Alle auf einen Streich: Bei STEMI lohnt es, nicht nur das Infarkt-Gefäß sondern alle relevanten Stenosen zu behandeln

Dr. Susanne Heinzl

Interessenkonflikte

20. März 2017

Washington, D.C. – Infarkt-Patienten profitieren davon, wenn nicht nur das verschlossene Infarkt-Gefäß revaskularisiert wird, sondern auch andere hämodynamisch relevante Gefäßverengungen beseitigt werden. In der beim ACC-Kongress präsentierten COMPARE-ACUTE-Studie bei Patienten mit ST-Hebungsinfarkt und koronarer Mehrgefäßerkrankung hatten Prof. Dr. Pieter C. Smits, Maasstad Hospital, Rotterdam, und Kollegen, bei der Wiedereröffnung auch diejenigen Koronarläsionen berücksichtigt, die bei Messungen der fraktionellen Flussreserve (FFR) hämodynamisch relevant waren [1]. Die Ergebnisse der Studie wurden parallel im New England Journal of Medicine publiziert [2].

Prof. Dr. Pieter C. Smits

„Unsere Studie zeigt, dass man die Therapie mit diesem Ansatz optimieren und auch potenziell ökonomischer gestalten kann, weil man den Bedarf für weitere Interventionen reduziert“, so der niederländische Kardiologe. „Für den Patienten ist es ein riesiger Vorteil zu wissen, dass er an dem Gefäß behandelt wurde, weswegen er hospitalisiert werden musste, und dass auch nach weiteren Problemen geguckt und diese bei Bedarf behandelt wurden. Dieses Vorgehen bedingt, dass der Patient später nicht nochmal in die Klinik und sich erneut dem Risiko einer invasiven Prozedur oder zusätzlicher Diagnostik aussetzen muss.“

Prof. Dr. Lars Køber, Abteilung für Kardiologie, Ringhospitalet, Universität von Kopenhagen, weist im begleitenden Editorial darauf hin, dass die Studie eine selektierte Patientenpopulation einschloss – weniger als 1 Patient sei pro Monat pro Zentrum aufgenommen worden [3]. „Es bleibt unsicher, ob die Strategie zu einer Reduktion harter Endpunkte führt.“

Die Wirkung der Komplettstrategie auf den primären Endpunkt sei in erster Linie auf eine Reduktion einer erneuten Intervention zurückzuführen. „Größere Studien, die für harte Endpunkte (erneute Herzinfarkte oder kardiovaskuläre Sterblichkeit) ausreichend gepowert sind, sind erforderlich, um den Effekt einer FFR-gesteuerten Komplett-Revaskularisierung auf diese Endpunkte zu bestimmen und um die Patienten zu identifizieren, die davon am meisten profitieren“, kommentierte der dänische Kardiologe.

COMPARE-ACUTE mit FFR-Beurteilung der stenosierten Gefäße

40 bis 50% der Patienten mit einem ST-Hebungsinfarkt (STEMI) haben eine koronare Mehrgefäßerkrankung. In den Leitlinien der führenden kardiologischen Fachgesellschaften wird als Standard bisher nur die Revaskularisierung des für den Infarkt verantwortlichen Gefäßes empfohlen. 2 randomisierte Studien haben jedoch gezeigt, dass eine prophylaktische Revaskularisierung (per Stent) von nicht am Infarkt beteiligten Gefäßen das Risiko nachfolgender Komplikationen verringern kann. In beiden Studien basierte die Entscheidung zum Stent auf angiographischen Befunden, unabhängig davon, ob die Läsion Ischämien oder Symptome verursachte.

 
Unsere Studie zeigt, dass man die Therapie mit diesem Ansatz optimieren und auch potenziell ökonomischer gestalten kann … Prof. Dr. Pieter C. Smits
 

Smits und seine Kollegen verwendeten nun in der COMPARE-ACUTE-Studie die Messung der fraktionellen Flussreserve (FFR) zur Entscheidung über die Revaskularisierung eines verengten Gefäßes. Die Messung der FFR  ist eine gut etablierte Methode, mit der festgestellt werden kann, ob der Herzmuskel trotz des verengten Koronargefäßes noch ausreichend mit sauerstoffreichem Blut versorgt wird. Der FFR-Wert eines gesunden Gefäßes beträgt 1,0, was einem Blutfluss von 100% entspricht. Bei Engstellen mit FR-Werten von 0,75 bis 0,8 sind therapeutische Maßnahmen sinnvoll. Der FFR-Wert wird mit einem speziellen Druckdraht gemessen, der über den Katheter in das verengte Gefäß eingeführt wird.

