Thromboembolie: Niedrig dosiertes Rivaroxaban senkt Rezidiv-Risiko im Vergleich zu ASS um bis zu 74 Prozent

Dr. Susanne Heinzl

Interessenkonflikte

20. März 2017

Washington, D.C. – Bei Patienten, die nach einer venösen Thromboembolie (VTE) 6 bis 12 Monate mit Antikoagulanzien behandelt worden sind, kann die Weiterbehandlung mit Rivaroxaban in prophylaktischer oder therapeutischer Dosis (10 bzw. 20 mg/Tag) Rezidive signifikant besser verhindern als die Behandlung mit Acetylsalicylsäure (ASS) 100 mg/Tag. Die Blutungsrate ist unter dem direkten Faktor-Xa-Hemmer nicht höher als bei Einnahme von ASS. Dies ergab die randomisierte, doppelblinde Phase-3-Studie EINSTEIN-CHOICE, die Prof. Dr. Philip S. Wells, Abteilung für Medizin der Universität von Ottawa und Ottawa Hospital, Kanada, bei der 66. Wissenschaftlichen Jahrestagung des American College of Cardiology vorgestellt hat [1].

Parallel wurde sie von der Arbeitsgruppe um Prof. Dr. Jeffrey Ian Weitz, Thrombosis & Atherosclerosis Research Institute, Hamilton (Kanada) im New England Journal of Medicine publiziert [2]. „Unsere Ergebnisse zeigen, dass Rivaroxaban eine sichere Option ist und hoch effektiv vor potenziell lebensbedrohlichen venösen Thromboembolien schützt“, so Wells.

Günstiges Nutzen-Risiko-Profil von niedrig dosiertem Rivaroxaban

Prof. Dr. Mark A. Crowther, Abteilung für Pathologie und Molekulare Medizin, McMaster-Universität Hamilton, Kanada, und Prof. Dr. Adam C. Cuker, Abteilung für Medizin und Pathologie, Perelman School of Medicine, Universität von Pennsylvania, USA, diskutieren im begleitenden Editorial im New England Journal of Medicine was die Ergebnisse für den Kliniker bedeuten: Nach einer initialen Antikoagulanzien-Therapie in therapeutischen Dosen könne die Antikoagulation mit Rivaroxaban in reduzierter Intensität verlängert werden [3].

Das günstige Nutzen-Risiko-Profil von niedrig dosiertem Rivaroxaban in der Studie werfe die Frage auf, wie Patienten mit provozierten, also durch Risikofaktoren wie Rauchen, Übergewicht, Infektionen, chronisch-obstruktive Lungenerkrankungen oder Herzinsuffizienz ausgelösten venösen Thromboembolien behandelt werden sollten. Ihrer Meinung nach ist Rivaroxaban in reduzierter Dosis über mehr als 3 Monate eine Option bei Patienten mit provozierten Thromboembolien, die ein durchschnittliches Blutungsrisiko haben und die vor einer erneuten venösen Thromboembolie geschützt werden sollen.

„Angesichts des Sicherheitsprofils von niedrig dosiertem Rivaroxaban muss der Nutzen dieser Strategie nicht sehr hoch sein, um eine Verlängerung der Therapie zu rechtfertigen“, so die Editorialisten. Zudem sind sie der Ansicht, dass es sinnvoll wäre, auch den Effekt von niedrig dosiertem Rivaroxaban innerhalb der ersten 6 Monate nach einer venösen Thromboembolie zu untersuchen.

 
Unsere Ergebnisse zeigen, dass Rivaroxaban eine sichere Option ist und hoch effektiv vor potenziell lebensbedrohlichen venösen Thromboembolien schützt. Prof. Dr. Philip S. Wells
 

„Die Ergebnisse dieser Studie können nicht auf Patienten übertragen werden, die eine eindeutige Indikation für eine Langzeit-Antikoagulation haben und daher von dieser Studie ausgeschlossen waren“, so Crowther und Cuker weiter. „Diese Patienten sind eine wichtige Gruppe, bei denen die Wirksamkeit einer Therapie mit reduzierter Intensität nicht untersucht ist.“ Für Patienten, die sich direkte orale Antikoagulanzien nicht leisten könnten, bleibe dosisadjustiertes Warfarin eine akzeptable Alternative.

