Neue europäische Leitlinien zur Hepatitis B – erstmals auch mit Empfehlungen zum Therapiestopp

Andrea Warpakowski

Interessenkonflikte

2. Mai 2017

Amsterdam – Die europäische Lebergesellschaft EASL (European Association for the Study of the Liver) hat auf dem International Liver Congress (ILC) ihre aktualisierten Leitlinien zur Therapie der Hepatitis B vorgestellt [1]. Demnach wird der Krankheitsverlauf künftig in 5 Phasen eingeteilt. Erstmals wird für die Therapie das Nukleotidanalogon Tenofoviralafenamid (TAF) und ein Therapiestopp bei ausgesuchten Patienten empfohlen. Auch konkrete Empfehlungen zur Behandlung spezieller Patientengruppen, etwa bei HIV-Koinfektion oder unter Chemotherapie sind überarbeitet worden. Zeitgleich wurden die Leitlinien online im Journal of Hepatology veröffentlicht [2].

„Die Infektion mit Hepatitis B ist eine bedeutende Bedrohung der Gesundheit, die weltweit 240 Millionen Menschen betrifft. Die aktualisierten EASL-Leitlinien basieren auf den neuesten wissenschaftlichen Fortschritten bei der Diagnose und Therapie der Hepatitis B. Sie geben Ärzten und Patienten klare Empfehlungen zum Management der potenziell lebensbedrohenden Erkrankung“, erklärte Prof. Dr. Frank Tacke, Aachen, Mitglied des EASL-Vorstands.

Neue Nomenklatur des Krankheitsverlaufs

Der neuen Nomenklatur liegt ein besseres Verständnis des natürlichen Krankheitsverlaufs zugrunde und sie basiert auf den beiden Hauptmerkmalen Infektion versus Hepatitis. Hepatitis B wird nun in 5 Phasen eingeteilt, die nicht unbedingt nacheinander auftreten müssen:

  • Phase 1: Die HBeAg-positive chronische HBV-Infektion, früher „immuntolerante“ Phase genannt, ist charakterisiert durch HBeAg-Positivität, hohe HBV-DNA-Konzentrationen, normale ALT-Werte und nur geringer oder keiner Nekroinflammation oder Fibrose der Leber. Diese hochinfektiöse Phase ist vor allem bei perinatal infizierten Personen häufig und verlängert.

  • Phase 2: Die HBeAg-positive chronische Hepatitis B ist gekennzeichnet durch HBeAg-Positivität, hohe HBV-DNA-Konzentrationen und erhöhte ALT-Werte sowie eine leichte bis mäßige Nekroinflammation und eine beschleunigte Progression der Fibrose. Diese Phase kann der ersten Phase nach mehreren Jahren folgen.

  • Phase 3: Die HBeAg-negative chronische HBV-Infektion, früher „inaktive Träger“-Phase genannt, zeichnet sich aus durch das Vorhandensein von anti-HBe, den Antiköpern gegen HBeAg, nicht nachweisbarer oder niedriger HBV-DNA meist von unter 2.000 IU/ml und normalen ALT-Werten. Diese Patienten haben ein niedriges Risiko für eine Progression zur Zirrhose oder zum hepatozellulären Karzinom (HCC).

  • Phase 4: Die HBeAg-negative chronische Hepatitis B ist charakterisiert durch das Fehlen von Serum-HBeAg mit nachweisbaren anti-HBe und dauerhaften oder fluktuierenden Werten von mäßig hoher oder sehr hoher HBV-DNA und ALT sowie Nekroinflammation und Fibrose.

  • Phase 5: Die HBsAg-negative Phase, auch als okkulte Phase bekannt, ist gekennzeichnet durch HBsAg-Negativität und Nachweis der Antikörper anti-HBc mit und ohne nachweisbaren Antikörpern anti-HBs. Diese Patienten haben normale ALT-Werte und in der Regel im Serum nicht nachweisbare HBV-DNA.


Therapie der Hepatitis B

Das Ziel der HBV-Therapie ist die Suppression der HBV-DNA. Der Verlust von HBeAg und die Serokonversion wird als partielle Immunkontrolle angesehen und der HBsAg-Verlust als funktionelle Heilung – beides kommt mit heutigen Therapien selten vor.

Die Therapie der Wahl ist eine Monotherapie mit einem der 3 Nukleos(t)idanaloga mit hoher genetischer Resistenzbarriere – Entecavir, Tenofovirdisoproxilfumarat (TDF) oder Tenofoviralafenamid. TAF wurde erstmals mit aufgenommen, da es im Vergleich zu TDF bei gleicher Wirksamkeit ein verbessertes Nebenwirkungsprofil hinsichtlich Nierenfunktion und Knochendichte hat. Die anderen 3 Nukleos(t)idanaloga Adefovir, Lamivudin und Telbivudin werden nicht mehr empfohlen. Eine Kombination von 2 Nukleos(t)idanaloga oder einem und Interferon sollte im Allgemeinen nicht erwogen werden.

