Washington, D.C. – Die Einnahme des PCSK9-Hemmers Evolocumab (Repatha®, Amgen) zusätzlich zu einer Statintherapie hat keine negativen Auswirkungen auf das Gedächtnis oder andere kognitive Probleme – zumindest über eine Anwendungsdauer von bis zu 2 Jahren. Dies zeigt die beim 66. Jahreskongress des American College of Cardiology (ACC) vorgestellte EBBINGHAUS-Studie – eine Unterstudie der jüngst veröffentlichten Outcome-Studie FOURIER [1].
FOURIER war wohl die bedeutendste Präsentation beim diesjährigen Kongress des ACC. Nachdem er am ersten Kongresstag berichtet hatte, dass Evolocumab das Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse signifikant senkt, hatte Dr. Marc Sabatine vom Brigham and Women's Hospital, Boston, USA, schon angedeutet, dass die Daten zur Kognition Teil eines positiven Sicherheitsprofils gewesen sind.
Dies bestätigte sich am nächsten Tag, als Dr. Robert P. Giugliano vom Brigham and Women's Hospital, Boston, USA, die primären Ergebnisse der EBBINGHAUS-Studie präsentierte.
Sehr beruhigende Ergebnisse
Die Unterstudie umfasste fast 2.000 FOURIER-Teilnehmer. Sie zeigte über bis zu 19 Monate keinen Unterschied zwischen Patienten, die zusätzlich zur Statintherapie Evolocumab (140 mg wöchentlich oder 420 mg monatlich, jeweils als subkutane Injektion) oder ein Placebo erhalten hatten. Gemessen wurden 4 Parameter der kognitiven Funktion, außerdem werteten die Autoren Patientenfragebögen und Arztberichte aus.
Laut einer exploratorischen Analyse wurde die kognitive Funktion auch nicht durch die Höhe des LDL-Cholesterinspiegels per se beeinflusst, selbst bei denjenigen, die zum Ende der Studie Werte unter 25 mg/dl hatten. „Diese Ergebnisse sollten einige der Bedenken ausräumen, die Patienten zum Ausdruck gebracht haben, nachdem sie ‚Dr. Google‘ konsultiert haben“, sagte Giugliano gegenüber Medscape.
Könnte hinsichtlich der Sicherheit niedrigerer Cholesterinwerte eventuell eine J-Kurve bestehen? „Das weiß ich nicht, aber wir haben hinunter bis zu einem Cholesterinwert von 19 mg/dl keine Probleme beobachtet“, sagte er.
Um einen Kommentar gebeten, sagte einer der Tagungspräsidenten des ACC-Kongresses 2017, Dr. Jeffrey Kuvin vom Dartmouth-Hitchcock Medical Center, Lebanon, USA, dass sich die Studie mit einigen drängenden Fragen beschäftigt habe.
„Wir haben uns 2 Dinge gefragt: Gibt es ein substanzspezifisches Problem mit PCSK9-Hemmern was die kognitive Funktion anbelangt? Und gibt es eine LDL-Cholesterinschwelle, ab der kognitive Veränderungen zu beobachten sind? Es ist nur eine Studie, aber sie scheint gut validiert zu sein und zeigt, dass kein signifikantes Signal für Veränderungen da ist, zumindest in der Testbatterie, die verwendet wurde“, sagte Kuvin, der an der Studie nicht beteiligt war.
„Ich würde sagen, dass die Ergebnisse sehr beruhigend sind“, fügte er hinzu. „Als Ärzte ist es unsere wichtigste Ausgabe, den Patienten nicht zu schaden. Zwar gab es einige potenzielle Signale (für negative kognitive Effekte) in anderen Untersuchungen, doch diese neuen Daten bekräftigen nach genauer Prüfung, das kein signifikantes Risiko zu erkennen ist.“
Kognitive Bedenken der Vergangenheit
Die US-Arzneimittelbehörde FDA hatte der Packungsbeilage von Statinen im Jahr 2012 einen Sicherheitshinweis hinzugefügt, da sich aus „Fallserien und 2 kleinen, 6-monatigen randomisiert-kontrollierten Studien“ Bedenken hinsichtlich der kognitiven Funktion ergeben hatten. Doch die Statin Cognitive Safety Task Force verkündete 2 Jahre später, dass Analysen aus großen randomisierten Studien diese Befunde nicht stützten.
Trotzdem weiteten sich die Bedenken hinsichtlich Statinen und Gedächtnisproblemen auf PCSK9-Hemmer aus, „obwohl monoklonale Antikörper wie Evolocumab viel zu groß sind, um die intakte Blut-Hirn-Schranke zu überqueren“, sagte Giugliano.
Nichtsdestotrotz, 2016 lieferte eine Metaanalyse Hinweise darauf, dass Patienten, die mit der neuen Medikamentenklasse behandelt werden, ein höheres Risiko für ungünstige kognitive Ereignisse haben. Doch die Ereignisraten lagen unter 1% und „die Ergebnisse korrelierten nicht mit dem Ausmaß der LDL-Cholesterinsenkung“, berichtete Giugliano.
Die FOURIER-Studie umfasst 27.564 Patienten aus 30 Ländern, die eine klinische Gefäßerkrankung aufwiesen. Die Unterstudie EBBINGHAUS ist die erste randomisierte Studie, deren Fokus auf dem Vergleich der kognitiven Outcomes nach Behandlung mit einem PCSK9-Hemmer oder Placebo lag.
