Hochrisiko-Neuroblastom bei Kindern: Europäisches Schema der Hochdosis-Chemo erweist sich dem US-Schema als überlegen

Dr. Jürgen Sartorius

Interessenkonflikte

31. März 2017

Eine hochdosierte Chemotherapie, die im Anschluss an initiale Chemotherapie und Operation eingesetzt wird, verbessert das ereignisfreie Überleben von Kindern mit Neuroblastom der höchsten Risikogruppe. In Europa und den USA werden hierfür verschieden Kombinationen genutzt, deren Wirkungen in einer Multicenter-Studie der International Society of Paediatric Oncology European Neuroblastoma Group (SIOPEN) erstmals direkt verglichen und im The Lancet Oncology veröffentlicht wurden [1].

Prof. Dr. Angelika Eggert

Die bislang in Europa verbreitete Kombination aus Busulfan und Melphalan zeigte sich dabei der in den USA präferierten Kombination aus Carboplatin, Etoposid und Melphalan signifikant überlegen – bezogen auf 3 Jahre ereignisfreies Überleben als primären Endpunkt.

„Das Ergebnis dieser europäischen Multicenter-Studie ist in der Tat hochinteressant und klinisch relevant für die zukünftige Therapie von Kindern mit Hochrisiko-Neuroblastom“, wertet Prof. Dr. Angelika Eggert, Direktorin der Klinik für Pädiatrische Onkologie der Charité, Berlin, und Vorstandsvorsitzende der Gesellschaft für Pädiatrische Onkologie und Hämatologie (GPOH).  

Prospektive Langzeitstudie

Prof. Dr. Ruth Ladenstein, Children`s Cancer Research Institute in Wien, und ihre Kollegen analysierten Daten von insgesamt 1.347 Patienten im Alter von 1 bis 20 Jahren (80% von ihnen unter 5 Jahre alt), die in der Zeit von 2002 bis 2010 in 128 Zentren in  18 hauptsächlich europäischen Ländern erhoben wurden.

Nach der Diagnose eines Neuroblastoms der Hochrisikogruppe (88% davon im Stadium 4) erhielten die Kinder eine induktive Chemotherapie in mehreren Zyklen, die aus Cisplatin, Carboplatin, Cyclophosphamid, Vincristin und Etoposid (COJEC) bestand. Danach wurden aus diesen Kindern 598, bei denen eine komplettes Ansprechen im Knochenmark erzielt worden war, für die Randomisierung ausgewählt. 

Die beiden Gruppen erhielten entweder Busulfan und Melphalan oder Carboplatin, Etoposid und Melphalan in Dosen, die jeweils auf Körpergewicht und glomeruläre Filtrationsrate abgestimmt waren. Im Anschluss erhielten die Kinder eine Stammzelltransplantation, Bestrahlungen des Primärtumorortes sowie eine Erhaltungstherapie im Rahmen des zentrumsüblichen Vorgehens.

Längeres ereignisfreies Überleben und weniger Nebenwirkungen mit Busulfan/Melphalan

Das mediane Follow-up betrug 7,2 Jahre. Das ereignisfreie Überleben nach 3 Jahren lag in der Busulfan/Melphalan-Gruppe mit 50% (95%-Konfidenzintervall: 45-56) signifikant höher (p = 0,0005) als in der Carboplatin/Etoposid/Melphalan-Gruppe mit 38% (95%-KI: 32-43, jeweils unter Intention-to-treat-Bedingungen.

 
Das Ergebnis dieser europäischen Multicenter-Studie ist in der Tat hochinteressant und klinisch relevant … Prof. Dr. Angelika Eggert
 

Unter Busulfan/Melphalan kam es zu 13 (4%), unter Carboplatin/Etoposid/Melphalan zu 29 (10%) lebensbedrohlichen Toxizitäten. Die häufigsten Nebenwirkungen 3./4. Grades unter Busulfan/Melphalan waren 26% allgemeine Schwäche (vs 38% unter Carboplatin/Etoposid/Melphalan), 19% Infektionen (vs 74%) und 49% Stomatitis (vs 59%). Dagegen kam es bei 22% der Patienten des Bus/Melph-Armes zu hepatischer Venenokklusion 1.-3. Grades, im Carb/Etop/Melph-Arm dagegen nur bei 9% der Patienten.

