Trump- versus Obamacare: US-Bürger fürchten um Versicherungsschutz – deutscher Experte erläutert die Konsequenzen

Susanne Rytina

Interessenkonflikte

16. März 2017

Die Debatte um die Gesundheitsreform und Krankenversicherung in den USA zwischen Republikanern und Demokraten ist in vollem Gange. Es geht um die Frage, ob Kernelemente von Obamacare (Affordable Care Act) abgeschafft werden, und um die Durchsetzung eines Alternativvorschlages der Fraktionsführung der Republikaner mit Unterstützung der Trump-Administration (American Health Care Act). Die Republikaner wollen – wie berichtet – die Versicherungspflicht, die Obama 2010 eingeführt hatte, abschaffen. Dafür soll es Steuererleichterungen geben, die einen Anreiz für Bürger schaffen sollen, sich selber freiwillig zu versichern.

Bald 52 Millionen US-Bürger unversichert?

Doch was wären die Konsequenzen, wenn Kernelemente von Obamacare abgeschafft würden? Welche Folgen hat es insbesondere, die Anspruchsberechtigung für „Medicaid“ – die Versicherung für einkommensschwächere Amerikaner – wie von Trump geplant bis 2020 kontinuierlich herrunterzufahren?

PD Dr. Martin Thunert

Das unabhängige Budget-Büro des US-Kongresses veröffentlichte dazu am Montag Berechnungen, die die Zukunft skizzieren, wenn sich der American Health Care Act (AHCA) durchsetzt [1]. Ergebnis: Die Anzahl der nichtversicherten Amerikaner würde bis 2018 um 14 Millionen und bis 2020 um 21 Millionen steigen, so die Prognose. Im Jahr 2026 wären ohne Obamacare dann insgesamt 52 Millionen Bürger unversichert, mit Obamacare läge ihre Zahl bei 28 Millionen. Da die Subventionen zurückgefahren werden, würde der neue Vorschlag das Defizit im Haushalt um 323 Milliarden Dollar im Zeitraum von 10 Jahren reduzieren.

Was wird mit den Einkommensschwachen?

„Es ist ein vorläufiger und unausgegorener Vorschlag der Fraktionsführung der Republikaner, der in all seinen Konsequenzen noch nicht absehbar ist“, kommentiert PD Dr. Martin Thunert, Senior Lecturer und Politikwissenschaftler am Heidelberg Center for American Studies (HCA) der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg gegenüber Medscape. „Aus dem Plan erschließt sich mir nicht, wie Menschen mit einem geringeren Einkommen, die ohnehin relativ wenig Steuern bezahlen, von Steuervergünstigungen profitieren sollen“, sagt Thunert.

Die Befürchtung, dass viele Patienten sich keine Gesundheitsversorgung mehr leisten können, treibt auch US-Ärzte um, die in der American Medical Association (AMA) organisiert sind. Sie sorgen sich, dass vielen Patienten der Zugang zu einer Gesundheitsversorgung verwehrt wird, wenn etwa Medicaid stark gekürzt oder gar abgeschafft wird. In einem offenen Brief an das Repräsentantenhaus bezeichnet die AMA den neuen Vorschlag als kritisch fehlerhaft und führte dies in einer Zusammenfassung aus.

Die AMA hat nun eine öffentliche Kampagne gestartet „Patients before Politics“, die sich dafür einsetzt, dass versicherte Patienten ihren Versicherungsschutz behalten, indem Medicaid und andere Programme bewahrt bleiben. Sie forderte bereits letzte Woche die Politik in einer Pressemitteilung auf, eine fundierte Debatte auf der Basis von Fakten und Zahlen zu führen.

Mit dem „Affordable Care Act“ (ACA) hatte die Obama-Administration 2010 die Voraussetzung, geschaffen, dass sich bislang rund 20 bis 25 Millionen Menschen, die zuvor nicht versichert waren, versichert haben – mit Hilfe von Subventionen und einer generellen Versicherungspflicht.