Empfehlungen zu einem Therapiestopp

Bisher gab und gibt es nach wie vor Diskussionen über einen Stopp der lebenslangen Nukleos(t)idanaloga-Therapie. Die EASL hat dazu erstmals Empfehlungen aufgestellt:

  • Die Therapie sollte bei einem bestätigten HBsAg-Verlust mit oder ohne anti-HBs-Serokonversion beendet werden – ein unter den Nukleos(t)idanaloga seltenes Ereignis.

  • Die Therapie kann beendet werden bei nichtzirrhotischen HBeAg-positiven Patienten mit stabiler HBeAg-Serokonversion und nicht nachweisbarer HBV-DNA, wenn sie mindestens eine 12 Monate dauernde Konsolidierungstherapie erhalten haben.

  • Die HBeAg-Serokonversion soll laut neuester Daten auch 3 Jahre nach dem Therapiestopp bei etwa 90% der Patienten und eine virologische Remission, definiert als HBV-DNA Suppression < 2.000 – 20.000 IU/ml , bei etwa 50% der Patienten bestehen bleiben.

Der sicherste klinische Endpunkt ist jedoch nach wie vor, die Therapie bis zur HBsAg-Clearance weiterzuführen.

  • Ein Therapiestopp kann nun auch erwogen werden bei ausgesuchten nichtzirrhotischen HBeAg-negativen Patienten, wenn die HBV-DNA mindestens 3 Jahre lang unter einem Nukleos(t)idanalogon nicht nachweisbar war und wenn ein enges Monitoring danach sichergestellt ist. Eine virologische Remission besteht bei rund der Hälfte dieser Patienten auch 3 Jahre nach dem Stopp. Zurzeit gibt es keine prädiktiven Marker für eine virologische Remission nach dem Therapiestopp.

Spezielle Patientengruppen

Alle HIV-positiven Personen mit einer HBV-Koinfektion sollten mit einer initialen HIV-Therapie beginnen, die TDF oder TAF enthält. Diese beiden Nukleotidanaloga wirken sowohl gegen HIV als auch gegen HBV. Für HBV-Patienten mit einer Hepatitis-D-Konfektion wird eine zusätzliche Gabe von pegyliertem Interferon über 48 Wochen empfohlen.

Eine interferonfreie Hepatitis-C-Therapie mit direkt antiviral wirkenden Substanzen (DAA) kann bei HCV-/HBV-Koinfizierten zu einer Reaktivierung der Hepatitis B führen (wie Medscape berichtete ). Für HBsAg-positive Patienten sollte eine gleichzeitige Prophylaxe mit Nukleos(t)idanaloga beim DAA-Therapiestart erwogen werden. HBsAg-negative Patienten sollten gut überwacht und bei einem Anstieg der ALT-Konzentration auf eine HBV-Reaktivierung getestet werden.

Eine Reaktivierung der Hepatitis B ist auch unter einer Chemotherapie oder anderen immunsuppressiven Therapien möglich. Deshalb wird empfohlen, vor Beginn dieser Therapien auf HBV-Marker zu untersuchen. HBsAg-positive Patienten sollten prophylaktisch mit Entecavir, TDF oder TAF behandelt werden. HBsAg-negative Patienten mit einem Risiko für eine Reaktivierung sollten eine HBV-Prophylaxe erhalten.

Neue Therapieansätze für funktionelle Heilung nötig

Da die verfügbaren Nukleos(t)idanaloga auch bei langfristiger Gabe nur selten zu einer Ausheilung der Hepatitis B führen und auch dann weiterhin die cccDNA des Virus im Wirtsgenom verbleibt, sind laut EASL nach wie vor neue Therapieansätze notwendig. Zurzeit werden verschiedene erforscht, die idealerweise bei mehr Patienten als bisher zu einem HBsAg-Verlust führen oder die eine funktionelle Heilung induzieren, welche einen Therapiestopp ohne Risiko eines viralen Relapse erlaubt. Untersucht werden direkt antiviral wirkende Substanzen wie HBV-Entry-Inhibitoren oder Capsid-Assembly-Inhibitoren sowie Therapien, die die Immunantwort gegen Hepatitis B verstärken.



REFERENZEN:

1. The International Liver Congress (ILC) 2017; 19. bis 23. April 2017, Amsterdam/Niederlande

2. Lampertico P, et al: J Hepatol. (online) 17. April 2017

Kommentar

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