Rezidivrisiko versus Blutungsrisiko

Derzeit werden Patienten, die eine tiefe Venenthrombose oder eine Lungenembolie erlitten haben, zur Rezidivprophylaxe antikoaguliert – bei weiter bestehenden Risikofaktoren, z.B. Krebserkrankungen, dauerhaft. Bei Patienten ohne aktive Krebserkrankung empfehlen Leitlinien ein direkt wirkendes Antikoagulans wie Rivaroxaban über 3 Monate und länger je nach Risiko erneuter Thromboembolien und erhöhtem Blutungsrisiko durch die Antikoagulation. Eine längere Antikoagulation senkt zwar das Rezidivrisiko stärker, aus Sorge vor einer erhöhten Blutungsneigung wird die Prophylaxe aber meist nicht länger als 6 bis 12 Monate durchgeführt.

Weil das Blutungsrisiko unter niedrig dosierten Antikoagulanzien oder ASS geringer ist, verglichen Wells und seine Kollegen in der EINSTEIN-CHOICE-Studie erstmals Wirksamkeit und Verträglichkeit einer einjährigen Gabe von Rivaroxaban in prophylaktischer Dosis von 10 mg/Tag (n = 1.127), in therapeutischer Dosis von 20 mg/Tag (n = 1.107) und von ASS (100 mg/Tag) (n = 1.131) bei Patienten, die bereits 6 bis 12 Monate antikoaguliert waren und bei denen zur Fortsetzung der Prophylaxe zwischen Nutzen und Risiken abzuwägen war. Patienten mit eindeutiger Indikation für eine dauerhafte Antikoagulation waren ausgeschlossen.

Der primäre Endpunkt umfasste symptomatische, rezidivierte tödliche oder nichttödliche venöse Thromboembolien und unerklärte Todesfälle, bei denen eine Lungenembolie nicht ausgeschlossen werden konnte. Wichtigster Sicherheitsendpunkt waren große Blutungen.

Die demographischen Parameter der Patienten in den 3 Gruppen waren ähnlich. Etwa 55% waren Männer. Das Durchschnittsalter lag bei 58 Jahren. Rund ein Drittel hatte einen Body-Mass-Index über 30 kg/m². Beim Erstereignis (dem Grund der Antikoagulation) handelte es sich in gut 50% der Fälle um eine tiefe Venenthrombose und bei 33 % um eine Lungenembolie. Bei 15% waren tiefe Venenthrombose und Lungenembolie zusammen aufgetreten. In 58% der Fälle handelte es sich um eine provozierte Thromboembolie.

 
Angesichts des Sicherheitsprofils von niedrig dosiertem Rivaroxaban muss der Nutzen nicht sehr hoch sein, um eine Therapie- verlängerung zu rechtfertigen. Prof. Dr. Mark A. Crowther und Prof. Dr. Adam C. Cuker
 

Rivaroxaban ASS deutlich überlegen

Nach im Median 351 Tagen war der primäre Endpunkt (also ein Rezidiv) bei 1,5% der Patienten (17/1.107) unter therapeutisch dosiertem Rivaroxaban (20 mg/Tag), bei 1,2% der Patienten (13/1.127) unter prophylaktisch dosiertem Rivaroxaban (10 mg/Tag) und bei 4,4% der Patienten (50/1.131) unter ASS erreicht. Dies bedeutet eine Senkung des relativen Risikos durch 20 mg Rivaroxaban im Vergleich zu ASS um 66% und durch 10 mg Rivaroxaban im Vergleich zu ASS um 74% (jeweils p < 0,001).

Wells und seine Kollegen errechneten, dass 33 Patienten mit 20 mg Rivaroxaban bzw. 30 Patienten mit 10 mg Rivaroxaban statt mit ASS über 12 Monate behandelt werden müssen, um eine tödliche oder nicht tödliche venöse Thromboembolie zu vermeiden. In den Subgruppen waren die Ergebnisse konsistent.

Große Blutungen waren mit 0,5% (20 mg), 0,4% (10  mg) und 0,3% (ASS 100 mg) in allen 3 Behandlungsgruppen selten. Auch große und klinisch relevante kleinere Blutungen waren mit 3,3%, 2,4% und 2,0% ähnlich häufig.

Wie Wells berichtete, ist eine Nachfolgestudie geplant, in der die Wirksamkeit und Verträglichkeit der niedrigen Rivaroxaban-Dosis bei anderen Patientenpopulationen untersucht werden soll. Er wies darauf hin, dass die Patienten in der EINSTEIN-CHOICE-Studie eher jünger als die typischen VTE-Patienten waren, was die Verallgemeinerung der Studienergebnisse begrenze.



REFERENZEN:

1. American College of Cardiology Scientific Sessions, 17. bis 19. März 2017, Washington, D.C./USA

2. Weitz JE, et al: NEJM (online) 18. März 2017

3. Crowther MA, et al: NEJM (online) 18. März 2017

 

Kommentar

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