Dieser Eingriff schien jedoch vielen eher individualistisch und liberal denkenden Menschen in den USA gegen den Strich zu gehen, die finden, der Staat solle sich aus dem Leben der Bürger weitgehend heraushalten. Außerdem: „Obama konnte sein Versprechen an die bereits vorher gut versicherte Mittelschicht nicht einhalten, dass sich für sie nicht viel verändern wird“, erläutert Thunert.

 
Es ist ein vorläufiger und unausgegorener Vorschlag der Fraktionsführung der Republikaner, der in all seinen Konsequenzen noch nicht absehbar ist. PD Dr. Martin Thunert
 

Da sich viele gesunde, junge Amerikaner trotz Obamacare nicht versichert hatten und lieber die relativ niedrige Strafzahlung in Kauf nahmen, brachte dies die Kalkulation von vielen Versicherungsunternehmen durcheinander, die damit gerechnet hatten, dass der Umfang der Versicherten viel größer sein würde. Die Folge der Fehlkalkulation: „Die Versicherungssummen stiegen für viele bereits Versicherte und die Leistungen wurden zum Teil schlechter“, so Thunert.

Was planen die Republikaner?

Der Alternativvorschlag der Republikaner zielt allerdings nicht darauf ab, Obamacare komplett abzuschaffen, obwohl Trump immer wieder auf Twitter Obamacare als ein „totales Desaster“ bezeichnet. Beibehalten werden soll etwa, dass Kinder bis 26 Jahren über ihre Eltern versichert sind, sowie die Verpflichtung für Versicherer, auch Menschen mit gesundheitlichen Vorbelastungen Versicherungsschutz zu bieten, ohne das eine Risikoprämie erhoben wird.

Zudem kommt auch der republikanische Vorschlag nicht ganz ohne Sanktionen aus. Der Plan: Wer sich in jungen Jahren nicht versichert und dies erst später macht, wenn sich der Gesundheitszustand verschlechtert hat, muss einen Zuschlag von 30% der Versicherungsprämie zahlen.

Abgeschafft werden soll aber die Verpflichtung für Unternehmen ab 50 Vollzeitkräften, ihre Mitarbeiter zu versichern. Ein Zugeständnis, das eher den Unternehmen und Aktiengesellschaften helfe als den Angestellten, wettern die Demokraten. Dennoch: Vor Obamacare waren auch schon viele Amerikaner über ihre Unternehmen versichert, die zum Teil aufgrund der größeren Verhandlungsmacht auch bessere Konditionen für ihre Mitarbeiter aushandeln können, so Thunert. Probleme sich zu versichern hatten dagegen die Selbständigen oder „Working Poor“.

 
Ich bin persönlich der Meinung, dass man Gesundheit nicht über reine Marktgesetze finanzieren kann. PD Dr. Martin Thunert
 

Nötige Mehrheit für die Reform fraglich

Auch im eigenen Lager haben die Republikaner Probleme mit dem AHCA. Den radikaleren Republikaner geht der Vorschlag ihrer Parteikollegen nicht weit genug. Sie bezeichneten den Vorschlag ihrer Fraktionsführung als „Obama-Lite“ oder „Obama 2.0“, was als ein Schimpfwort gesehen wird.

Dies alles birgt ein politisches Risiko: Für einige Änderungen braucht es die Zustimmung des Senats, in dem die Republikaner anders als im Repräsentantenhaus nur eine knappe Mehrheit haben. Schon 4 Abtrünnige hätten negative Konsequenzen für die Republikaner. „Stimmen die Abweichler dagegen, riskiert man ein Scheitern“, so Thunert.

Außerdem könnten die Demokraten die Entscheidung im Senat auch noch mit dem US-spezifischen Instrument des Filibuster (Taktik einer Minderheit, durch Dauerreden eine Beschlussfassung durch die Mehrheit zu verhindern oder zu verzögern) blockieren. Nur eine qualifizierte Mehrheit von mindestens 60 von 100 Stimmen könnte diesen aufheben.

