GEMINI-ACS-1-Studie: Rivaroxaban als Ersatz für ASS nach Infarkt und Co – ähnliche Blutungsraten, aber schützt es besser?

Julia Rommelfanger

Interessenkonflikte

30. März 2017

Washington, D.C. Eine duale  antithrombotische Therapie, die aus dem Faktor Xa-Hemmer Rivaroxaban und einem  P2Y12-Antagonisten (Clopidogrel oder Ticagrelor) besteht, birgt nach einem  akuten Koronarsyndrom (ACS) das gleiche Blutungsrisiko wie Acetylsalicylsäure (ASS)  in Kombination mit einem P2Y12-Antagonisten. Das zeigen die Resultate der  GEMINI-ACS-1-Studie, der ersten randomisierten Doppelblind-Phase-2-Studie, die  das Blutungsrisiko dieser beiden Kombinationen miteinander verglichen hat.  

           

Prof. Dr. Erik Magnus Ohman

           

Die Ergebnisse der Studie, in die mehr als 3.000  Patienten aufgenommen worden waren, präsentierte Studienleiter Prof. Dr.  Erik Magnus Ohman vom Duke Research  Institute der Duke University in Durham, North Carolina, auf den American College of Cardiology  (ACC) 2017 Scientific Sessions, in Washington, D.C. [1]. Gleichzeitig wurde  die Studie in der Zeitschrift Lancet veröffentlicht [2].

Standardtherapie  auf dem Prüfstand

Die meisten Patienten mit ACS nehmen  ihr Leben lang ASS ein, „obwohl es wenig Evidenz dafür gibt, dass ASS einem  weiteren Infarkt in der Frühphase nach dem akuten Koronarsyndrom vorbeugen  kann”, sagte Ohman auf dem Kongress. „Diese Studie ist wichtig, weil sie erstmals zeigt, dass das Ersetzen von ASS  durch ein neues, mehr  zielgerichtetes Medikament, niedrigdosiertes Rivaroxaban, nicht zu einem  zusätzlichen Blutungsrisiko führt, wenn man dieses Medikament als Teil  einer dualen Therapie mit einem Thrombozyten-Aggregationshemmer verabreicht.”

 
Diese Studie … zeigt, dass das Ersetzen von ASS durch ein mehr zielgerichtetes Medikament, niedrigdosiertes Rivaroxaban, nicht zu einem zusätzlichen Blutungsrisiko führt. Prof. Dr. Erik Magnus Ohman
 

Standardmäßig besteht die antithrombotische Therapie nach  ACS aus dualer Plättchenhemmung (DAPT) mit ASS plus P2Y12-Inhibitor. Jedoch erleiden  auch dann noch rund 10% der Patienten schwere und häufig fatale kardiovaskuläre  Komplikationen. Eine Triple-Therapie mit einem zusätzlichen Faktor  Xa-Inhibitor zur DAPT kann zwar die Mortalitäts- und Ereignisrate senken,  verursacht jedoch ein mehrfach erhöhtes Blutungsrisiko.

Um die hohen Ereignisraten unter dualer Plättchenhemmung zu  drosseln, forschen Experten nach neuen Kombinationen, die die Thrombusbildung  verhindern und die Blutungsrate gleichzeitig niedrig halten. „Wir wollten  herausfinden, ob die Kombination von Rivaroxaban mit entweder Clopidogrel oder  Ticagrelor mit akzeptablen Blutungsraten im Vergleich zur DAPT einhergeht“,  schreiben die Autoren.

Für die von Janssen und Bayer gesponserte GEMINI-ACS-1-Studie  haben Ohman und seine Kollegen 3.037 Patienten mit akutem Koronarsyndrom (ACS)  rekrutiert (Durchschnittsalter 63 Jahre; 49% STEMI, 40% NSTEMI, 11% instabile  Angina). Die Patienten waren in 371 Zentren in 21 Ländern behandelt worden: nach  dem ACS mindestens 48  Stunden lang entweder mit Clopidogrel (75 mg/Tag;  n = 1.333) oder Ticagrelor (90 mg/Tag; n = 1.704).

Bei der Hälfte der Patienten ersetzten die Ärzte ASS  durch den Faktor-Xa-Inhibitor Rivaroxaban (2,5 mg 2-mal täglich). Mit der dualen  Therapie wurde im Schnitt 5,5 Tage nach dem ACS-Ereignis begonnen. Die  durchschnittliche Behandlungszeit betrug 291 Tage, das durchschnittliche  Follow-up 326 Tage.

 
Betrachtet man die gesamte Evidenz, liegt ASS in der GEMINI-ACS-1-Studie vorne. Dr. Paul A. Gurbel und Dr. Udaya S. Tantry
 

Nur wenige schwere  Blutungskomplikationen

Der primäre Endpunkt waren Blutungen nach der TIMI  (Thrombolysis In Myocardial Infarction)-Blutungsskala, die nicht Folge einer  Koronararterien-Bypass-Chirurgie (CABG) waren. Solche Blutungen traten bei 80 Patienten (5,3%) der Rivaroxaban-Gruppe sowie bei 74 (4,9%) der ASS-Gruppe auf  (p = 0,5480). Schwere Blutungen waren in beiden Gruppen selten. Es machte dabei  keinen Unterschied, welcher P2Y12-Inhibitor gegeben wurde.

