Eine radiologisch kontrollierte Kortison-Injektion direkt in die geschädigte Bandscheibe verschafft Patienten mit lumbalem Rückenschmerz kurzzeitig Besserung – langfristig hilft dies aber nicht. Das ist das Ergebnis einer randomisierten Studie mit 135 Patienten, die die schmerzlindernde Wirkung dieser Therapieoption untersucht hat [1].

Prof. Dr. Bernd Kladny
„Eine einzelne intradiskale Glukokortikoid-Injektion minderte die Schmerzen im unteren Rücken nach einem Monat, jedoch nicht mehr nach 12 Monaten“, so das Fazit des Autorenkollektivs um Dr. Christelle Nguyen von der Université Paris Descartes.
Prof. Dr. Bernd Kladny, Chefarzt der Abteilung Orthopädie und Unfallchirurgie, Fachklinik Herzogenaurach und stellvertretender Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie e.V. (DGOU), überrascht das Ergebnis nicht: „Dass bei Menschen mit chronischen Kreuzschmerzen durch eine einzelne Kortisongabe in die Bandscheibe keine nachhaltige Schmerzlinderung erzielt werden konnte, ist nicht verwunderlich“, kommentiert er im Gespräch mit Medscape.
Bis zu drei Viertel der Menschen betroffen
Im Laufe ihres Lebens leiden 70 bis 85% aller Erwachsenen mindestens einmal unter lumbalen Rückenschmerzen; bei 15 bis 40% sei eine spezifische Ursache des Schmerzes auszumachen, etwa ein Bandscheibenvorfall, erklärt Kladny. Wird der Schmerz chronisch, so führt das zu dauerhaften Einschränkungen – oft mit Arbeitsunfähigkeit.
Auch psychische Probleme sind nicht selten. „Das ständige Schmerzsignal macht die Patienten ängstlich und vielleicht sogar depressiv. Sie haben beruflich wie privat große Einschränkungen“, sagt der Mitautor der VersorgungsLeitlinie Kreuzschmerz. „Daher müssen wir uns darum bemühen, den Schmerz adäquat, multimodal und interdisziplinär zu behandeln.“
Gezielte Therapien sind auch wegen der Vielzahl möglicher Ursachen schwierig, bemerkt das französische Forscherteam. Inwiefern lokale Entzündungen eine Rolle spielen und mit ihr Therapien, die die Entzündung bekämpfen und den Schmerz lindern, sei bisher nicht eindeutig geklärt.
Um eine mögliche positive Auswirkung einer solchen Therapie auf die Schmerzen der Patienten zu untersuchen, haben Nguyen und Kollegen in 3 Zentren in Frankreich 135 Patienten (Durchschnittsalter 46 Jahre, 2/3 weiblich) mit chronischen lumbalen Rückenschmerzen (tägliche Schmerzen über mindestens 3 Monate) rekrutiert. Alle Patienten zeigten im MRT eine erkennbare aktive Diskopathie mit Entzündungen in den angrenzenden Wirbelkörpern (Modic T1 und T2).
Immerhin habe es an 3 Zentren ganze 4 Jahre gedauert, diese Zahl von Patienten in die Studie einzuschließen, bemerkt Dr. David J. Kennedy von der Stanford University in Redwood, Kalifornien (USA), in einem Editorial zur Studie [2]. „Das verdeutlicht die Herausforderung der Erforschung von Rückenschmerzen. Obwohl die Krankheit allgegenwärtig ist, sind die Ursachen vielfältig“, so die Editorial-Autoren weiter. Das erkläre eventuell den ausgebliebenen Langzeiterfolg der Kortison-Injektion, auch, weil bei einem Teil der Patienten wahrscheinlich nicht nur eine Schmerzursache bestanden habe.
Die Hälfte der rekrutierten Patienten (n = 67) erhielt während der Diskographie eine Glukokortikoid-Injektion genau in die geschädigte Bandscheibe (25 mg Prednisolonacetat); die andere Gruppe eine Diskographie ohne Injektion des Medikaments. „Dieser Ansatz ist relativ einfach“, kommentiert Kladny. „Man injiziert das Kortison am vermuteten Ort der Entzündung, um die Entzündung lokal zu bekämpfen. Diese äußert sich durch ein lokales Ödem.“
Patienten, die das Medikament einmalig erhielten, stuften ihre Kreuzschmerzen einen Monat nach der Intervention im Vergleich zur Kontrollgruppe als weniger stark ein. Mehr als die Hälfte von ihnen hatte weniger Schmerzen als vor dem Eingriff. In der Kontrollgruppe empfanden 33% der Patienten eine Schmerzlinderung nach einem Monat. Ebenfalls berichteten zu diesem Zeitpunkt mehr Patienten, die das Kortison erhalten hatten, über weniger Einschränkungen durch den Kreuzschmerz im Alltag.