Die Studienautoren schlagen deshalb vor, Busulfan und Melphalan weiterhin als Standard der hochdosierten Chemotherapie gegen Neuroblastome einzusetzen. Sie erwähnen auch, dass weitere randomisierte Studien laufen, um die Behandlung des Neuroblastoms der höchsten Risikogruppe weiterhin optimieren zu können.

Deutsche Kinderonkologen offen für europäische Zusammenarbeit

„Die deutsche Neuroblastomstudiengruppe der GPOH hat bislang vor der autologen Stammzelltransplantation eine sehr ähnliche Hochdosischemotherapie verabreicht wie die amerikanischen Kollegen, also ebenfalls eine Kombination aus Melphalan, Etoposid und Carboplatin“, berichtet Eggert.

„Auf Basis der nun in Lancet Oncology publizierten Daten der SIOPEN-Studiengruppe haben wir uns entschieden, ab 2017/2018 auch deutschen Patienten die Hochdosistherapie mit Busulfan/Melphalan anzubieten und zukünftige Studienkonzepte für Neuroblastompatienten gemeinsam mit der SIOPEN-Gruppe zu prüfen.“

US-amerikanische Experten geben anfangs weniger Platin, dafür später mehr

In einem Kommentar in der gleichen Ausgabe von Lancet Oncology bestätigen Dr. Rochelle Bagatell und Prof. Dr. Stephan A. Grupp, Onkologen am Children`s Hospital of Philadelphia, USA, dass die hochdosierte Chemotherapie trotz zahlreicher weiterer Entwicklungen von tumorspezifischen Therapien noch immer wesentlich dazu beiträgt, die Überlebensraten von Kindern mit Neuroblastom der höchsten Risikogruppe zu erhöhen und somit notwendig bleibt [2].

Allerdings geben die US -Kommentatoren zu bedenken, dass die von den Studienautoren der SIOPEN-Gruppe beschriebene induktive Chemotherapie COJEC stark von Platin geprägt ist. Für die Randomisierung wählten die Autoren nur Patienten mit gutem Response auf diese COJEC aus.

Somit sei es möglich, dass die folgende hochdosierte Chemotherapie ohne Platin-haltige Komponente im Bus/Melph-Arm die induktive COJEC-Chemotherapie besser ergänze und dadurch ein besseres Ergebnis im Ereignis-freien 3 Jahres-Überleben zeige. Auch die geringere Nebenwirkungsrate ließe sich durch die fehlende Platinkomponente erklären, spekulieren die Kommentatoren.

Chemotherapie braucht Ergänzungen aus der Molekularbiologie zum Erfolg

Sowohl die Autoren als auch die Kommentatoren sind sich einig, dass eine fortschrittliche Therapie des Neuroblastoms zusätzlich auch auf anderen Möglichkeiten wie etwa der Gangliosid GD-2 spezifischen Immun- und Radioimmuntherapie beruhen muss. So wissenschaftlich interessant Head-to-Head-Studien sind, gibt diese Studie also nicht den aktuellen Stand der zeitgemäßen umfassenden Therapiemöglichkeiten für Neuroblastome der höchsten Risikostufe wieder.

„Wodurch letztlich eine Verbesserung erzielt werden kann, bleibt abzuwarten“, meint Eggert. „Unsere Patienten haben eine andere Induktionschemotherapie erhalten als die Patienten der hier veröffentlichten Studie: ebenfalls viel Cisplatin, aber auch zusätzlich Ifosfamid und Dacarbazin. Diese Induktionstherapie ist insgesamt deutlich aggressiver und hat bereits ohne Busulfan/Melphalan zu Überlebensraten geführt, die denen der publizierten SIOPEN-Studie entsprechen.“

„Als neue Leiterin der GPOH-Neuroblastomstudiengruppe würde ich mich sehr freuen, wenn ein ab jetzt europaweites Studienkonzept, also gemeinsam mit der SIOPEN-Gruppe mit Busulfan/Melphalan Hochdosistherapie, Immuntherapie und erstmalig Biomarker-basierter, also molekular gezielter Therapie in der Erstlinientherapie insgesamt zu noch besseren Überlebensraten unserer Patienten führen würde“, resümiert Eggert.



REFERENZEN:

1. Ladenstein R, et al: Lancet Onkology, (online) 1. März 2017

2. Bagatall R, eta al: Lancet Onnkology (online) 1. März 2017

Kommentar

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