Protokoll eines Scheiterns: Trump-Care in USA vorerst gestoppt – US-Präsident will warten bis „Obama-Care explodiert“

Schon den 2. Tag in Folge setzten am 24. März 2017 die Fraktionschefs der Republikaner im US-Repräsentantenhaus eine geplante Abstimmung über ihre eigene Gesetzesvorlage aus. Es ging um den „American Health Care Act“ (AHCA), auch bekannt als „Trumpcare“, welcher den „Patient Protection and Affordable Care Act“ (ACA, „Obamacare“) ersetzen sollte. Der Grund: Es hätte nicht genügend Ja-Stimmen gegeben, um die Gesetzesänderung durchzudrücken. „Wir haben sie gerade zurückgezogen“, zitierte die Washington Post am vergangenen Freitagnachmittag Präsident Donald Trump.

Paul Ryan

Es steht noch nicht fest, ob ein neuer Entwurf zur Abstimmung gebracht wird oder ob der AHCA nun Geschichte ist. Trump sagte Reportern im Weißen Haus, dass er vielleicht eine neue Kampagne starten werde, um das ACA-Gesetz aufzuheben und zu ersetzen – dann hoffentlich mit Unterstützung der Demokraten – sobald „Obamacare explodiert“. Er beschwerte sich, dass es von den Demokraten nicht eine einzige Stimme für die Gesetzesänderung gegeben hätte. Das Gesetz zum Scheitern brachte aber die mangelnde Akzeptanz in den eigenen Reihen der Republikaner.

Der Sprecher des Repräsentantenhauses, Paul Ryan (Republikaner, Wisconsin), sagte auf einer Pressekonferenz, dass er die Abstimmung in ihrem 2. Anlauf ausgesetzt habe, nachdem er Trump diesen Schritt empfohlen und dessen Okay bekommen habe. „Wir werden noch auf absehbare Zeit mit Obamacare leben“, sagte Ryan. „Ich weiß nicht, wie lange es noch dauern wird, dieses Gesetz zu ersetzen.“

„Tödliche Abwärtsspirale aus steigenden Prämien“?

Ryan sagte voraus, dass der ACA sich weiterhin in einer tödlichen Abwärtsspirale aus steigenden Prämien und immer weniger teilnehmenden (zahlenden) Versicherten bewegen werde – auch wenn die Demokraten im Kongress sagten, dass dies nicht notwendigerweise passieren müsse, wenn die Gesetzgeber einfach nur die Schwächen des Gesetzes nachbessern würden.

Die Hängepartie reflektiert den Misserfolg von Trump und Ryan bei dem Versuch, die republikanischen Kritiker des neuen Gesetzes zu überzeugen. Zu diesen gehören Mitglieder der streng konservativen House-Freedom-Fraktion. Nach deren Meinung weist der Entwurf für den AHCA noch zu viel Ähnlichkeit mit dem derzeit geltenden ACA/Obamacare auf.

Trump hatte zunächst auf die Abstimmung am Freitag im Repräsentantenhaus bestanden, nachdem das eigentlich schon für den 23. März geplante Votum bereits einmal ausgesetzt worden war; er hatte gewissermaßen ein Ultimatum gesetzt: Der Haushaltsdirektor des Weißen Hauses, Mick Mulvaney, erklärte gegenüber den CNBC-Nachrichtensendern, dass der Präsident gewillt sei, den ACA in Kraft zu lassen, falls nun die neueste Version des AHCA nicht durch die Abstimmung im Repräsentantenhaus komme.

 
Wir werden noch auf absehbare Zeit mit Obamacare leben. Paul Ryan
 

Mehrfache Änderung des Gesetzentwurfs

Die republikanischen Führer hatten den Entwurf mehrmals abgeändert – in dem erfolglosen Bemühen, das Papier den Vorstellungen der Freedom-Fraktion anzupassen. So gab es eine Änderung, die für alle arbeitsfähigen Erwachsenen eine Beschäftigung als Voraussetzung für den Zugang zu Medicaid (einem Gesundheitsfürsorgeprogramm für sozial schwache Personen) verlangte.

Eine weitere Änderung sollte eine ACA-Regelung außer Kraft setzen, nach der auch alle individuellen und Kleingruppen-Versicherungspläne bestimmte Mindestleistungen beinhalten sollten, wie etwa Krankenhauseinweisungen, Vorsorge und Medikamentenverschreibungen. Stattdessen sollten laut AHCA nun die einzelnen Bundesstaaten festlegen, was durch die Krankenversicherungen abgedeckt sein muss.

Weitere Änderungen hätten den Bundesstaaten zudem jeweils zusätzliche 15 Milliarden Dollar auf 10 Jahre verschafft, um die Kosten für Leistungen aufzufangen, welche psychische Gesundheit, Substanzmissbrauch, Schwangerschaft/Entbindung und Neugeborenen-Fürsorge betreffen – alles Leistungen, die im derzeit geltenden ACA-Gesetz oder Obamacare zur „garantierten Grundversorgung“ gehören.

