Bei jüngeren Patienten mit ischämischem Schlaganfall existiert anscheinend eine Assoziation zwischen Migräne, insbesondere Migräne ohne Aura, und Karotisdissektionen. Zu diesem Ergebnis kommt eine große Fall-Kontroll-Studie aus Italien [1].

Prof. Dr. Andreas Straube
„Ganz neu ist diese Erkenntnis nicht“, sagt Prof. Dr. Andreas Straube, 1. Vizepräsident der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft, im Gespräch mit Medscape. „Mehrere, allerdings kleinere Studien haben in der Vergangenheit bereits ähnliche Hinweise geliefert.“ Doch die Studie bestätige erneut, dass Migräne mit einem erhöhten vaskulären Risiko verbunden sei – wobei in den meisten Studien Migräne mit Aura deutlich stärker assoziiert gewesen sei als Migräne ohne Aura.
Die Aura macht den Unterschied
Die 2.485 Patienten in der in JAMA Neurology veröffentlichten Untersuchung waren 18 bis 45 Jahre alt, hatten erstmals einen ischämischen Schlaganfall gehabt und waren Teil des Registers des Italian Project on Stroke in Young Adults. Bei 334 (13,4%) der Registerpatienten war eine Karotisdissektion – eine Aufspaltung des Gefäßes zwischen Intima und Media – die Ursache für den Schlaganfall. Bei den restlichen 2.151 (86,6%) hatte der Schlaganfall eine andere Ursache.
Die Autoren um Dr. Valeria De Giuli von der Neurologischen Klinik der Universität Brescia in Italien berichten: „Patienten mit Karotisdissektion-bedingtem Schlaganfall hatten mit 30,8% signifikant häufiger eine Migräne als Schlaganfall-Patienten ohne Karotisdissektion (24,4%).“ Dieser Unterschied sei hauptsächlich auf Migräne ohne Aura zurückzuführen gewesen.
Insgesamt sei das absolute Risiko in dieser Altersklasse, einen Schlaganfall zu erleiden, auch für Patienten mit einer Migräne sehr niedrig, betont Straube.
Im Vergleich zu Migräne mit Aura war Migräne ohne Aura unabhängig mit Karotisdissektion-bedingtem Schlaganfall assoziiert (OR: 1,74). Diese Assoziation war bei Männern (OR: 1,99) und Patienten von 39 Jahren oder jünger (OR: 1,82) stärker ausgeprägt.
„Dass vor allem die Migräne ohne Aura eine Assoziation mit der Karotisdissektion aufweist, ist interessant“, betont Straube, der an der Neurologischen Klinik der Universität München als Oberarzt tätig ist. Vermutet hätte man dies eher für die Migräne mit Aura. „Alle bisherigen Berichte zu dem Thema deuten darauf hin, dass das Risiko für vaskuläre Ereignisse bei der Migräne mit Aura höher ist als bei der Migräne ohne Aura.“
Vom Risikoprofil her hätten sich die Patienten mit Karotisdissektion-bedingtem Schlaganfall mit oder ohne Migräne nicht unterschieden, berichten die Autoren weiter. So hatten z.B. 19,4% (mit Migräne) versus 24,7% (ohne Migräne) einen Bluthochdruck und 1,0% versus 1,3% einen Diabetes.
Migräne bei offenem Foramen ovale häufiger
„Schon lange gibt es eine Diskussion darüber, ob das offene Foramen ovale (PFO) mit Migräne assoziiert ist“, ergänzt Straube. Und hier sei diese Assoziation wieder gefunden worden – wie auch schon in früheren Fall-Kontroll-Studien.
Patienten mit PFO hatten eine höhere Migräneprävalenz, speziell der Migräne mit Aura, als diejenigen ohne PFO. Die Prävalenzen von Migräne mit Aura betrugen 13,9% mit PFO und 6,0% ohne PFO (p < 0,001). Auf die Assoziation zwischen Migräne und Karotisdissektion hatte das PFO allerdings keinen Einfluss, wie Analysen, von denen PFO-Träger ausgeschlossen wurden, zeigten.
