Präventionsversuch mit monatlicher Hochdosis versagt: Vitamin D schützt nicht vor Herz-Kreislauf-Erkrankungen

Anke Brodmerkel

Interessenkonflikte

25. April 2017

Beobachtungsstudien der vergangenen Jahre haben wiederholt gezeigt, dass ein niedriger Vitamin-D-Spiegel mit einem erhöhten Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen einhergeht. Aus diesem Zusammenhang lässt sich allerdings noch nicht der Schluss ziehen, dass eine Substitution des Vitamins dieses Risiko senkt. So konnte die monatliche Gabe von 100.000 IU in einer randomisiert-kontrollierten Studie mit mehr als 5.000 Probanden aus Neuseeland keinen kardio-protektiven Effekt erzielen.

Offen bleibe, ob sich eine tägliche oder wöchentliche Einnahme von Vitamin D für die Prävention kardiovaskulärer Leiden besser eigne, schreiben die Forscher um Prof. Dr. Robert Scragg von der Universitär Auckland in JAMA Cardiology [1]. Die monatliche Gabe sei zu diesem Zweck jedenfalls ungeeignet.

Prof. Dr. Onno Janßen

Die Ergebnisse lassen mehrere Schlüsse zu

„Es handelt sich hier um eine große, sehr gut gemachte Studie mit einer langen Beobachtungszeit, deren Ergebnisse sowohl auf Europa als auch auf die USA übertragbar sind“, kommentiert Prof. Dr. Onno Janßen, Facharzt für Innere Medizin, Endokrinologie und Diabetologie am Endokrinologikum Hamburg, im Gespräch mit Medscape.

„Die Daten lassen vermuten, dass ein niedriger Vitamin-D-Spiegel selbst möglicherweise nicht die Ursache eines erhöhten kardiovaskulären Risikos ist“, sagt Janßen. Vielleicht seien andere Faktoren dafür verantwortlich, etwa ein ungesunder Lebensstil, eine schlechte Ernährung oder mangelnde Bewegung, die oft mit einem Vitamin-D-Mangel einhergehen.

„Denkbar ist allerdings auch, dass ein früher erlittener Mangel an Vitamin D im Körper nicht mehr rückgängig zu machende Reaktionen anstößt, die das Risiko für Herz-Kreislauf-Leiden erhöhen – und dass eine spätere Substitution dann schlicht zu spät kommt“, spekuliert der deutsche Experte. Bislang wisse man aber noch viel zu wenig darüber, über welche Mechanismen sich ein Vitamin-D-Mangel überhaupt auf das Entstehen kardiovaskulärer Erkrankungen auswirken könne.

Auch eine 3. Möglichkeit, die Daten der neuseeländischen Forscher zu interpretieren, sieht der Hamburger Mediziner – diese führen Scragg und seine Kollegen in ihrer Studie ebenfalls an: „Vielleicht ist es tatsächlich so, dass nur die hochdosierte monatliche Gabe von Vitamin D keinen Präventionseffekt besitzt, während eine tägliche oder wöchentliche Einnahme geringerer Dosen positivere Ergebnisse erzielen würde.“

Intervention mit monatlich 100.000 IU Vitamin D

Das Team um Scragg hat zum ersten Mal überhaupt in einer randomisiert-kontrollierten Studie untersucht, ob und inwieweit die Substitution von Vitamin D über einen längeren Zeitraum hinweg die Gefahr kardiovaskulärer Erkrankungen verringern kann. Entsprechende Arbeiten mit einer täglichen oder wöchentlichen Einnahme stehen noch aus.

Für ihre aktuelle Untersuchung rekrutierten Scragg und seine Kollegen, hauptsächlich über Hausarztpraxen in Auckland, zwischen April 2011 und November 2012 insgesamt 5.108 Probanden im Alter zwischen 50 und 84 Jahren. Etwa die Hälfte (2.558) der Teilnehmer erhielt zu Beginn der Studie 2 Kapseln mit je 100.000 IU Vitamin D. Anschließend wurde ihnen jeden Monat eine solche Kapsel zugeschickt, verbunden mit der Aufforderung, sie wie gewohnt einzunehmen.

 
Die Daten lassen vermuten, dass ein niedriger Vitamin-D-Spiegel selbst möglicherweise nicht die Ursache eines erhöhten kardiovaskulären Risikos ist. Prof. Dr. Onno Janßen
 

Die anderen 2.550 Probanden erhielten gleich aussehende, aber wirkstofffreie Kapseln. Ausgeschlossen hatten die Forscher zuvor all jene Freiwilligen, die bereits vor Studienbeginn Vitamin D in höheren Dosen eingenommen hatten ( > 600 IU/d bei den 50- bis 70-Jährigen, > 800 IU/d bei den 71- bis 84-Jährigen).

Primärer Endpunkt: Kardiovaskuläre Ereignisse und Todesfälle

Die Teilnehmer schluckten ihre Kapseln im Schnitt 3,3 Jahre lang. Die kürzeste Einnahmedauer betrug 2,5, die längste 4,2 Jahre. Innerhalb dieses Zeitraums erfassten die Forscher sämtliche kardiovaskulären Ereignisse der Probanden. Als primären Endpunkt ihrer Studie formulierten sie die Zahl der Teilnehmer mit einer neu diagnostizierten Herz-Kreislauf-Erkrankung oder einem kardiovaskulär bedingten Todesfall.

