
Prof. Dr. Herwig Kollaritsch
Berlin – Ob Reiseimpfung oder andere Vakzinierung: Wenn Menschen mit Immunsuppression geimpft werden sollen, handelt es sich um eine recht komplexe Angelegenheit. „Die Entscheidung, ob und was geimpft werden kann, hängt von vielen Parametern ab, die sich gleichzeitig gegenseitig beeinflussen“, erklärte Prof. Dr. Herwig Kollaritsch vom Zentrum für Reisemedizin Wien beim 18. CRM-Forum Reisen und Gesundheit in Berlin [1].
Patientenspezifisch ist neben Allgemeinzustand, Alter, laufender Therapie und Behandlungsdauer zu beachten, ob eine oder mehrere Grundkrankheiten vorliegen, die den Grad der Immunsuppression beeinflussen. Impfstoffspezifisch ist Kollaritsch zufolge zu unterscheiden, ob eine Lebendvakzine oder eine inaktivierte Vakzine in Frage kommt, wie immunogen das Impf-Antigen ist und welche Impf-Vorgeschichte der Patient hat (z.B. ob es sich um eine Revakzinierung mit Booster-Effekt oder eine Erstimpfung handelt).
Differenzierung von 3 Graden der Immunsuppression
Art und Schweregrad der Immunsuppression lassen sich in 3 Grade unterteilen, wie der Wiener Experte erläuterte:
Dabei entspricht Grad 1 einer minimalen Immunsuppression ohne signifikanten Einfluss auf das Immungeschehen.
Grad 2 bedeutet eine geringe Immunsuppression, die die Verwendung von Lebendvakzinen aber stark einschränkt und eine Impferfolgsprüfung nötig machen kann.
Grad 3 (Erkrankungen und Therapien mit hochgradiger Immunsuppression) schließt die Verwendung von Lebendimpfstoffen weitgehend aus und stellt den Impferfolg bei inaktivierten (Tot-)Impfstoffen erheblich in Frage.
Immunologische Restfunktion des Organismus ist entscheidend
„Bei allen Formen der Immunsuppression gilt folgende Grundregel“, erklärte Kollaritsch: „Totimpfstoffe gehen immer. Die Frage ist allerdings, ob sie auch funktionieren und die Patienten davon profitieren, was möglichst überprüft werden sollte. Lebendimpfstoffe hingegen sind bei Immunsupprimierten fast immer mit größter Vorsicht zu verwenden.“ Das bedeute nicht, dass Lebendimpfstoffe ausgeschlossen seien, es sei hierbei aber die aktuelle immunologische Restfunktion des Organismus zu berücksichtigen.
Ganz besonders wenn Lebendimpfstoffe in Frage kommen, gelte es, auf die Abstände zwischen der Gabe eines immunsupprimierenden Medikaments und der Impfung zu achten, betonte Kollaritsch: „Denn die verwendeten Immunsuppressiva müssen nicht nur in Bezug auf ihr supprimierendes Potenzial, sondern auch auf ihre Wirkdauer beurteilt werden.“
Wirkdauer der Immunsuppressiva oft länger, als ihre Halbwertszeit vermuten lässt
So unterscheide sich die Wirkdauer von Immunsuppressiva oft drastisch von der pharmakologischen Halbwertszeit, bzw. sie kann länger sein, als es die Halbwertszeit vermuten lässt:
Rituximab zum Beispiel habe eine biologische Halbwertszeit von 4 bis 5 Wochen, es wirke aber mindestens 12 Monate supprimierend auf das Immunsystem.
Bei hochgradiger Immunsuppression etwa mit Prednisolon, Methotrexat oder dem TNF-alpha-Blocker Inflliximab betrage die Wartezeit zwischen Gabe des Immunsuppressivums und einer Lebendimpfung mindestens 3 Monate.
Generell gilt der Rat, sich immer möglichst genau mit der Verteilung und dem Wirkmechanismus des jeweiligen Medikaments auseinanderzusetzen.
