Die Online-Videosprechstunde (OVS) wird als erste telemedizinische Leistung Teil der Regelversorgung und von den Krankenkassen bezahlt. Zum 1. April 2017 gelten damit 2 Abrechnungsziffern für die Videosprechstunde: GOP 1450 (4,21 Euro) als Technikpauschale und GOP 1439 (9,27 Euro) als Ziffer für den Videokontakt selbst. Für eine Videosprechstunde kommen nur solche Patienten in Frage, die bereits von der betreffenden Arztpraxis behandelt werden und deren letzter persönlicher Arztkontakt nicht länger als 2 Quartale zurückliegt.
Die Abrechnung beider Ziffern ist auf je 800 Euro pro Jahr begrenzt. Damit kann die Technikpauschale 47 Mal im Quartal abgerechnet werden.
Wie oft die Sprechstunde selbst abgerechnet werden kann, lässt sich nicht exakt sagen. Denn es gibt auch Videokonsultationen, die abrechnungsfähig sind – und zwar dann, wenn der Patient im Quartal der Videosprechstunde schon einmal bei seinem Arzt war. In diesem Fall geht die Videosprechstunde in der Grundpauschale auf. Darauf haben sich die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) und der GKV-Spitzenverband (GKV-SV) im Bewertungsausschuss im Rahmen des neuen E-Health-Gesetzes geeinigt [1].
„Dank der Videosprechstunde müssen Arzt und Patient künftig nicht mehr in jedem Fall gemeinsam in der Arztpraxis sein“, lobt der GKV-Spitzenverband. „Das kann Zeit und Geld sparen.“
Facharztverbände indessen kritisierten die unwirtschaftlichen Konditionen. „Die Rahmenbedingungen stehen der praktischen Umsetzung im Wege und schließen nur einen Teil der Patienten ein“, so der Spitzenverband Fachärzte Deutschlands.
Aber schon jetzt zeigt sich, dass die Regelung nur ein erster Schritt ist. Denn zeitgleich hat die Ärztekammer Baden-Württemberg beschlossen, Fernbehandlungsmodelle zu erlauben und geht damit über die Telekonsultation als bloße Behandlungsergänzung hinaus.
Ergänzen, nicht ersetzen
Laut Bewertungsausschuss kann der Technikzuschlag GOP 1450 bei bis zu 50 Videosprechstunden im Quartal angesetzt werden, auch mehrfach im Behandlungsfall. Mit etwa der Hälfte der Pauschale soll der Arzt die Lizenzgebühren für den genutzten Videodienst begleichen können, die andere Hälfte ist sein Honorar.
Die Ziffer GOP 1439 und damit der eigentliche digitalisierte Kontakt dagegen kann nur einmal pro Behandlungsfall abgerechnet werden. Voraussetzung ist, dass der Patient in den vorangegangenen 2 Quartalen mindestens einmal persönlich in der Sprechstunde war und sowohl Verlaufskontrolle als auch der Erstkontakt durch dieselbe Praxis vorgenommen werden.
Außerdem darf bei bestimmten Behandlungen, die normalerweise 3 Arzt-Patienten-Kontakte erfordern, einer der Kontakte zukünftig per Video stattfinden. Darunter fallen zum Beispiel die Behandlungen von Wunden oder Dekubiti.
Bisher sind Hausärzte mit in die abrechnungsberechtigte Gruppe einbezogen, sowie unter anderem Dermatologen, Chirurgen, Orthopäden, Augenärzte, Urologen, Gynäkologen oder Kinderärzte.
Die Video-Sprechstunden sollen die begonnenen Behandlungen eines Patienten ergänzen, so die KBV, nicht aber ersetzen. So wurden folgende Indikationen für die Sprechstunde am Bildschirm festgelegt:
visuelle postoperative Verlaufskontrolle einer Operationswunde,
visuelle Verlaufskontrolle einer/von Dermatose(n), auch nach strahlentherapeutischer Behandlung,
visuelle Verlaufskontrolle einer/von akuten, chronischen und/oder offenen Wunden,
visuelle Beurteilung von Bewegungseinschränkungen/-störungen des Stütz- und Bewegungsapparates, auch nervaler Genese, als Verlaufskontrolle,
Beurteilung der Stimme und/oder des Sprechens und/oder der Sprache als Verlaufskontrolle,
anästhesiologische, postoperative Verlaufskontrolle.
Das Leistungsspektrum solle zukünftig erweitert werden, so die KBV.