Dieser Endpunkt wurde auch bei einer Untergruppe untersucht, deren Vertreter zu Beginn der Studie an einem Vitamin-D-Mangel litten, also einen saisonunabhängigen 25-OH-Vitamin-D-Spiegel von < 20 ng/ml aufwiesen. Als sekundärer Endpunkt der Untersuchung galt das Auftreten einzelner Erkrankungen: Herzinfarkt, Angina pectoris, Herzinsuffizienz, Bluthochdruck, Arrhythmie, Arteriosklerose, Schlaganfall und Venenthrombose.

Am Ende der Beobachtungszeit konnten die Forscher keine nennenswerten Unterschiede zwischen den 2 Studienarmen ausmachen. 303 Teilnehmer (11,8%) der Vitamin-D-Gruppe und 293 Teilnehmer (11,5%) der Placebo-Gruppe hatten ein Herz-Kreislauf-Leiden entwickelt oder waren daran gestorben. Ähnliche Ergebnisse fanden sich in der Untergruppe mit einem nachgewiesenen Vitamin-D-Mangel. Auch in Bezug auf den sekundären Endpunkt ähnelten sich die Daten in den verschiedenen Gruppen.

Nachweisen konnten Scragg und sein Team lediglich, dass die Supplementierung in der Lage war, einen diagnostizierten Vitamin-D-Mangel – an dem in der Studie etwa jeder 4. Teilnehmer litt – zu beheben. Gleichzeitig zeigen die erzielten Ergebnisse, dass die Probanden die nur per Post erhaltenen Kapseln offenbar tatsächlich geschluckt haben.

Bisher nachgewiesene Effekte eher klein

„Mir beweist die Studie einmal mehr, dass ein Vitamin-D-Mangel alleine noch kein Grund ist, therapeutisch aktiv zu werden“, sagt Janßen. Das gelte insbesondere dann, wenn der Wert des von der Nebenschilddrüse hergestellten Parathormons und der Kalziumspiegel des Bluts im Normbereich seien.

„Bislang sind alle gefundenen Effekte einer Vitamin-D-Substitution klein“, betont Janßen. Zwar hätten Studien zeigen können, dass die Supplementierung des Vitamins bei einem nachgewiesenen Mangel und Osteoporose das Risiko von Frakturen reduzieren könne – allerdings in deutlich geringerem Maße, als es bei Osteoporose-spezifischen Medikamenten der Fall sei. Vitamin D könne die Wirkung dieser Arzneien jedoch unterstützen und verstärken.

„Darüber hinaus gibt es Hinweise, dass sich zu diesem Zweck eine tägliche Einnahme von 1.000 oder 2.000 IU besser eignet als die 14-tägige oder gar wöchentliche Gabe von 20.000 IU“, sagt Janßen. Die früher postulierte Prävention von Krebsleiden hingegen habe sich in mehreren aktuellen Studien nicht bestätigt.

Zu hohe Dosis mit Nebenwirkungen, etwa erhöhtes Sturzrisiko

Eine Schweizer Studie zeigte zudem, dass man auch bei der Vitamin-D-Substitution des Guten zu viel tun kann. So konnten Forscher aus Zürich nachweisen, dass infolge einer hochdosierten Einnahme von Vitamin D die Sturzhäufigkeit älterer Menschen nicht ab-, sondern zunimmt [2].

 
Mir beweist die Studie einmal mehr, dass ein Vitamin-D-Mangel alleine noch kein Grund ist, therapeutisch aktiv zu werden. Prof. Dr. Onno Janßen
 

„Früher haben wir Patienten mit Osteoporose grundsätzlich zu einer Einnahme von Vitamin D und Kalzium geraten“, sagt Janßen. „Inzwischen ist man von dieser Empfehlung abgekommen, da die zusätzliche Kalziumgabe bei Patienten mit zuvor schon normalen Kalziumspiegeln im Blut sogar zu einem erhöhten Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen führen kann.“

Janßen fällt es schwer, aus der aktuellen Studie eine Empfehlung abzuleiten. „Wir haben bislang schlicht keinen nachhaltigen Beweis dafür, dass sich eine Vitamin-D-Gabe, selbst bei einem nachgewiesenen Mangel, in jedem Fall positiv auf das kardiovaskuläre Risiko auswirkt“, sagt er.

Lob für das einfache höchsteffektive Studiendesign

Trotz ihres etwas unbefriedigenden Ergebnisses wird die neuseeländische Studie auch von einem Team um Prof. Dr. Adrian Hernandez, Duke University School of Medicine, explizit gelobt. Die Untersuchung sei aus 2 Gründen interessant, kommentieren die Wissenschaftler in der gleichen Ausgabe von JAMA Cardiology [3].

Zum einen sei es wichtig zu erfahren, ob so einfache Maßnahmen wie die Supplementierung eines Vitamins die Gesundheit der Bevölkerung positiv beeinflussen könne. Zum anderen sprechen sich Hernandez und seine Kollegen sehr für das Design der Studie aus: Die Intervention habe sich besonders durch die Versendung der Kapseln per Post problemlos in das Alltagsleben der Probanden integrieren lassen, betonen die Forscher. Auf ebenso einfache Art und Weise seien die Daten erhoben worden, nämlich im Rahmen der routinemäßigen klinischen Versorgung. Beide Aspekte, so schreibt das Team um Hernandez sinngemäß, seien für andere Wissenschaftler durchaus nachahmenswert.



REFERENZEN:

1. Scragg R, et al: JAMA Cardiol. (online) 5. April, 2017

2. Bischoff-Ferrari HA, et al: JAMA Intern Med. (online) 4. January 2016

3. Hernandez AF, et al: JAMA Cardiol. (online) 5. April 2017

Kommentar

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