Zusätzlich verglichen die Forscher als exploratorischen  Endpunkt das Auftreten ischämischer Komplikationen – kardiovaskulärer Tod,  Myokardinfarkt, Schlaganfall oder Stentthrombose. Dies hielt sich ebenfalls in  etwa die Waage (5% unter Rivaroxaban, 4,7% unter ASS). Zumindest seien die  Unterschiede statistisch nicht signifikant ausgefallen, so die Autoren.

Aus diesem Grund fiel das Fazit der Studiengruppe positiv  aus: „Die GEMINI-ACS-1-Studie hat erstmals gezeigt, dass unter niedrigdosiertem  Rivaroxaban klinisch relevante oder schwere Blutungen nicht häufiger auftraten  als unter DAPT, sodass diese Strategie als sicher im post-ACS-Setting  eingestuft werden kann.“ 

Das zeige, sagte Ohman gegenüber Medscape, „dass ASS zumindest potenziell ersetzt werden kann, wenn  die Ereignisraten positiv ausfallen“ – wenn also unter Rivaroxaban weniger  kardiovaskuläre Komplikationen auftreten als unter ASS. Bei GEMINI-ACS-1 handle  es sich jedoch nicht um eine Outcome-Studie – diese sei erst noch erforderlich.

Genauer gesagt: Nun müsse eine große Phase-3-Studie folgen,  die die Effektivität von Rivaroxaban mit der von ASS in Kombination mit einem  Thrombozytenfunktionshemmer zur Verhinderung kardiovaskulärer Komplikationen  nach ACS untersuche, sagte Ohman auf dem Kongress. Eine solche Studie sei  jedoch bisher nicht in Planung, bedauerte er nach der Präsentation gegenüber Medscape.

Experten: An ASS  als Eckpfeiler der Thromboseprävention festhalten

Andere Experten sind der Meinung, dass eine große  Outcome-Studie zu Rivaroxaban versus ASS bei ACS wenig Sinn macht. Zwar seien  die Komplikationsraten nach ACS in der Tat „inakzeptabel“ und zwängen zur  Erforschung neuartiger Behandlungsstrategien, sagen Dr. Paul A. Gurbel und Dr.  Udaya S. Tantry vom Inova Center for Thrombosis Research and Drug  Development in Falls Church, Virginia, USA, in einem Editorial zu der  GEMINI-ACS-1-Studie [3]. Jedoch sei ein klareres Verständnis der Mechanismen der  Thrombin-Signalweg-Inhibition und TxA2-Signalweg-Hemmung notwendig, „bevor  größere Anstrengungen unternommen werden, den Eckpfeiler zu ersetzen“,  schreiben sie.

ASS sei seit 30 Jahren ein „Eckpfeiler der  antithrombotischen Therapie“, der trotz gleicher Blutungs- und Ereignisraten in  der Studie insgesamt besser als Rivaroxaban abgeschnitten habe, argumentieren  sie. Fast alle Blutungsmessungen fielen unter ASS niedriger aus, jedoch ohne  statistische Signifikanz, und die Zahl der kardiovaskulären Ereignisse in den  ersten 30 Tagen nach dem ACS lag in der Rivaroxaban-Gruppe über der in der ASS-Gruppe,  führen sie an.

„Diese Erkenntnis ist erwähnenswert und könnte auf den  starken Effekt der Thrombozytenfunktion auf die Thrombose in dieser Zeitspanne  zurückzuführen sein.“ Daher sei es „verfrüht zu glauben, dass ein  niedrigdosierter Xa-Inhibitor, der zusätzlich zu einem P2Y12-Antagonisten gegeben  wird, eine sichere und effektive Therapie für die meisten stabilen  ACS-Patienten sein kann“, so die Meinung der Editorialisten. „Betrachtet man die gesamte  Evidenz, liegt ASS in der GEMINI-ACS-1-Studie vorne.“

Auch der Präsident des ACC 2017, Dr. Jeffrey Kuvin vom Dartmouth-Hitchcock Medical Center, Lebanon,  New Hampshire, USA, will sich von ASS nicht verabschieden: „Diese Studie hat 2 Behandlungsstrategien  untersucht und gefragt, welche hinsichtlich des Blutungsrisikos in einer  Hochrisiko-Population besser abschneidet“, sagte er gegenüber Medscape. „Ich denke, wir sollten diese  Erkenntnis nutzen, aber wirklich ganz genau herausfinden, wie sie die  Behandlung unserer Patienten beeinflussen wird. Die Quintessenz lautet: Wir  haben jetzt eine lange Liste antithrombotischer und gerinnungshemmender  Medikamente, die wir Patienten geben können. Die Frage aber bleibt: Welchen  Patienten sollen wir diese verabreichen – und in welchen Kombinationen?“



REFERENZEN:

1. 66. American College of Cardiology (ACC) Scientific Sessions, 17. bis 19. März 2017, Washington, D.C./USA

Kommentar

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