Mannheim – Bei transientem Bewusstseinsverlust müssen vor allem 3 Fragen geklärt werden, und zwar gleich: Ist es eine Synkope oder nicht? Was ist die zugrunde liegende Diagnose? Und wie hoch ist das Risiko, etwa für einen ohnmachtsbedingten Unfall oder einen plötzlichen Herztod?
„Eine vollständige Abklärung sollte schon beim ersten Ereignis erfolgen“, betont Prof. Dr. Christian Meyer, Stellvertretender Direktor der Klinik für Kardiologie mit Schwerpunkt Elektrophysiologie am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, im Gespräch mit Medscape beim Kardiologenkongress in Mannheim [1].
Können Differenzialdiagnosen wie ein epileptischer oder dissoziativer Anfall oder eine transitorische ischämische Attacke (TIA) ausgeschlossen werden, so bestätigt sich der Verdacht auf eine Synkope, deren Ursache nun gesucht werden muss. „Die häufigsten Formen sind neurokardiogene – also vasovagale oder situative – Synkopen“, so Meyer. „Dazu kommen arrhythmie-assoziierte Synkopen; sowohl Bradykardien als auch ventrikuläre oder supraventrikuläre Tachykardien können sie auslösen.“
Kommt der Patient wegen einer Synkope in die Notaufnahme, so werden eine körperliche Untersuchung, Eigen- und Fremdanamnese und ein 12-Kanal-EKG durchgeführt. Für die Diagnose einer vasovagalen oder situativen Synkope (Reflexsynkope) oder einer orthostatischen Hypotonie kann darüber hinaus ein sogenannter Schellong-Test, bei dem der Patient mindestens 3 Minuten stehen muss, sinnvoll sein.
Hausarzt als Lotse für weitergehende Diagnostik
Längst nicht jeder Patient wird wegen einer Synkope in die Notfallambulanz eingewiesen und in der Klinik gründlich durchgecheckt. Oftmals ignoriert der Betroffene das Problem, oder er berichtet es unmittelbar oder auch verspätet seinem Hausarzt. Dieser wird nach der Erstuntersuchung eine Überweisung an den Facharzt in Betracht ziehen, sofern sich Hinweise auf ein neurologisches oder kardiologisches Grundleiden ergeben. „Der Hausarzt hat eine zentrale Stellung bei der Diagnose von Synkopen, da sich die Patienten oftmals zuerst an ihn wenden“, stellt Meyer klar.
Ausreichende Flüssigkeitszufuhr und Stehtraining
Wichtig ist dann die Aufklärung über den Stellenwert einer ausreichenden Versorgung mit Flüssigkeit und Kochsalz und die Vermeidung der individuellen Triggerfaktoren. Bei Vorwarnzeichen (Prodromi) wie Schwarzwerden vor Augen, Nausea, Schwindel oder ein allgemeines Unwohlsein sollte der Patient über physikalische Gegenmanöver aufgeklärt werden: das Überkreuzen der Beine, Anspannen durch Gegenzug der Arme oder das Hinhocken. Lassen diese Maßnahmen die Prodromi nicht abklingen, sollte er sich unverzüglich setzen oder hinlegen.
Patienten mit vasovagalen Synkopen oder orthostatischer Hypotonie können zudem von einem orthostatischen Stehtraining profitieren. Dieses scheitert aber oftmals an Compliance-Problemen: „Kaum jemand möchte jeden Tag 30 Minuten lang angelehnt an einer Wand stehen“, räumte PD Dr. Ali Aydin, ein. Nach Angaben des Chefarztes der Kardiologie im Krankenhaus Reinbek kann bei rezidivierenden vasovagalen oder orthostatischen Synkopen die präventive Gabe von Midodrin erwogen werden.
