Washington, D.C. – Eine duale antithrombotische Therapie, die aus dem Faktor Xa-Hemmer Rivaroxaban und einem P2Y12-Antagonisten (Clopidogrel oder Ticagrelor) besteht, birgt nach einem akuten Koronarsyndrom (ACS) das gleiche Blutungsrisiko wie Acetylsalicylsäure (ASS) in Kombination mit einem P2Y12-Antagonisten. Das zeigen die Resultate der GEMINI-ACS-1-Studie, der ersten randomisierten Doppelblind-Phase-2-Studie, die das Blutungsrisiko dieser beiden Kombinationen miteinander verglichen hat.

Prof. Dr. Erik Magnus Ohman
Die Ergebnisse der Studie, in die mehr als 3.000 Patienten aufgenommen worden waren, präsentierte Studienleiter Prof. Dr. Erik Magnus Ohman vom Duke Research Institute der Duke University in Durham, North Carolina, auf den American College of Cardiology (ACC) 2017 Scientific Sessions, in Washington, D.C. [1]. Gleichzeitig wurde die Studie in der Zeitschrift Lancet veröffentlicht [2].
Standardtherapie auf dem Prüfstand
Die meisten Patienten mit ACS nehmen ihr Leben lang ASS ein, „obwohl es wenig Evidenz dafür gibt, dass ASS einem weiteren Infarkt in der Frühphase nach dem akuten Koronarsyndrom vorbeugen kann”, sagte Ohman auf dem Kongress. „Diese Studie ist wichtig, weil sie erstmals zeigt, dass das Ersetzen von ASS durch ein neues, mehr zielgerichtetes Medikament, niedrigdosiertes Rivaroxaban, nicht zu einem zusätzlichen Blutungsrisiko führt, wenn man dieses Medikament als Teil einer dualen Therapie mit einem Thrombozyten-Aggregationshemmer verabreicht.”
Standardmäßig besteht die antithrombotische Therapie nach ACS aus dualer Plättchenhemmung (DAPT) mit ASS plus P2Y12-Inhibitor. Jedoch erleiden auch dann noch rund 10% der Patienten schwere und häufig fatale kardiovaskuläre Komplikationen. Eine Triple-Therapie mit einem zusätzlichen Faktor Xa-Inhibitor zur DAPT kann zwar die Mortalitäts- und Ereignisrate senken, verursacht jedoch ein mehrfach erhöhtes Blutungsrisiko.
Um die hohen Ereignisraten unter dualer Plättchenhemmung zu drosseln, forschen Experten nach neuen Kombinationen, die die Thrombusbildung verhindern und die Blutungsrate gleichzeitig niedrig halten. „Wir wollten herausfinden, ob die Kombination von Rivaroxaban mit entweder Clopidogrel oder Ticagrelor mit akzeptablen Blutungsraten im Vergleich zur DAPT einhergeht“, schreiben die Autoren.
Für die von Janssen und Bayer gesponserte GEMINI-ACS-1-Studie haben Ohman und seine Kollegen 3.037 Patienten mit akutem Koronarsyndrom (ACS) rekrutiert (Durchschnittsalter 63 Jahre; 49% STEMI, 40% NSTEMI, 11% instabile Angina). Die Patienten waren in 371 Zentren in 21 Ländern behandelt worden: nach dem ACS mindestens 48 Stunden lang entweder mit Clopidogrel (75 mg/Tag; n = 1.333) oder Ticagrelor (90 mg/Tag; n = 1.704).
Bei der Hälfte der Patienten ersetzten die Ärzte ASS durch den Faktor-Xa-Inhibitor Rivaroxaban (2,5 mg 2-mal täglich). Mit der dualen Therapie wurde im Schnitt 5,5 Tage nach dem ACS-Ereignis begonnen. Die durchschnittliche Behandlungszeit betrug 291 Tage, das durchschnittliche Follow-up 326 Tage.
Nur wenige schwere Blutungskomplikationen
Der primäre Endpunkt waren Blutungen nach der TIMI (Thrombolysis In Myocardial Infarction)-Blutungsskala, die nicht Folge einer Koronararterien-Bypass-Chirurgie (CABG) waren. Solche Blutungen traten bei 80 Patienten (5,3%) der Rivaroxaban-Gruppe sowie bei 74 (4,9%) der ASS-Gruppe auf (p = 0,5480). Schwere Blutungen waren in beiden Gruppen selten. Es machte dabei keinen Unterschied, welcher P2Y12-Inhibitor gegeben wurde.