An der prospektiven, multizentrischen und randomisierten Studie nahmen 885 Patienten mit STEMI und Mehrgefäßerkrankung teil. Sie unterzogen sich einer primären perkutanen Koronarintervention (PCI), bei der das den Infarkt auslösende Gefäß revaskularisiert wurde. Anschließend wurden randomisiert bei 295 Patienten die nicht am Infarkt beteiligten verengten Gefäße mit einem FFR-Wert ≤ 0,8 revaskularisiert, bei 590 Patienten wurde nur der FFR-Wert gemessen. Der primäre Endpunkt umfasste die Gesamtsterblichkeit, nichttödliche Herzinfarkte, erneute Revaskularisierung und zerebrovaskuläre Ereignisse (MACCE) nach 12 Monaten.

 
Größere Studien, die für harte Endpunkte (erneute Herzinfarkte oder kardiovaskuläre Sterblichkeit) ausreichend gepowert sind, sind erforderlich … Prof. Dr. Lars Køber
 

Signifikant weniger erneute Interventionen

Die demographischen Parameter der beiden Patientengruppen waren ähnlich. In der Infarktgefäß-Gruppe befanden sich allerdings mehr Raucher (48,7 vs 40,8%). Das Durchschnittsalter der Patienten lag bei 61 Jahren, rund 77% waren Männer. Mehr als 75% der Patienten erhielten die primäre PCI innerhalb von 6 Stunden nach Beginn der Symptome. Die Gesamtprozedur dauerte bei Komplett-Revaskularisierung im Mittel 6 Minuten länger und der Verbrauch an Kontrastmittel war um 22 ml höher. Smits wies aber darauf hin, dass die Unterschiede in der Interventionszeit und im Kontrastmittelverbrauch vermutlich unterschätzt sind, weil die FFR-Werte in beiden Gruppen gemessen worden waren.

In der Gruppe mit Komplett-Revaskularisierung lag der FFR-Wert bei 54,1% der gemessenen Gefäße ≤ 0,8, in der Gruppe mit Infarktgefäß-Revaskularisierung bei  47,9%. Etwa die Hälfte der angiographisch als bedeutsam eingestuften Läsionen in den nicht infarktassoziierten Gefäßen hatte einen FFR-Wert über 0,8 und war damit funktionell ohne Bedeutung.

Nach einem Jahr war der primäre Endpunkt bei 23/295 Patienten (7,8%) in der Gruppe mit Komplett-Revaskularisierung und bei 121/590 Patienten (20,5%) mit Infarktgefäß-Stent aufgetreten. Das relative Risiko für ein MACCE war damit bei der umfassenden Intervention um 65% geringer (p < 0,001).

Tabelle : Wirkung der beiden Therapiestrategien auf den primären Endpunkt und seine Komponenten

 

FFR-geführte komplette Revaskularisierung (n = 295)

Infarktarterien-Revaskularisierung (n = 590)

HR

95%-
Konfidenz-
intervall

p-Wert

Endpunkt

Zahl der Ereignisse (%) 

MACCE

23 (7,8%)

121 (20,5%)

0,35

0,22 - 0,55

< 0,001

Gesamtmortalität
- Kardiale Mortalität

4 (1,3%)
3 (1,0%)

10 (1,7%)
6 (1,0%)

0,80

0,25 - 2,56

0,70

Myokardinfarkt
- Spontan
- Periprozedural

7 (2,4%)
5 (1,6%)
2 (0,6%)

28 (4,7%)
17 (2,9%)
11 (1,9%)

0,50
0,59
0,36

0,22 - 1,13
0,22 - 1,59
0,08 - 1,64

0,10
0,29
0,19

Revaskularisierung
- PCI
- CABG

18 (6,1%)
15 (5,1%)
3 (1,0%)

103 (17,5%)
98 (16,6%)
5 (0,8%)

0,32
0,37
1,20

0,20 - 0,54
0,24 - 0,57
0,29 - 5,02

< 0,001
< 0,001
0,80

Zerebrovaskuläres
Ereignis

0 (0,0%)

4 (0,7%)

NA

NA

NA


Der Vorteil der Komplett-Revaskularisierung ging in erster Linie auf die Vermeidung weiterer Interventionen zurück. Die Sterblichkeit, die Zahl der Herzinfarkte und der zerebrovaskulären Ereignisse unterschied sich in den beiden Gruppen nicht signifikant. Allerdings war die Studie auch nicht ausreichend gepowert, um Unterschiede bei Ereignissen wie Tod, Reinfarkt oder Schlaganfall nachzuweisen.



REFERENZEN:

1. 66th Annual Scientific Sessions der American College of Cardiology (ACC) 2017, 17. bis 19. März 2017, Washington/USA

2. Smits P, et al: NEJM (online) 18. März 2017

3. Køber L. NEJM (online) 18. März 2017

 

Kommentar

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