Die Kassenseite zeigte sich zufrieden mit der Einigung. „Vor allem Patienten mit chronischen Erkrankungen werden von dieser ergänzenden Leistung profitieren, wenn sie sich mit der modernen Technik angefreundet haben“, kommentiert Johann-Magnus von Stackelberg, stellvertretender Vorstandsvorsitzender des GKV-Spitzenverbandes. „Denn die vielfältigen Möglichkeiten der Telemedizin werden perspektivisch eine immer größere Rolle in der modernen Patientenversorgung spielen.“
So, wie es aussieht, müssen sich vielmehr die Ärzte mit der neuen Technik anfreunden als die Patienten. Das legt jedenfalls eine Studie der Bertelsmann Stiftung aus dem Jahr 2015 nahe. Sie ergab, dass fast 45% der Bevölkerung Videosprechstunden mit ihrem Hausarzt nutzen würden, um lange Wartezeiten beim Arzt zu vermeiden – aber nur 3,5% der Ärzte einen entsprechenden Service vorhalten.
Realitätsferne Rahmenbedingungen
Die Zahlen der Bertelsmann Stiftung dürften Wasser auf die Mühlen der Ärzteverbände und Hersteller sein, die bessere Konditionen für die Sprechstunde am Bildschirm fordern, um mehr Ärzte zur Online-Sprechstunde zu verlocken. Ein Großteil der möglichen Patienten werde durch die schlechten Bedingungen von dem neuen Service ausgeschlossen, hieß es.
„Muss der Patient trotz Videostunde in die Praxis einbestellt werden, können Ärzte die vorausgegangene Videosprechstunde gar nicht abrechnen – trotz erbrachter Leistung“, sagt etwa Dr. Thomas Fischbach, Präsident des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ) in Deutschland. Zudem seien die Indikationen zu sehr eingeschränkt. „Man gewinnt den Eindruck, dass eine bedarfsorientierte Einführung der neuen telemedizinischen Leistungen gar nicht Ziel der Verhandlungen war“, so Fischbach.
Dr. Dirk Heinrich, Vorsitzender des Spitzenverbandes Fachärzte Deutschlands (SpiFa), vermisst eine höhere Technikpauschale: „Die Rahmenbedingungen sind realitätsfern und führen unter Umständen bei Ärzten auch zu Verlusten – je nachdem, welchen technischen Anbieter die Praxen nutzen“, so Heinrich. Er sprach sich für weitere maßgeschneiderte Modellprojekte statt der begrenzten Erstattung aus. „Mit den gewonnenen Erkenntnissen solcher Verträge, die man zu vernünftigen Konditionen abschließen könnte, wäre eine spätere bedarfsorientierte Einführung in die Regelversorgung sicherlich zielführender.“
Der Bundesverband Internet Medizin (BiM), ein Herstellerverband, hat ermittelt, dass die Videosprechstunde wegen der eingezogenen Deckelung nur 17,5-mal im Quartal erbracht werden kann. Solche Rationierung bedeute, „dass jährlich in Deutschland etwas mehr als 5 Millionen vergütete Videosprechstunden durchgeführt werden könnten. Angesichts von jährlich ca. 600 Millionen Arztkontakten scheint man im Bewertungsausschuss von einem Substitutionspotenzial von weniger als einem Prozent ausgegangen zu sein“, hieß es.
Ärztekammer Baden-Württemberg geht einen Schritt weiter
Unterdessen hat die Ärztekammer Baden-Württemberg vielleicht die Tür zur Zukunft der Telemedizin aufgestoßen und die Fernbehandlung in Modellprojekten erlaubt. So könnten Anamnesen, Befunderhebung, Diagnose, Beratung und Therapieeinleitung inklusive Verschreibungen mit Genehmigung der Kammer auch fernmündlich oder über eine Online-Sprechstunde geschehen. Bisher verbietet die Berufsordnung (§ 7 Abs. 4, Musterberufsordnung Ärzte) solche ausschließlichen Fernbehandlungen.
Baden-Württembergs Kammerpräsident Dr. Ulrich Clever: „Wir sehen in den Modellprojekten vielfältige Chancen für die Zukunft, gerade auch vor dem Hintergrund der Demografie und des technisch Machbaren. Und wir gehen davon aus, dass wir mit unserem Weg auch dem allenthalben spürbaren Ärztemangel ein Stück weit begegnen können.“
REFERENZEN:
1. Beschluss des Bewertungsausschusses, 21. Februar 2017
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Diesen Artikel so zitieren: Online-Sprechstunde gehört ab 1. April als erste telemedizinische Leistung zur Regelversorgung – doch viele unzufrieden - Medscape - 5. Apr 2017.
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