Die Einnahme der antioxidativen Nahrungsergänzungsmittel Vitamin E und Selen über 5 Jahre hatte keinen präventiven Effekt auf eine Demenz. Dies ist das Fazit der PREADVISE-Studie (Prevention of Alzheimer’s Disease by Vitamin E and Selenium) nach einem 11-jährigen Follow-up in einer großen Population älterer Männer.
Die Studie wurde von Dr. Richard J. Kryscio vom Sanders Brown Center on Aging der University of Kentucky in Lexington durchgeführt und in JAMA Neurology publiziert. Laut Kryscio war dies die erste Studie, die den Langzeiteffekt von antioxidativer Nahrungsergänzung auf die Demenzinzidenz bei asymptomatischen Männern geprüft hat.
„Die Menschen werden jetzt 2-mal darüber nachdenken, ob die Einnahme von Antioxidantien zur Alzheimer-Prävention der richtige Weg ist“, sagt er gegenüber Medscape. „Auch wenn oxidativer Stress gemeinhin als ein Faktor auf dem Weg in die Demenz gilt, glaube ich persönlich, dass die Vorstellung eines Einsatzes von Antioxidantien zur Prävention der Demenz eine Sackgasse ist.“
Rund 4.000 Männer 11 Jahre nachverfolgt
Die Untersuchung begann 2002 als Teil der SELECT-Studie (Selenium and Vitamin E Cancer Prevention Trial), die sich mit der Wirkung von Vitamin E und Selen in der Prävention des Prostatakarzinoms befasste. Dazu wurden 7.450 Männer (Durchschnittsalter 67 Jahre) ohne Anzeichen einer kognitiven Beeinträchtigung zu Beginn der Datenerhebung rekrutiert. Die Zuteilung von Vitamin E (400 IU/d), Selen (200 μg/d), beider Substanzen oder Placebo erfolgte zufällig.
Die SELECT-Studie wurde Anfang 2009 aufgrund des mangelnden Erfolgs und der Selentoxizität eingestellt. Die Patienten aus der PREADVISE-Studie beendeten die Einnahme der Nahrungsergänzungsmittel, wurden aber dennoch in Rahmen einer Kohortenstudie für weitere 6 Jahre beobachtet. Allerdings stellte etwa die Hälfte der an der Studie beteiligten Einrichtungen nach dem Stopp alle Aktivitäten ein, sodass deren Patienten für das Follow-up verloren gingen, berichtete Kryscio. „Deshalb stand uns mit 3.786 Patienten nur gut die Hälfte unserer Stichprobe für ein komplettes Follow-up zur Verfügung.“
Während der Studienphase mit den Nahrungsergänzungsmitteln wurden die Teilnehmer mithilfe eines zweigleisigen Demenz-Screenings evaluiert. Im Verlauf der Kohortenstudie wurden die Personen telefonisch kontaktiert und mit einem erweiterten 2-stufigen Kognitions-Screening beurteilt. Ergaben sich aus den Tests Hinweise auf eine mögliche kognitive Beeinträchtigung, wurden in beiden Phasen die Männer ermutigt, ihren Hausarzt zu kontaktieren.
Antioxidantien ohne Auswirkung auf das Demenzrisiko, dafür negative Effekte
Die Ergebnisse zeigten, dass am Ende des Beobachtungszeitraums 325 Männer (4,4%) eine Demenz entwickelt hatten, jedoch ohne Unterschied in den 4 Studiengruppen. Im Cox-Regressionsmodell (Regressionsanalyse zur Modellierung von Überlebenszeiten), mit dem sich die Inzidenz im Hinblick auf die demografischen Angaben der Teilnehmer und der angegebenen Komorbiditäten zum Zeitpunkt des Studienbeginns analysieren ließ, ergaben sich Hazard Ratios von 0,88 (95%-Konfidenzintervall: 0,64-1,20) für Vitamin E, 0,83 (95%-KI: 0,60-1,13) für Selen und 1,00 (95%-KI: 0,75-1,35) für die Kombination beider gegenüber Placebo.
Die Autoren merken an, dass die Daten der SELECT-Studie scheinbar zu einer Zunahme der Fälle von Typ-2-Diabetes führten (wenngleich dieser erhöhte Wert im weiteren Follow-up nach und nach wieder zurückging) und dass Vitamin E mutmaßlich die Inzidenz des Prostatakarzinoms erhöhte.
Die Nahrungsergänzungsmittel hatten keinen statistischen Einfluss auf die Mortalität, andere Malignome, kardiovaskuläre Ereignisse, Übelkeit, Fatigue oder Nagelveränderungen. Beim Selen kam es zu einer signifikanten Zunahme an Alopezien sowie von Dermatitiden Grad 1 und 2.
„Der Einsatz von Vitamin E und Selen als Nahrungsergänzung verhindert keine Demenz und kann zur Prävention nicht empfohlen werden“, folgern die Untersucher. Allerdings fügten sie hinzu, dass dieser Schluss durch die Schwächen der Studie abgemildert würde (nur männliche Probanden, relativ kurzer Einnahmezeitraum, Dosisfragen sowie methodische Grenzen).
Probleme von Präventionsstudien
In einem begleitenden Editorial äußerten sich Dr. Steven T. DeKosky vom McKnight Brain Institute in Florida und dem Alzheimer's Disease Research Center in Gainesville, USA, und Dr. Lon S. Schneider von der Keck School of Medicine der University of Southern California in Los Angeles, USA. Sie weisen darauf hin, dass die PREADVISE-Studie wie mehrere andere Studien daran scheiterte, einen Einfluss verschiedener Interventionen auf die Demenzentwicklung aufzuzeigen, wie etwa Gingko biloba, Entzündungshemmer, Statine oder auch Hormonbehandlungen.
