Stuttgart – Heiße Sommertage sind stressig, vor allem aber sind sie ein Gesundheitsrisiko. So neigen COPD-Patienten und andere chronisch Lungenkranke vermehrt zu Exazerbationen, müssen häufiger als sonst ins Krankenhaus und die Sterblichkeit ist während der Hitzewellen erhöht. „Wir müssen schauen, an welchen Stellschrauben wir drehen können, um etwas für unsere Patienten tun zu können“, sagte Prof. Dr. Christian Witt von der Charité Berlin beim Kongress der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DGP) in Stuttgart [1].
Von diesen Stellschrauben gebe es einige. Jedoch sei es noch gar nicht lange her, dass weitgehend unklar war, wer wann unter welchen Umständen gefährdet ist. Betroffen seien besonders Lungenpatienten in Großstädten: „Vor allem in den Großstädten, wo sich die Hitze besonders stark staut, kann das weitreichende Folgen für Lungenpatienten haben“, erklärte Prof. Dr. Martin Kohlhäufl, Pneumologe aus Stuttgart und einer der Tagungspräsidenten des diesjährigen DGP-Kongresses.
Eine dichte Bebauung sorgt für Wärmeinseln, die die sommerliche Hitze verstärken und die nächtliche Abkühlung verhindern. Die Temperaturdifferenz zwischen Stadt und Land könne 5° bis 11°C betragen, erklärte Witt. In Berlin sei etwa der Alexanderplatz eine solche Wärmeinsel, der Tiergarten dagegen sorge für Abkühlung. Der Wohnort eines Menschen könne also maßgeblich seine Gefährdung beeinflussen.
Stadtklima und Hitzestress: Morbidität und Mortalität nehmen zu
Im interdisziplinären und von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Forschungsprojekt UCaHS (Urban Climate and Heat Stress in mid-latitude cities in view of climate change) sollen Hitzestressgefahren in der Modellregion Berlin quantifiziert und technische wie nichttechnische Methoden erarbeitet werden, die Anpassungen an den Klimawandel ermöglichen. Beteiligt sind Klimatologen, Stadt- und Landschaftsplaner, Ingenieure, Architekten, Politik- und Sozialwissenschaftler, Mediziner und andere. Ziel ist es, die Auswirkungen von Hitzestress zu mindern.
Die Evaluation der medizinischen Vulnerabilität bestimmter Bevölkerungsgruppen ist eines der Forschungsmodule innerhalb des UCaHS. Wenig überraschend sind Kinder, alte und chronisch kranke Menschen besonders vulnerabel für Hitzestress. Bei chronisch Lungenkranken steige mit jedem Grad Celsius die respiratorisch bedingte Mortalität an, sagte Witt.
Berechnungen des UCaHS zufolge werde die Hitzestress-bedingte respiratorische Mortalität in Europa um mehr als 6% steigen. Ausgehend von bereits heute vorliegenden Daten, so schätzt der Experte, könnte sich die Zahl der Krankenhausaufnahmen allein für COPD-Patienten in den nächsten Jahrzehnten verfünffachen.
Nimmt man weitere vulnerable Personengruppen hinzu, etwa Patienten mit Herzkreislauf-Erkrankungen, Diabetiker oder multimorbide Menschen, dürfte mit einem Vielfachen der Belastungen, allein für das Gesundheitssystem, zu rechnen sein. Nach Witts Angaben wird während Hitzewellen von einer Exzessmorbidität von bis zu 9% sowie von einer Exzessmortalität von bis zu 14% ausgegangen. „Je länger eine Hitzewelle anhält, umso mehr erhöht sich das Risiko“, so der Berliner Pneumologe.
Die erhöhte Hitzestressvulnerabilität von COPD-Patienten hängt damit zusammen, dass das Einatmen heißer und zusätzlich mit Feinstaub belasteter Luft die Durchblutung der Lungen- und Bronchialschleimhaut beeinträchtigt. Der Wärmeabtransport über die Lunge funktioniert bei COPD-Patienten jedoch nur noch eingeschränkt.