Zusätzlich verglichen die Forscher als exploratorischen Endpunkt das Auftreten ischämischer Komplikationen – kardiovaskulärer Tod, Myokardinfarkt, Schlaganfall oder Stentthrombose. Dies hielt sich ebenfalls in etwa die Waage (5% unter Rivaroxaban, 4,7% unter ASS). Zumindest seien die Unterschiede statistisch nicht signifikant ausgefallen, so die Autoren.
Aus diesem Grund fiel das Fazit der Studiengruppe positiv aus: „Die GEMINI-ACS-1-Studie hat erstmals gezeigt, dass unter niedrigdosiertem Rivaroxaban klinisch relevante oder schwere Blutungen nicht häufiger auftraten als unter DAPT, sodass diese Strategie als sicher im post-ACS-Setting eingestuft werden kann.“
Das zeige, sagte Ohman gegenüber Medscape, „dass ASS zumindest potenziell ersetzt werden kann, wenn die Ereignisraten positiv ausfallen“ – wenn also unter Rivaroxaban weniger kardiovaskuläre Komplikationen auftreten als unter ASS. Bei GEMINI-ACS-1 handle es sich jedoch nicht um eine Outcome-Studie – diese sei erst noch erforderlich.
Genauer gesagt: Nun müsse eine große Phase-3-Studie folgen, die die Effektivität von Rivaroxaban mit der von ASS in Kombination mit einem Thrombozytenfunktionshemmer zur Verhinderung kardiovaskulärer Komplikationen nach ACS untersuche, sagte Ohman auf dem Kongress. Eine solche Studie sei jedoch bisher nicht in Planung, bedauerte er nach der Präsentation gegenüber Medscape.
Experten: An ASS als Eckpfeiler der Thromboseprävention festhalten
Andere Experten sind der Meinung, dass eine große Outcome-Studie zu Rivaroxaban versus ASS bei ACS wenig Sinn macht. Zwar seien die Komplikationsraten nach ACS in der Tat „inakzeptabel“ und zwängen zur Erforschung neuartiger Behandlungsstrategien, sagen Dr. Paul A. Gurbel und Dr. Udaya S. Tantry vom Inova Center for Thrombosis Research and Drug Development in Falls Church, Virginia, USA, in einem Editorial zu der GEMINI-ACS-1-Studie [3]. Jedoch sei ein klareres Verständnis der Mechanismen der Thrombin-Signalweg-Inhibition und TxA2-Signalweg-Hemmung notwendig, „bevor größere Anstrengungen unternommen werden, den Eckpfeiler zu ersetzen“, schreiben sie.
ASS sei seit 30 Jahren ein „Eckpfeiler der antithrombotischen Therapie“, der trotz gleicher Blutungs- und Ereignisraten in der Studie insgesamt besser als Rivaroxaban abgeschnitten habe, argumentieren sie. Fast alle Blutungsmessungen fielen unter ASS niedriger aus, jedoch ohne statistische Signifikanz, und die Zahl der kardiovaskulären Ereignisse in den ersten 30 Tagen nach dem ACS lag in der Rivaroxaban-Gruppe über der in der ASS-Gruppe, führen sie an.
„Diese Erkenntnis ist erwähnenswert und könnte auf den starken Effekt der Thrombozytenfunktion auf die Thrombose in dieser Zeitspanne zurückzuführen sein.“ Daher sei es „verfrüht zu glauben, dass ein niedrigdosierter Xa-Inhibitor, der zusätzlich zu einem P2Y12-Antagonisten gegeben wird, eine sichere und effektive Therapie für die meisten stabilen ACS-Patienten sein kann“, so die Meinung der Editorialisten. „Betrachtet man die gesamte Evidenz, liegt ASS in der GEMINI-ACS-1-Studie vorne.“
Auch der Präsident des ACC 2017, Dr. Jeffrey Kuvin vom Dartmouth-Hitchcock Medical Center, Lebanon, New Hampshire, USA, will sich von ASS nicht verabschieden: „Diese Studie hat 2 Behandlungsstrategien untersucht und gefragt, welche hinsichtlich des Blutungsrisikos in einer Hochrisiko-Population besser abschneidet“, sagte er gegenüber Medscape. „Ich denke, wir sollten diese Erkenntnis nutzen, aber wirklich ganz genau herausfinden, wie sie die Behandlung unserer Patienten beeinflussen wird. Die Quintessenz lautet: Wir haben jetzt eine lange Liste antithrombotischer und gerinnungshemmender Medikamente, die wir Patienten geben können. Die Frage aber bleibt: Welchen Patienten sollen wir diese verabreichen – und in welchen Kombinationen?“
REFERENZEN:
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Medscape Nachrichten © 2017 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: GEMINI-ACS-1-Studie: Rivaroxaban als Ersatz für ASS nach Infarkt und Co – ähnliche Blutungsraten, aber schützt es besser? - Medscape - 30. Mär 2017.
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