Sie weisen auch auf verschiedene Aspekte hin, die zu den negativen Ergebnissen der PREADVISE-Studie beigetragen haben könnten, wie etwa der Verlust der Hälfte der Teilnehmer durch den Stopp der Hauptstudie, unvollständige Aufzeichnungen im Kohortenstudienteil und die geringe Zahl an Demenzen insgesamt (was mit dem hohen Bildungsniveau und dem eher jungen Durchschnittsalter der Teilnehmer zu Studienbeginn zusammenhängen kann).
„Bei einem Mindestaufnahmealter in die Studiengruppe von 60 Jahren wurden die meisten Personen in der Kohortenstudie während ihrer Sechziger verfolgt, wenn die Demenzinzidenz noch sehr niedrig ist“, fügen die Kommentatoren hinzu. Sie sagten auch, dass man an der PREADVISE-Studie gut die Schwierigkeiten von Präventionsstudien erkennen könne, wie etwa:
Unsicherheit bei der Dosierung
Unklarheit über den Wirkmechanismus
Belege dafür, dass der anvisierte Wirkort erreicht wurde
sorgfältige Auswahl einer heterogenen Population, die über einen realistischen Zeitraum beobachtet werden kann, damit sich genügend Demenzfälle ergeben, an denen sich ein Erfolg oder Misserfolg der präventiven Intervention ablesen lässt
Verwendung eines geeigneten Beurteilungsinstruments für eine saubere Diagnostik
effektive Methoden zur Gewährleistung der Mitarbeit der Probanden über den ganzen Zeitraum.
„Effiziente und kostensenkende Möglichkeiten zur Lösung dieser Probleme bei langfristigen krankheitsmodulierenden Studien zu entdecken, muss eines der Hauptziele von Forscherteams in der ganzen Welt sein“, so DeKosky und Schneider.
Begrenzungen der Studie vermutlich ohne Einfluss auf das negative Ergebnis
In einem Interview mit Medscape geht Kryscio auf einige der angesprochenen Punkte ein. „Der randomisierte Studienteil wurde vorzeitig beendet, weil er auf der Prostatakarzinomstudie aufgesattelt war und wir die Hälfte unserer Patienten für das Langzeit-Follow-up verloren haben. Dadurch hat die Studie an Gewicht verloren. Aber wir haben auch überhaupt keine Anzeichen für einen signifikanten Effekt gefunden, sodass ich nicht glaube, dass wir ein positives Ergebnis gesehen hätten, selbst wenn unsere Stichprobe doppelt so groß gewesen wäre“, sagt Kryscio. „Die Teilnehmer in dieser Studie waren zu Studienbeginn kognitiv normal und ich schätze, es war reichlich ambitioniert zu glauben, dass wir in dieser Population einen Effekt nachweisen können. Doch zum Zeitpunkt, als die Untersuchung startete, war es das, was alle taten. Heute geht es eher um die ‚Sekundärprävention‘ und man fahndet nach den Hochrisikogruppen für eine Demenzentwicklung.“
Kryscio geht auch auf das Alter der Teilnehmer ein, die zu Beginn der Studie überwiegend in den Sechzigern waren und am Ende der Studie in den Siebzigern. „Ich halte das für ganz vernünftig. Viele Patienten entwickeln einen Alzheimer in ihren Siebzigern. Wenn man mit der Beobachtung in einem höheren Lebensalter einsetzt, ist man mit einer ganzen Reihe weiterer Probleme konfrontiert, vor allem mit der vaskulären Demenz, was die Bewertung der Studie erschweren würde“, sagt er. „Ich schätze, dass unsere Teilnehmer im Durchschnitt ein paar Jahre älter hätten sein dürfen, aber ich glaube nicht, dass dies viel am Ergebnis verändert hätte.“
Er weist darauf hin, dass die Studie durch Tierforschungs-Ergebnisse angestoßen worden war, bei denen es Hinweise darauf gab, dass oxidative Prozesse mit der Entwicklung der Alzheimer-Krankheit in Verbindung stünden und dass Vitamin E in der Lage wäre, dies zu stoppen. Auch einige Beobachtungsstudien verleiteten zu der Annahme, dass ein hohes Antioxidanzien-Niveau mit einem niedrigeren Demenzrisiko assoziiert sei.
Er glaubt, dass, trotz aller Begrenzungen der Studie, die Ergebnisse gegen eine Verfolgung der Antioxidantien-Ansatzes über Nahrungsergänzungsmittel in der Demenzprävention sprechen. „Vielleicht denkt manch einer darüber nach, dass andere Vitamin-E- oder Selenformen oder auch andere Antioxidantien einen Versuch wert seien, doch ich persönlich glaube nicht, dass das funktionieren würde.“
Der Artikel wurde von Markus Vieten aus http://www.medscape.com übersetzt und adaptiert.
REFERENZEN:
1. Kryscio JR, et al: JAMA (online) 20. März 2017
2. DeKosky ST, et al: JAMA (online) 20. März 2017
Medscape Nachrichten © 2017 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: Antioxidantien fürs Gehirn? Langjährige Einnahme von Vitamin E und Selen schützt nicht vor Demenz - Medscape - 7. Apr 2017.
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