Kommen keine Mehrheiten zusammen, drohen unbequeme politische Konsequenzen: Reformstau und die Gefahr, dass die Wähler die Politiker bei den Kongresswahlen 2018 abstrafen, prognostiziert der USA-Experte Thunert.

Kliniken und Ärzte befürchten Konsequenzen einer Reform

Viele Kliniken in den USA befürchten, dass wieder der Status Quo Ante herrschen wird und das Fehlen einer Krankenversicherung für Einkommensschwächere wieder zur heillosen Überfüllung der Emergency Rooms führen könnte. „Wenn 14 Millionen Menschen aus der Versicherung wieder herausfallen, müssen das die Krankenhäuser und letztlich dann doch der Staat bezahlen, sobald diese Menschen bei Grippe oder schweren Halsschmerzen die Notfallaufnahme aufsuchen“,so Thunert.

Auch die Allgemeinmediziner kritisieren, dass die Uhr wieder zurückgestellt werden könnte. So äußerte die American Academy of Family Physicians in einer Pressemitteilung Bedenken, dass die Krankenversicherung von Millionen von Amerikanern gefährdet sei. Die Bevölkerung werde einen größeren Anteil an Versicherungsprämien und mehr Eigenanteil leisten müssen, was zu einer größeren finanziellen Unsicherheit für viele führe, so die AAFP.

Die Hausärzte betonten, dass die Politik sich bewusst sein müsste, dass ihre Entscheidung lebensverändernd für Patienten sei. Ärzte, die ihre Patienten von der Wiege bis zur Bahre begleiteten, wendeten sich dagegen, dass Patienten, die jetzt noch versichert seien, finanziellen und medizinischen Unsicherheiten ausgesetzt werden, so die AAFP.

 
Möglicherweise werden 20 bis 30 Prozent von Obamacare auch in der neuen Gesundheitsreform stecken. PD Dr. Martin Thunert
 

Die Hausärzte befürchten auch, dass einige Verbesserungen wieder gestrichen werden. So seien unter der Obama-Administration Hausärzte in ihrer Lotsenfunktion und die sprechende Medizin gestärkt worden, betont Thunert. Auch innovative Programme, die mehr auf Prävention setzten, seien gefördert worden.

Ideologische Diskussion auf dem Rücken der Patienten

„Es ging auch der Obama-Administration darum, Geld zu sparen“, betont Thunert. Jede Regierung in den USA müsse sich mit dem Hauptproblem der steigenden Gesundheitskosten auseinandersetzen. Doch soll man alles dem freien Markt überlassen, wie es die Republikaner wollen? „Ich bin persönlich der Meinung, dass man Gesundheit nicht über reine Marktgesetze finanzieren kann“, sagt der USA-Experte.

Wie geht es nun weiter? Ob man sich mit einem nachgebesserten Alternativvorschlag durchsetzen kann, hängt nun vom Verhandlungsgeschick von Trump ab, sowohl den radikalen Republikanern entgegenzukommen als auch den Demokraten in ihrem Bestreben, so viel wie möglich von Obamacare zu bewahren. „Dafür braucht es politisches Gespür und Verhandlungsgeschick, wofür Trump als Nicht-Politiker und Geschäftsmann und seinem Team noch die Erfahrung fehlt“, meint Thunert.

Momentan herrsche noch eine ideologische Auseinandersetzung und weniger eine Sachdiskussion. „Beide Parteien tragen momentan ihre ideologische Diskussion auf dem Rücken der Versicherten aus. Unverantwortlich finde ich es, dass momentan viele Menschen in Angst versetzt werden, ob sie weiterhin krankenversichert sein können“, kritisiert Thunert. Im Idealfall werde ein Kompromiss ausgehandelt, der es erreicht, dass möglichst viele Amerikaner versichert bleiben. „Möglicherweise werden 20 bis 30 Prozent von Obamacare auch in der neuen Gesundheitsreform stecken“, meint Thunert.



REFERENZEN:

1. Congressional Budget Office: American Health Care Act. Cost Estimate, 13. März 2017

 

Kommentar

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