Wien – Unter der langfristigen Einnahme des Antidiabetikums Metformin erhöht sich nach einer neuen Studie bei Patienten mit Typ-2-Diabetes das Risiko für neurodegenerative Erkrankungen.

Dr. Yi-Chun Kuan
Die taiwanesische Kohortenstudie beobachtete über 12 Jahre rund 9.300 Typ-2-Diabetiker. Dabei war das Risiko für die Entwicklung einer Parkinson- oder Alzheimer-Krankheit in der Metformin-Gruppe auch nach Berücksichtigung mehrerer Störvariablen im Vergleich zu einer Kontrollgruppe ohne Metformin immer noch mehr als doppelt so hoch.
Zudem erhöhte sich das Risiko progressiv mit der Höhe der Dosierung und der Dauer der Anwendung.
Die Ergebnisse sind auf der diesjährigen 13. International Conference on Alzheimer's and Parkinson's Diseases in Wien von Dr. Yi-Chun Kuan vom Shuang Ho Hospital der Taipei Medical University in New Taipei City, Taiwan, als Poster vorgestellt worden [1].
Interessant dabei ist auch, dass erst kürzlich Untersuchungen den Schluss nahegelegt hatten, dass Metformin eine protektive Wirkung gegenüber neurodegenerativen Erkrankungen haben könnte. Gegenüber Medscape sagte Kuan dazu, dass „einige Studien positive und einige negative Ergebnisse aufgezeigt“ hätten, wobei er und seine Mitautoren nun dem Ganzen unter Verwendung des eigenen Datenmaterials nachgehen wollten.
„Wir hatten von diesem möglichen protektiven Effekt des Metformins gehört, doch zeigen unsere Ergebnisse das Gegenteil“, fuhr sie fort. Sie betonte, dass groß angelegte prospektive Studien in anderen Ländern erforderlich seien, um diese Frage definitiv zu beantworten.
Parkinson und Alzheimer unter Metformin signifikant häufiger
In früheren Untersuchungen habe sich bereits eine Assoziation zwischen Typ-2-Diabetes und einem erhöhten Risiko für neurodegenerative Erkrankungen gezeigt, doch welche Rolle die antidiabetische Medikation dabei spiele, sei offen geblieben. Kuan und ihr Team untersuchten nun die Aufzeichnungen von 4.651 Typ-2-Diabetikern, die Metformin erhalten hatten, aus der Datenbank der Nationalen Krankenversicherung in Taiwan, und verglich diese mit einer Kontrollgruppe aus ebenfalls 4.651 Personen ohne diese Medikation.
Nachdem sie für Faktoren wie Alter, Geschlecht und Schwere des Diabetes statistisch korrigiert hatten, „waren die kumulativen Inzidenzen für die Parkinson- und die Alzheimer-Krankheit in der Metformin-Kohorte“ nach 12 Jahren signifikant höher (P < 0,001), berichtete Kuan.
Tabelle 1. Outcome mit und ohne Metformin-Einnahme
Outcome |
Ereignisse (%) |
Adjustierte Hazard Ratio |
Parkinson-Krankheit |
6,85 vs 2,78 |
2,27 (1,66–3,07) |
Demenz insgesamt |
11,5 vs 6,7 |
1,66 (1,35–2,04) |
Alzheimer-Krankheit |
1,64 vs 0,83 |
2,13 (1,20–3,79) |
vaskuläre Demenz |
1,64 vs 0,69 |
2,30 (1,25–4,22) |
Darüber hinaus stieg das Risiko für eine dieser neurodegenerativen Erkrankungen mit zunehmender Dosis und Dauer der Metformin-Gabe an, was besonders für eine Einnahmedauer von mehr als 300 Tagen und eine kumulative Dosis von mehr als 240 g galt.
Tabelle 2. Vergleich nach Metformin-Einnahmedauer
Risiko nach Einnahmedauer (in Tagen = d) |
Ereignisse (%) | Adjustierte Hazard Ratio (95%-Konfidenzintervall) |
Parkinson-Krankheit |
||
< 180 d | 5,90 | 1,77 (1,17–2,68) |
180 - 300 d | 4,30 | 1,46 (0,90–2,37) |
300 - 400 d | 6,05 | 2,20 (1,47–3,28) |
≥ 400 d | 14,3 | 4,49 (3,06–6,58) |
Demenz insgesamt |
||
< 180 d | 7,99 | 1,02 (0,74–1,41) |
180 - 300 d | 11,4 | 1,79 (1,32–2,43) |
300 - 400 d | 10,4 | 1,61 (1,21–2,16) |
≥ 400 d | 20,6 | 2,84 (2,12–3,82) |
Tabelle 3. Vergleich nach kumulativer Metformin-Dosis
Risiko nach Dosis (in Gramm = g) |
Ereignisse (%) | Adjustierte Hazard Ratio (95%-Konfidenzintervall) |
Parkinson-Krankheit |
||
< 130 g | 5,36 | 1,58 (1,02–2,44) |
130 - 240 g | 6,80 | 2,21 (1,45–3,35) |
240 - 385 g | 6,19 | 2,14 (1,41–3,25) |
> 385 g | 9,38 | 3,54 (2,41–5,20) |
Demenz insgesamt |
||
< 130 g | 9,97 | 1,22 (0,90–1,67) |
130 - 240 g | 12,0 | 1,61 (1,19–2,17) |
130 - 240 g | 12,3 | 2,06 (1,54–2,75) |
> 385 g | 11,9 | 1,97 (1,45–2,68) |
Kuan sagte, dass sie gerne auch noch nach möglichen Assoziationen bei anderen Antidiabetika wie Insulin oder Sulfonylharnstoffen forschen würde. „Ich bin Neurologin und wüsste gerne, welche Medikamente für meine Patienten die besten sind. Unsere Studie hat auch ihre Grenzen. Ich kann nicht sicher sagen, ob unsere Ergebnisse zu den Risiken real sind.“ Doch sollten Kliniker nach ihrer Auffassung diese Ergebnisse im Hinterkopf behalten.
Andere Forscher überrascht und skeptisch
Dr. Larry Ereshefsky von der Follow the Molecule Consulting Group in Los Angeles sagte auf die Bitte um eine Stellungnahme gegenüber Medscape, dass ihn die Ergebnisse sehr überraschten, aber auch skeptisch machten.
Er merkte an, dass das Poster nicht zeige, wie die Untersucher die Störvariablen kontrolliert haben, und es werde auch nichts zu alternativen Behandlungsmethoden beim Typ-2-Diabetes oder über die HbA1c-Spiegel in den verschiedenen Gruppen gesagt – dies alles könne die Resultate beeinflussen.
„Es ist schon interessant und ich würde gerne mehr darüber erfahren, doch ich glaube nicht, dass diese Ergebnisse die Wirklichkeit abbilden“, fuhr Ereshefsky fort, der ehemals als Professor für Psychiatrie und Pharmakologie an der University of Texas in San Antonio gewirkt hatte.
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Diesen Artikel so zitieren: Gut bei Diabetes, aber schlecht fürs Gehirn? Studie findet unter Metformin erhöhtes Risiko für Parkinson und Alzheimer - Medscape - 18. Apr 2017.
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