Republikanische Freedom-Fraktion auch mit geändertem Entwurf nicht zufrieden

Die Freedom-Fraktion hatte aber argumentiert, dass gerade diese Regelung, nämlich die garantierte Grundversorgung, die Versicherungsbeiträge in die Höhe treibe und diese für viele Amerikaner unbezahlbar mache. Die Demokraten im Kongress konterten, dass das Streichen der garantierten Grundversorgung zwar zu finanziell günstigeren, aber auch im Leistungsumfang stark reduzierten Angeboten (Versicherungsplänen) führen würde. Damit würden all jene im Stich gelassen, die eine dann nicht mehr enthaltene Grundleistung benötigten, und sie blieben auf ihren Kosten sitzen.

Der Änderungsvorschlag, der die Entscheidung über die Grundversorgungsleistungen an die Bundesstaaten delegiert hätte, reichte der Freedom-Fraktion aber nicht. Sie wollte laut einiger Berichte noch weitere ACA-Bestimmungen aufgehoben sehen, die dem Schutz der Versicherten dienen. Etwa die Vorschrift, dass die Krankenversicherungen niemandem aufgrund seiner Vorerkrankungen die Aufnahme verweigern dürfen. Oder auch die Regel, dass junge Erwachsene noch bis zum Alter von 26 Jahren durch den Vertrag ihrer Eltern mit abgesichert werden können. Diese Regeln sollten nach ihren Vorstellungen wegfallen; soweit wollten aber Trump und Ryan nicht gehen.

Auch Widerstand moderater Republikaner

Die Zugeständnisse im AHCA-Entwurf, welche die Freedom-Fraktion beschwichtigen sollten (aber nicht konnten), stachelten zugleich den Widerstand einiger moderater republikanischer Abgeordneter des Repräsentantenhauses an: Die neue Gesetzgebung sei nachteiliger für ihre Wählerschaft als der bislang geltende ACA, meinten sie.

Kurz gesagt: Der AHCA/Trumpcare sollte die im ACA verankerten Strafzahlungen außer Kraft setzen, die Nicht-Versicherte leisten müssen. Und er sollte die Ausweitung von Medicaid in 31 Bundesstaaten – einschließlich der damit gekoppelten Bundeszuschüsse – stoppen und auch sonst die finanzielle Unterstützung des Bundes für Medicaid stark einschränken.

 
Ich weiß nicht, wie lange es noch dauern wird, dieses Gesetz zu ersetzen. Paul Ryan
 

Auch einkommensbasierte Steuernachlässe, die auf die Versicherungsbeiträge gewährt werden, sollten gekappt und durch weniger großzügige und rein altersbasierte Steuernachlässe ersetzt werden – was vor allem größere Steuernachlässe für ältere Amerikaner bedeutet hätte. Aber damit hätten die Krankenversicherungen auch die Möglichkeit erhalten, von älteren Versicherten höhere Beitragszahlungen zu verlangen als bisher. Im Gegenzug sollten Steuern wegfallen, die derzeit wegen/zugunsten des ACA erhoben werden.

Steiler Anstieg der Zahl an Nicht-Versichertern

Eine aktuelle bei Medscape veröffentlichte Analyse des Kongress-Budgetbüros berücksichtigt alle AHCA-Anpassungen (außer derjenigen zur Weitergabe der Entscheidungshoheit über die Grundsicherung an die Bundesstaaten): Die Haushaltsprüfer des Kongress-Budgetbüros schätzen, dass durch den AHCA bis zum Jahre 2026 weitere 24 Millionen Amerikaner ihre Krankenversicherung verlieren würden – ganz im Gegensatz zu Trumps Zusicherung einer „Versicherung für alle“. Dabei würde der AHCA mit den neuesten Anpassungen den US-Bundeshaushalt über die nächsten 10 Jahre „nur noch” um 150 Milliarden Dollar entlasten (nach dem ursprünglichen Entwurf wären es 337 Milliarden Dollar gewesen).

Der vorhergesagte steile Anstieg der Zahl an Nicht-Versicherten veranlasste die American Medical Association (AMA), das American College of Physicians (ACP), die American Academy of Family Physicians (AAFP) und weitere große medizinische Vereinigungen zum Widerstand gegen die Verabschiedung des AHCA.

Der ganze Vorgang führte übrigens zu einem herben Rückschlag in den Umfragen: Nur 33% der Amerikaner glauben inzwischen, dass der AHCA eine Verbesserung gegenüber dem ACA wäre, während 48% dies verneinen. Dies besagt eine aktuelle Befragung von Reuters/Ipsos. Eine Meinungsumfrage an der Quinnipiac-Universität in Hamden, Connecticut, erbrachte sogar noch trostlosere Zahlen für den Gesetzesentwurf: 26% der Befragten waren unentschlossen, 17% waren für den AHCA, aber mehr als die Hälfte, 56%, war dagegen.


Dieser Artikel wurde von Simone Reisdorf von www.medscape.com übersetzt und adaptiert.

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