „fundamentalen Beeinträchtigung des besonderen Vertrauensverhältnisses zwischen Ärzte und Patienten“ gewarnt und gefordert, die Verschwiegenheitspflicht im BKA-Gesetz nicht infrage zu stellen. „Der vorliegende Gesetzentwurf verstößt gegen die grundlegenden Forderungen des Bundesverfassungsgerichts, wenn für Ärztinnen und Ärzte keine Ausnahmeregelung vorgesehen wird“, kritisierte BÄK-Präsident Prof. Dr. Frank Ulrich Montgomery. Doch der Gesetzentwurf passierte ohne die geforderten Änderungen den Bundestag mit den Stimmen der Koalition, gegen die Stimmen der Opposition.
Maßnahmen zur Terrorismusabwehr: Ausspähung von Ärzten und Patienten
Die Neufassung des BKA-Gesetzes bezieht sich auf die Rechte des Staates, zur Abwehr von Straftaten und Terroranschlägen, Telefone und Computer bei Verdächtigen und ihren Kontaktpersonen zu überwachen. Um Anschläge zu verhindern, dürfen die Ermittler seit dem Jahr 2009 Wohnungen verwanzen, Überwachungskameras installieren und Telefonate anzapfen. Mit einer eigens entwickelten Software, dem Bundestrojaner, können auf der Computerfestplatte eines Terrorverdächtigen Daten abgeschöpft werden.
Eine Nachbesserung dieses BKA-Gesetzes war nötig geworden, weil dies im Urteil des Bundesverfassungsgericht (BVG) im April 2016 gefordert worden war. Die Verfassungsrichter waren zum Schluss gekommen, dass das BKA-Gesetz in Teilen verfassungswidrig sei, weil es zu tief in die Freiheitsrechte eingreife und unter anderem auch Berufsgeheimnisträger zu schützen seien.
Arzt-Patientenverhältnis muss geschützt werden
Die BÄK formuliert ihre Kritik auch mit Hinweis auf Karlsruhe. Das BVG habe extra darauf hingewiesen, dass neben Familienangehörigen, Geistlichen und Verteidigern auch Ärzte als Personen des höchstpersönlichen Vertrauens an der geschützten nicht-öffentlichen Kommunikation des Einzelnen teilnehmen, die in der berechtigten Annahme geführt wird, nicht überwacht zu werden, so die BÄK wörtlich.
Die Bundesärztekammer (BÄK) kritisierte auch in einem Schreiben an das Innenministerium, dass verdeckte Eingriffe in die Systeme einer Praxis oder eines Krankenhauses dazu führen könnten, dass die Geheimhaltungsinteressen der Patienten erheblich gefährdet würden. „Wer kann schon garantieren, dass bei einem solchen informationstechnischen Spähangriff nicht auch die Daten anderer Patienten offengelegt werden? Patienten sind besonders geschützte Personengruppen und deshalb muss bei Ärzten der gleiche Vertrauensschutz gewährleistet werden wie bei Strafverteidigern und Abgeordneten“, so Montgomery.
Auch die Ärztekammern Niedersachsen und Hamburg hatten gefordert, Ärzte und Psychologische Psychotherapeuten als Berufsgeheimnisträger einzuschließen. „Ein geschütztes Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient ist die Grundlage jeglicher ärztlichen Tätigkeit und darf nicht infrage gestellt werden“, so die Präsidentin der Ärztekammer Niedersachsen und Vizepräsidentin der Bundesärztekammer Dr. Martina Wenker gegenüber Medscape.
Auch die Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK) sieht als „Grundlage einer erfolgversprechenden Psychotherapie ein uneingeschränktes Vertrauensverhältnis zwischen Patient und Psychotherapeut, wie der Präsident der BPtK Dr. Dietrich Munz in einer Pressemitteilung vom 20. März kritisiert.
Ebenso findet die Freie Ärzteschaft deutliche Worte zum Beschluss: „Für uns Ärzte ist das völlig inakzeptabel. Das Arzt-Patienten-Verhältnis gehört zum Kernbereich privater Lebensführung der Bürger“, betont die stellvertretende FÄ Vorsitzende Dr. Silke Lüder gegenüber Medscape. Den Schutz der privaten Lebensführung hatte auch das Bundesverfassungsgericht verlangt. Die Befugnisse der Behörde zur heimlichen Überwachung greifen laut den Verfassungsrichtern in der Praxis in Teilen unverhältnismäßig in die Grundrechte der Bürger ein.
Psychotherapeuten warnen vor möglichen Folgen
„Alle Patienten brauchen die Möglichkeit, sich jederzeit und insbesondere in Krisensituationen, an einen Psychotherapeuten zu wenden. Sie müssen sich der absoluten Vertraulichkeit ihrer Gespräche sicher sein können. Das Gesetz untergräbt die therapeutisch wesentliche Zusicherung der Psychotherapeuten an ihre Patienten, nach der kein Wort aus den Gesprächen nach außen dringt“, so Munz.