Nach 12 Monaten bestand aber bei der Intensität der Schmerzen kein Unterschied mehr zwischen beiden Gruppen. Vielmehr nahmen die Schmerzen in der Injektionsgruppe bereits 3 Monate nach der Intervention wieder zu und waren nach einem Jahr in beiden Gruppen gleich stark.
Dauerhafte Besserung nur durch Bewegung
Das überrasche ihn nicht, bemerkt Kladny. „Eine einzelne Maßnahme, egal, ob als Spritze oder in Tablettenform, reicht bei chronischen Schmerzpatienten nicht aus.“ Vielmehr müssten nach der Schmerzlinderung die Muskeln durch Bewegung und Physiotherapie trainiert werden, um die Ursachen der Schmerzen – oft eine geschwächte Muskulatur und Bewegungsmangel – zu beheben.
„In unserer Klinik dient eine Injektion zur Schmerzlinderung dazu, den Patienten einer Physio- und Bewegungstherapie wieder zugänglich zu machen.“ Denn viele Patienten seien wegen ihrer permanenten Schmerzen derart „gelähmt“, dass sie sich gar nicht mehr bewegen. „Das ist ein fataler Kreislauf, den es zu durchbrechen gilt.“

Dr. Hans-Martin Puchert
Eine Therapie, wie sie das französische Team getestet habe, sei eventuell eine Option für Patienten mit einer entsprechenden Entzündung. Das Ausschalten der Entzündung könne eine anschließende Bewegungstherapie ermöglichen, so Kladny. Kennedy sieht die Kortisongabe in die Bandscheibe ebenfalls als „Option für eine kurzzeitige Schmerzlinderung“. Ob man diese invasive Therapieoption im akuten Setting überhaupt anwenden sollte, sei jedoch fraglich.
Auch Dr. Hans-Martin Puchert empfiehlt nicht unbedingt die Nachahmung der untersuchten Intervention. Wöchentlich behandelt der Facharzt für Diagnostische Radiologie am Diagnostikum Berlin 20 bis 30 Patienten mit Kortison-Injektionen, um ihre lumbalen Rückenschmerzen zu lindern. Im Vorfeld versucht er, die Schmerzursache mit Hilfe von MRT-Aufnahmen der Lendenwirbelsäule genau zu lokalisieren.
„Ich habe jedoch nie eine Veranlassung gefunden, das Kortison direkt in die Bandscheibe zu spritzen“, erklärt er im Gespräch mit Medscape. „Außerdem würde ich mir von der einmaligen Injektion einer relativ kleinen Menge bei chronischen Schmerzpatienten nicht viel versprechen. Viel spannender finde ich es, einen gereizten Nerv, etwa infolge eines Bandscheibenvorfalls, zur Ruhe zu bringen“, erklärt er. Die Kortisonspritze werde dazu in unmittelbarer Nähe des gereizten Nervs gesetzt, um das Ödem, das sich aufgrund der Reizung bilde, abschwellen zu lassen.
Er kritisiert zudem, dass in der französischen Studie ausschließlich das Schmerzempfinden der Patienten und nicht der Reizzustand am Knochen als Gradmesser für den Erfolg der Behandlung herangezogen wurde.
„Ich hätte gerne gewusst, inwiefern die Inflammation, wie vorher vermutet, zurückgegangen ist.“ Pucherts Schmerzpatienten kommen durchschnittlich 3 bis 6 Mal zur CT-gestützten Kortison-Injektion. „Die Herausforderung besteht unter anderem darin, vorher durch das MRT noch genauer festzulegen, wie die Medizin dorthin gelangt, wo sie am besten hilft.“
REFERENZEN:
1. Nguyen C, et al: Ann Intern Med (online) 21. März 2017
2. Kennedy DJ: Ann Intern Med (online) 21. März 2017
Medscape Nachrichten © 2017 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: Chronischer lumbaler Rückenschmerz: Einmal Kortison in die kaputte Bandscheibe hilft – langfristig braucht es aber mehr - Medscape - 18. Apr 2017.
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