Hinzu kommt, dass alte Menschen weniger als junge Menschen schwitzen und sie sind außerdem weniger in der Lage, ihr Verhalten den Umständen anzupassen, zum Beispiel indem sie mehr zu trinken. Insgesamt müsse man laut Witt bei chronisch Lungenkranken von einem erhöhten Exazerbationsrisiko ausgehen, wenn sie:
alleine und sozial isoliert leben,
arm sind,
in schlecht isolierten Dachwohnungen und Wohnungen ohne ausreichende Luftzirkulation oder Klimatisierung leben.
Schon ab Temperaturen von 25°C seien das Wohlbefinden und die Belastbarkeit von Lungenpatienten deutlich verringert.
Anpassungsstrategien bei COPD-Patienten evaluieren
Abgesehen von gebäudetechnischen und stadtplanerischen Maßnahmen entwickeln die an UCaHS beteiligten Ärzte medizinische Anpassungsstrategien, etwa zur Versorgung chronisch Lungenkranker. Eine davon ist die telemedizinische Betreuung von Risikopatienten. Auf diese Weise könne der Zustand der Patienten auch zu Hause rund um die Uhr beobachtet und bei drohender Verschlechterung rechtzeitig eingegriffen werden, so Kohlhäufl. Ein solches telemedizinisches Monitoring umfasste in Studien etwa Lungenfunktionsmessungen mittels Spirometer. Der klinische Zustand der Patienten wurde mittels COPD-Assessment-Test (CAT) erfasst.
In einer entsprechenden Studie mit 62 Patienten an der Charité im Sommer 2012 mit 32 Hitzetagen und Maximaltemperaturen von im Mittel 29°C waren in der Telemedizin-Gruppe 3 Exazerbationen, in der Kontrollgruppe dagegen 14 Exazerbationen im Zeitraum von Juni bis August aufgetreten. Die Lungenfunktionswerte und die körperliche Belastbarkeit waren in der Telemedizin-Gruppe besser und die telemedizinisch betreuten Patienten verbrachten signifikant weniger Tage im Krankenhaus. Auch im 9-Monats-Follow-up schnitt die Telemedizin-Gruppe besser ab.
Im Telemedizinischen Zentrum des Robert-Bosch-Krankenhauses werden in Kooperation mit der Klinik Schillerhöhe in Stuttgart bereits seit 2012 Versicherte der Techniker Krankenkasse mit COPD bundesweit telemedizinisch betreut. „Die telemedizinische Betreuung der Patienten erfolgt mithilfe eines leitliniengerechten Versorgungsplans, der speziell für COPD-Patienten entwickelt wurde“, erklärt Kohlhäufl gegenüber Medscape. „Er ist modular aufgebaut und kann, in Abhängigkeit vom aktuellen Zustand und den Vitalwerten, für jeden Patienten individuell zusammengestellt werden.“
Als weitere Strategie im Umgang mit zunehmend heißen Sommern sei auch die Resilienzentwicklung durch den Aufenthalt in Wärmekammern angedacht. Zum anderen, erklärte Witt, werde man in Zukunft nicht darum herumkommen, in Krankenhäusern klimatisierte Behandlungszimmer einzurichten.
In einer Studie an der Charité war der Verlauf von COPD-Patienten, die an Hitzetagen stationär aufgenommen worden waren, verglichen worden. Sie waren randomisiert entweder in ein auf 23°C gekühltes Zimmer oder in einem nichtklimatisierten Zimmer – hier herrschten Temperaturen von bis zu 30°C – versorgt worden. Witt: „Patienten, die in klimatisierten Räumen untergebracht waren, konnten vergleichsweise früher entlassen werden. Der CAT-Score war deutlich besser.“
REFERENZEN:
1. 58. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin, 22. bis 25. März 2017, Stuttgart
Medscape Nachrichten © 2017 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: Bis zu 14 Prozent Exzess-Mortalität während Hitzewellen – Lungenkranke in Großstädten leiden besonders unter dem Klimawandel - Medscape - 10. Apr 2017.
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