Fahreignung überprüfen
Bedrohlich für den Patienten und somit „maligne“ sind einerseits kardiale Synkopen, die nicht von Vorwarnzeichen (Prodromi) begleitet sind, denn sie können Stürze verursachen. Und sie können Auslöser für Arbeits- oder Verkehrsunfälle sein. Das ist allerdings vergleichsweise selten: Unfälle mit Bewusstseinsstörungen werden häufiger durch epileptische Anfälle (38%) oder durch diabetesbedingte Hypogkyämien (18%) ausgelöst als durch kardiale Ursachen (8%). Das individuelle jährliche Risiko, auf Grund einer kreislaufbedingten Ohnmacht einen schweren Verkehrsunfall zu verursachen, liegt laut einer Pressemitteilung der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie, Herz- und Kreislaufforschung (DGK) nur bei 1 zu 1.500 – das heißt: nur einer von 1.500 solcher Anfälle endet tatsächlich mit einem schweren Unfall.
„Dieser vergleichsweise geringen Häufigkeit stehen aber die potentiell fatalen Folgen – auch für Unbeteiligte – gegenüber“, betont Meyer. Deshalb sollte leitliniengerecht bei Synkopen-Patienten immer auch eine Begutachtung der Fahrtauglichkeit erfolgen.
Das heißt aber nicht, dass kein Synkopen-Patient mehr ein Fahrzeug führen dürfte: Nach dem ersten Ereignis einer vasogalen Synkope gelten für Privatfahrer (Gruppe 1) praktisch keine Einschränkungen, und auch für Berufskraftfahrer (Gruppe 2) hat diese Synkope keine Folgen, sofern kein Hinweis auf ein frühes Rezidiv-Risiko vorliegt. Erst nach wiederholten und unklaren Synkopen kann sich für Fahrer der Gruppe 1 eine zunächst 6-monatige Fahrpause ergeben, und Fahrer der Gruppe 2 können die Fahreignung verlieren. „Dies sind jedoch häufig Einzelfallentscheidungen“, so Meyer.
Manchmal schlechte Prognose
Synkopen, die auf einer Herzrhythmusstörung beruhen, sind noch aus einem anderen Grund „maligne“: Sie sind mit einer schlechten Prognose verbunden; die Patienten sterben deutlich häufiger als andere Personen an einem plötzlichen Herztod.
Dazu zitierte Prof. Dr. Andreas Schuchert, Chefarzt der Klinik für Innere Medizin am Friedrich-Ebert-Krankenhaus Neumünster, eine kanadische Studie mit 4.030 Synkopen-Patienten, die im Durchschnitt 54 Jahre alt waren; 56% waren Frauen. „3,6% der Patienten erlitten in den folgenden 30 Tagen ernste Komplikationen“, berichtete Schuchert.
Diese reichten von neu diagnostizierten Herzrhythmusstörungen, strukturellen Herzerkrankungen, Aortendissektionen oder Myokardinfarkten (zusammen 2,4%) über nichtkardiale Ereignisse wie Lungenembolien, Gastrointestinalblutungen usw. (zusammen 0,9%) bis hin zum Tod (0,5%). Auch in den Folgejahren sei das Risiko von Synkopen-Patienten, eine – zumeist kardiale – Komplikation zu erleiden, deutlich erhöht, konstatierte Schuchert und belegte dies mit weiteren Studiendaten.
Prävention maligner Synkopen und ihrer Folgekomplikationen
Meyer bewertete auf Nachfrage von Medscape besonders Synkopen durch ventrikuläre Tachyarrhythmien, verbunden mit strukturellen Schäden des Herzmuskels, als „maligne“. Zur Verbesserung der Prognose ist ein implantierbarer Cardioverter-Defibrillator (ICD) für diese Patienten in der Regel die Therapie der Wahl.
Sind Herzklappenschädigungen wie eine hochgradige Aortenklappen-Stenose der Auslöser von Synkopen, so wird zu einer Verminderung der körperlichen Belastung geraten solange noch keine endgültige Behandlung wie etwa ein Aortenklappenersatz durchgeführt wurde; hier ist also die Vermeidung von Sport ausnahmsweise die gesündere Alternative.
REFERENZEN:
1. 83. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie (DGK), 19. bis 22. April 2017, Mannheim
Medscape Nachrichten © 2017 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: Synkopen-Diagnostik: Bei plötzlicher „Ohnmacht“ gilt es vor allem 3 Fragen zu klären - Medscape - 24. Apr 2017.
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