Die Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie (DGKJP) weist in ihrer Stellungnahme darauf hin, dass für Kinder und Jugendliche die Überwachung von E-Mail, SMS, Skype oder telefonischer Kommunikation mit dem Psychotherapeuten fatal sei. „Die real mögliche Überwachung ist dazu angetan, irreale paranoide Befürchtungen zu stimulieren und kann von den therapeutisch Tätigen künftig nicht mehr entkräftet werden.“ Auch eine gelungene Behandlung könne zur Gefahrenabwehr beitragen, dies könne aber im geschützten Raum erfolgen, so der Vorstand der DGKJP.
Überhastetes Verfahren
„Das ganze Gesetzgebungsverfahren ist vollkommen überhastet vom Bundesinnenministerium durch die Gremien gepeitscht worden“, moniert FÄ-Vizevorsitzende Lüder. Der Entwurf zur Novelle wurde erst im Februar veröffentlicht. Der Gesundheitsausschuss des Bundestages sei erst kurz vor dem Beschluss im Bundestag einbezogen worden. „Das ist viel zu kurzfristig bei einem solchen grundlegenden Eingriff.“ Wichtige Vertreter der Berufsgruppen seien nicht einmal gefragt worden.
Die Novelle sei so mangelhaft gemacht, dass selbst Verfassungsrechtler dem Entwurf in der Anhörung ein schlechtes Zeugnis ausgestellt hätten, berichtet Lüder. So kritisierte auch ein Richter am Landgericht Berlin in seinem Gutachten , dass kein hinreichender Grund erkennbar sei, warum etwa gegenüber Psychologischen Psychotherapeuten oder Ärzten, die regelmäßig intimste Kenntnisse über ihre Patienten erlangen, überwacht werden können, Strafverteidiger aber nicht. „Wir sind nicht die Einzigen, die das kritisieren“, sagt Lüder.
Aufgabe der Schweigepflicht nur in ganz seltenen Fällen
Der Staat begründet sein Eingreifen mit dem Schutz der Demokratie, der Bürger und der staatlichen Ordnung im Sinne der Terrorismusabwehr. Es gehe um nichts weniger als um die Zukunft deutscher Polizeiarbeit, das Gesetz mache den Weg frei für eine moderne polizeiliche IT-Infrastruktur“, so Innenminister Dr. Thomas de Maizière (CDU), als er im Bundestag um Zustimmung zum Gesetzentwurf warb. Hat der Staat also nicht auch triftige Gründe für den großen Lauschangriff, wenn er Gefahr im Verzug sieht?
Nur in ganz seltenen Ausnahmefällen seien Ärzte auch jetzt schon möglicherweise gezwungen, ihre Schweigepflicht zu brechen, meint Lüder. Unabhängig davon könnten jedoch Ärzte und Therapeuten auch Einfluss nehmen auf ihre Patienten, wenn sie Kenntnis erhalten, dass ein Patient eine schwere Straftat plane.
„Wenn aber die Schweigepflicht nicht mehr geschützt wird und dies auch die Patienten wissen, dann werden die Ärzte nicht mehr von ihnen ins Vertrauen gezogen“, sagt Lüder. „Uns geht es prinzipiell um die Wahrung der ärztlichen Schweigepflicht, die unabdingbar und ein Kernbereich einer jeden demokratischen Gesellschaft ist. Das darf durch kein Gesetz abgeschafft werden.“
Während Ärzte und Psychotherapeuten aus der Gruppe der Berufsgeheimnisträger im BKA-Gesetz ausgeschlossen wurden, sind sie hingegen explizit in der Strafprozessordnung (StPO) als solche eingeschlossen, wenn es um das Zeugnisverweigerungsrecht geht – also das Recht, eine Aussage zu verweigern, wenn es um einen Patienten geht, der als Beschuldigter vor Gericht steht.
Ein Antrag von Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag, der auch vorsah, dass die Berufsgeheimnisse aller Berufsgeheimnisträger wie auch Psychotherapeuten und Journalisten sowie ihrer Klienten ausreichend gewährleistet werden sollen, wurde mehrheitlich mit den Stimmen der Koalition und gegen die Stimmen der Opposition abgelehnt.
REFERENZEN:
1. Deutscher Bundestag: Mitteilung, 27. April 2017
Medscape Nachrichten © 2017 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: Vertrauensverhältnis bedroht? Die Forderung der Ärzte nach Schutz des Berufsgeheimnisses fand im Bundestag kein Gehör - Medscape - 3. Mai 2017.
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