Impfung vor der Immunsuppression
Führt die Erkrankung und/oder Behandlung zu schweren Immunsuppressionen, sind Impfungen (vor allem Lebendimpfungen) bevorzugt vor Therapiebeginn durchzuführen. Das empfiehlt ein ausführliches, unter Mitarbeit von Kollaritsch erstelltes und kürzlich publiziertes Expertenstatement zu Impfungen bei Immunsuppression. Inaktivierte Impfstoffe – etwa gegen Diphtherie/Tetanus/Pertussis/Polio, Hepatitis A/B oder Influenza – sollten demnach spätestens 2 Wochen vor Therapiebeginn gegeben werden.
„Bei minimal immunsupprimierten Patienten (Grad 1) können Routine- und reiseassoziierte Totimpfstoffe wie bei Gesunden appliziert werden, ohne dass Titerkontrollen notwendig sind“, sagte Kollaritsch in Berlin. Ähnliches gelte in dieser Gruppe für Lebendimpfstoffe, allerdings unter Einhaltung eventuell notwendiger Zeitabstände. Auch bei Grad-1-Autoimmunkranken ohne medikamentöse Therapie seien Lebendimpfungen möglich, obwohl hierzu bisher kaum Daten vorlägen.
Auch bei Kortisontherapie Abstände berücksichtigen
Im Falle einer mittelgradigen Immunsuppression (Grad 2) können die meisten Lebendimpfungen erfolgen, allerdings unter Voraussetzung einer strengen Indikationsstellung, so der Wiener Experte. Bei einer Kortisontherapie (weniger als 20 mg/d, länger als 2 Wochen) sollte ein Abstand von 2 Wochen bis zur Lebendimpfung eingehalten werden.
Nicht empfohlen werden jedoch – wegen mangelnder Daten – Lebendimpfungen gegen Influenza und Herpes zoster. Wird mit Totimpfstoffen geimpft, sollte möglichst eine Titerkontrolle erfolgen.
Lebendimpfung: Bei hochgradiger Immunsuppression kontraindiziert!
„Bei hochgradiger Immunsuppression (Grad 3), z.B. nach einer Chemotherapie oder Organtransplantation, sind Lebendimpfungen kontraindiziert“, betonte Kollaritsch. Dies gelte in bestimmtem Umfang auch nach einer Kortisontherapie, wenn über mehr als 2 Wochen mehr als 20 mg/d verabreicht wurden. Hier sollte zwischen Therapieende und Lebendimpfung mindestens 1 Monat liegen.
Die Verabreichung von Totimpfstoffen ist selbst bei hochgradiger Immunsuppression prinzipiell möglich, bei einigen Patienten (z.B. mit Rituximab- oder Stammzelltherapie) ist jedoch ein Intervall bis zur Impfung vorgeschrieben. „Das Hauptproblem bei Grad-3-Immunsupprimierten ist, dass die Totimpfungen oft nicht oder nur unzureichend wirken“, gab der Wiener Experte zu bedenken.
Kontrolle des Impferfolgs: Titerprüfungen nur begrenzt aussagekräftig
Nicht verzichtet werden sollte in dieser Patientengruppe deshalb auf Impferfolgs-Kontrollen. Allerdings lassen sich Kollaritsch zufolge mit den serologischen Tests bzw. Titerprüfungen nur begrenzte und keine prognostischen Aussagen machen: „So erfassen diese Tests überwiegend nur Antikörper. Sie geben keine Auskunft über die zelluläre Immunität oder die Qualität der Antikörper.“
Dennoch seien Titerprüfungen brauchbar, um die antigenbezogene Immunreaktion eines Patienten generell zu erfassen und bei einem Immunsupprimierten zu prüfen, ob er überhaupt auf den Antigen-Reiz reagiert.
REFERENZEN:
1. 18. Forum Reisen und Gesundheit des CRM Centrum für Reisemedizin, 11. März 2017, Berlin
Medscape Nachrichten © 2017 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: Komplexe Materie: Impfung bei Immunsuppression – es kommt auf den Impfstoff und den Patienten an - Medscape - 30. Mär 2017.
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