In die Analyse wurden 1.974 Patienten (72% Männer, durchschnittlich 63 Jahre alt) eingeschlossen. Sie erhielten bereits eine Statintherapie von mittlerer bis hoher Intensität. Vor Studienbeginn hatten 75% bereits einen Myokardinfarkt und 20% einen ischämischen Schlaganfall gehabt. Die Patienten wurden durchschnittlich 19 Monate nachbeobachtet.
„Ziemlich gute Erfolgsbilanz"
Die validierte Cambridge Neuropsychological Test Automated Battery (CANTAB) wurde verwendet, um die exekutive Funktion (z. B. Aufmerksamkeit, Erinnern und Organisieren von Details) und die Reaktionszeit zu untersuchen – zu Studienbeginn, nach 24 und 48 Wochen und danach alle weiteren 48 Wochen.
Auf einem Tablet-Computer mussten die Patienten nach blauen Kästchen suchen, die in einer Reihe roter Kästchen versteckt waren. Dabei waren sie angewiesen, nicht zu einem Bereich zurückzukehren, nachdem sie dort ein blaues Kästchen gefunden hatten. Niedrigere Scores standen bei dieser Aufgabe für bessere Zeiten oder Verbesserungen.
Der primäre Endpunkt der Studie war die Veränderung des Spatial Working Memory Strategy Index (SWM-SI) der exekutiven Funktion. Das SWM zwischen Fehlern, das Abschneiden beim Paired Associates Learning und die Reaktionszeit waren sekundäre Endpunkte.
Die SWM-SI-Scores unterschieden sich weder ausgangs (beide 17,8) noch zum Ende der Studie (17,5 vs 17,6) zwischen der Evolocumab- und der Placebogruppe. „Die Unterschiede lagen deutlich unterhalb der Obergrenzen für Nichtunterlegenheit“, sagte Giugliano.
Auch bei den 3 anderen SWM-Tests sowie bei den Patienten-Fragebögen zu Gedächtnis und exekutiver Funktion (Alltagskognition) gab es bei Studienende keine signifikanten Unterschiede zwischen den Gruppen. Die von den an der Studie beteiligten Wissenschaftlern gemeldeten negativen kognitiven Ereignisse unterschieden sich ebenfalls nicht.
„Bis jetzt spricht die Evidenz dafür, dass diese Medikation – zumindest in dieser Kombination – wirksam das LDL-Cholesterin senkt und dabei sicher im Hinblick auf das Nebenwirkungsprofil ist, auch was die Kognition anbelangt. Und besonders wichtig: Sie verbessert kardiovaskuläre Endpunkte“, sagte Kuvin gegenüber Medscape.
„Das ist bisher eine ziemlich gute Erfolgsbilanz. Es muss natürlich noch weiter erforscht werden, aber ich denke, wir können nach Hause zu unseren Patienten fahren und sagen, dass wir ein paar neue Tricks auf Lager haben.“
Mehr Forschung, weitere Antworten notwendig
Nach der Vorstellung der EBBINGHAUS-Studie sagte Diskussionsteilnehmer Dr. Deepak L. Bhatt vom Brigham and Women's Hospital, Boston, USA, dass dies eine mit Spannung erwartete Präsentation beim ACC-Kongress gewesen sei und „ein fehlendes Teil für das LDL-Puzzle“ geliefert habe. „Sie haben das Feld vorangebracht, indem Sie uns versichern, dass die medikamentöse Absenkung des LDL-Cholesterinspiegels sicher zu sein scheint“, sagte Bhatt.
„In dieser Sekundärpräventionspopulation mit durchschnittlich 63 Jahren waren die Outcomes aus kognitiver Perspektive sehr sicher. Doch was wäre, wenn wir diese Strategie der extremen LDL-Cholesterinsenkung auf die Primärprävention übertragen würden, sagen wir auf eine 40-jährige Frau für die nächsten 40 Jahre? Was lässt sich aus dieser Studie im Hinblick auf den langfristigen neurokognitiven Verlauf extrapolieren?“
Giugliano räumte daraufhin ein, dass der Nachbeobachtungszeitraum von nur 20 Monaten eine Limitation der Studie sei, denn „natürlich behandeln wir Patienten mit erhöhten Cholesterinwerten über Jahrzehnte, wenn nicht ein Leben lang“.
Sabatine hatte zuvor berichtet, dass eine Open-Label-Extensionsstudie das Thema Sicherheit bei 6.000 FOURIER-Teilnehmern weiter verfolgen werde. Giugliano ergänzte, dass alle EBBINGHAUS-Teilnehmer in diese Analyse eingeschlossen würden, diese werde fortgeführt „solange wir genug Unterstützung dafür haben. Ich denke wir sollten für mindestens ein Jahrzehnt nachbeobachten.“
Zum potenziellen Einsatz in der Primärprävention sagte er nur, dass dies zunächst in weiteren Studien untersucht werden müsse.
Dieser Artikel wurde von Nadine Eckert von www.medscape.com übersetzt und adaptiert.
REFERENZEN:
Medscape Nachrichten © 2017 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: Selbst bis zu einem LDL von unter 25 mg/dl: PCSK9-Hemmung beeinträchtigt laut EBBINGHAUS-Studie nicht die Hirnfunktion - Medscape - 28. Mär 2017.
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