Gemeinsame biologische Mechanismen
Auf welchem Weg die Migräne das individuelle Risiko für eine Karotisdissektion erhöhen könnte, sei bislang unbekannt, schreiben De Giuli und ihre Kollegen. Die Autoren vermuten angesichts ihrer Ergebnisse aber, dass den Erkrankungen gemeinsame biologische Mechanismen zugrunde liegen könnten: „Eine gemeinsame genetische Suszeptibilität und endotheliale Dysfunktion erscheinen plausibel.“
Gemeinsame genetische Grundlagen wären eine Erklärung für die Assoziation zwischen Migräne und Karotisdissektion, bestätigt Straube. „Migräne ist allerdings keine einheitliche Erkrankung, sondern hat verschiedene Ursachen. In großen Genstudien wurden 38 Genorte gefunden, die mit einem erhöhten Migränerisiko einhergehen“, berichtet Straube.
Einige der gefundenen Genorte kodieren für Mechanismen, die die Erregbarkeit von Nervenzellen steuern. Eine andere Gruppe kodiert für Entzündungsreaktionen. Und eine dritte Gruppe von Genorten kodiert für Gene, die mit Gefäßen und Endothelien in Verbindung stehen.
„Es lässt sich mutmaßen, dass die Patienten, die genetisch veranlagt eine besondere Vulnerabilität der Endothelzellen aufweisen, auch die Patienten sind, die nicht nur eine Migräne kriegen, sondern auch vermehrt eine Dissektion“, sagt Straube. Doch klinische Relevanz habe dies erst einmal nicht.
Dissektionen lassen sich nicht vermeiden
„Es gibt traumatische Karotisdissektionen, die etwa durch starke Kopfbewegungen entstehen. Außerdem häufen sich Karotisdissektionen in der Winterzeit, da sie auch durch eine Virusinfektion und dadurch bedingte Gefäßentzündungen auftreten können“, erklärt Straube. „Aber wirklich vermeiden kann man Dissektionen nicht.“
„Ein Warnsignal für eine Karotisdissektion ist, wenn plötzlich ein einseitiger Kopfschmerz hinter dem Auge oder im Nacken auftritt.“ Bei Migränepatienten könne dieser Schmerz unter Umständen schwer vom Migränekopfschmerz zu differenzieren sein.
Robuster Befund erfordert dennoch Bestätigung
In einem Editorial weist Dr. Patrick D. Lyden vom Department of Neurology am Cedars-Sinai Medical Center in Los Angeles, USA, darauf hin, dass „immer noch die Möglichkeit besteht, dass die gefundene Assoziation zwischen Migräne ohne Aura und Karotisdissektion nur ein Zufall ist“ [2].
Künftige Studien sollten deshalb nicht nur nach den von den Autoren angeregten gemeinsamen biologischen Mechanismen forschen, sondern auch den Befund bestätigen – auch wenn dieser „angesichts der großen Patientenzahl und der sorgfältigen Auswertung der Daten robust erscheint“.
„Tatsächlich wurde die Assoziation zwischen Migräne und Karotisdissektion bislang nur in Fall-Kontroll-Studien wie auch der vorliegenden gefunden“, so Straube. In einer populationsbasierten Studie, die eine höhere Aussagekraft habe, sei der Zusammenhang bislang noch nicht bestätigt worden.
Dennoch rät Straube: „Wenn junge Patienten einen einseitigen Kopfschmerz bekommen, der untypisch für ihre Migräne ist, sollte man daran denken, dass es auch eine Dissektion sein kann.“
REFERENZEN:
1. De Giuli V, et al : JAMA Neurology (online) 6. März 2017
2. Lyden PD: JAMA Neurology (online) 6. März 2017
MEHR
Medscape Nachrichten © 2017 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: Schlaganfall in jungen Jahren: Migräne könnte ein Warnzeichen sein, dass Karotisdissektion droht - Medscape - 23. Mär 2017.
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