Köln – Seit Inkrafttreten des Antikorruptionsgesetzes (§299a, §299b und §300 StGB) am 4. Juni 2016 herrscht große Unsicherheit unter Medizinern, Klinikchefs und Unternehmen über die Abgrenzung von rechtmäßigen Kooperationen zu strafbarer Korruption. Darüber diskutierten Experten auf dem Gesundheitskongress des Westens in Köln [1].

Dr. Hans Jürgen Ahrens
Nach dem Gesetz können auch niedergelassene Ärzte, Psychotherapeuten und andere Heilberufler, denen Bestechlichkeit oder Bestechung nachgewiesen wird, mit bis zu 3 Jahren, in besonders schweren Fällen sogar bis zu 5 Jahren Haft, bestraft werden.
„Für viele Kliniken und Ärzte ist unklar, ob die Kooperation, die sie führen, unter den Straftatbestand des Gesetzes fällt – und sie lieber ganz die Finger von einer Zusammenarbeit lassen sollen, um auf der sicheren Seite zu sein“, sagte Dr. Hans Jürgen Ahrens, Vorstandvorsitzender von Health Care Rheinland und Moderator der Veranstaltung zu Kooperation oder Korruption. „Meiner Erfahrung nach werden viele Kooperationen aus Sorge vor Konsequenzen aufgrund des neuen Gesetzes aufgekündigt.“
Sektorenübergreifende Versorgung: Gewünschte Kooperation oder strafbare Korruption?
Ahrens spielt unter anderem auf Verträge an, die Kliniken vor dem Inkrafttreten des „Gesetzes zur Bekämpfung von Korruption im Gesundheitswesen“ mit niedergelassenen Ärzten geschlossen haben. Um Missverständnisse und Unklarheiten zur Auslegung der Regelung bei solchen „Alt-Verträgen“ und auch bei künftigen Zusammenschlüssen zu beseitigen, habe sein Verein Kontakt zum Gesundheitsministerium aufgenommen.

Prof. Dr. Hendrik Schneider
Schließlich stelle die sektorenübergreifende Versorgung – also genau diese enge Zusammenarbeit der ambulanten und stationären Sektoren zum Wohl der Patienten eines der Hauptziele im Gesundheitswesen dar. Dies spiegle sich auch im Motto des Kölner Kongresses – „Brücken bauen: Gute Versorgung über die Sektoren hinweg“ – wider. Die vorherrschende Unsicherheit sei „unbefriedigend“, sagte Ahrens. „Viele an sich gute Kooperationen werden in Zweifel gestellt. Das ist das Gegenteil dessen, was in der sektorenübergreifenden Versorgung gewollt ist“, monierte er.
Auf Kooperationen zwischen beiden Sektoren müsse keinesfalls verzichtet werden, sagte Prof. Dr. Hendrik Schneider, Leiter des Lehrstuhls für Kriminologie, Jugendstrafrecht und Strafvollzugsrecht an der Universität Leipzig. Diese seien ja in der vergangenen Legislaturperiode erst ausgebaut worden. Jedoch bezeichnet er fortgeführte Abschlagszahlungen auf Basis von Altverträgen zwischen Kliniken und Niedergelassenen – ohne die Verträge nach dem 4. Juni 2016 erneut geprüft zu haben – als eine der 5 Fehlerquellen, die unter dem neuen Gesetz gemacht werden und zum Korruptionsverdacht führen können.
„Kliniken, aber auch niedergelassene Ärzte, etwa solche, die sich mit einem Kooperationsvertrag als Zuweiser an eine Klinik binden, sollten die Verträge prüfen und, falls kritisch, anhalten lassen“, riet der Spezialist für Compliance im Gesundheitswesen. „Die niedergelassenen Ärzte sitzen als Vorteilsnehmer mit den Vorteilsgebern im selben Boot und stehen daher hinsichtlich abgeschlossener Verträge genauso in der Verantwortung.“
Gezielte Patientensteuerung strafbar
Das gezielte Zuführen von Patienten an eine bestimmte Klinik, sagte Schneider, sei nicht erlaubt. „Der niedergelassene Arzt darf eine Krankenhausbehandlung verordnen – aber nicht in einem bestimmten Krankenhaus.“ Er dürfe den Patienten zwar zu einer Behandlung in möglichen Kliniken beraten, ihn jedoch keinesfalls steuern und solle seine Vorgehensweise immer schriftlich festhalten. „Eine solche Dokumentation kann einen Arzt im Zweifelsfall entlasten.“
Im Zusammenhang mit der Zuweisung prüfe man etwa auch Operationen, die Kliniken zwar von niedergelassenen Ärzten durchführen lassen, ihnen jedoch einen zweiten Operateur aus der Klinik zur Seite stellen. „Die Vermutung: Der Niedergelassene darf die Operation auf dem Papier durchführen, wird aber von der Klinik eigentlich für die Zuweisung des Patienten bezahlt“, erklärte der Jurist.

Dr. Holger Diener
Falls die Vergütungen für den Kooperationspartner ungewöhnlich hoch ausfallen und zusätzlich intransparent seien, verhärte dies den Korruptionsverdacht. „Vergütungsbemessungen müssen transparent sein und nach den DRGs oder nach GOÄ erfolgen; das sollten beide Vertragspartner sicherstellen und anlässlich des Paragraphen 299a eine ,Flurbereinigung‘ aller Verträge durchführen“, so Schneiders Empfehlung.
Auch Pharmaunternehmen verunsichert
Zur Strafrechtsprävention bemüht sich auch die Pharmaindustrie um größtmögliche Transparenz. „Alle unsere Mitglieder verpflichten sich im Rahmen unseres Transparenzkodex dazu, ihre Zuwendungen an Ärzte zu veröffentlichen – so schaffen wir für die Unternehmen und den Arzt als Kooperationspartner Rechtssicherheit“, sagte Dr. Holger Diener, Geschäftsführer der 2004 gegründeten Freiwilligen Selbstkontrolle für die Arzneimittelindustrie e.V. (FSA), auf dem Gesundheitskongress.
In dem Verein haben sich aktuell 55 Industrieunternehmen zusammengeschlossen, die rund 75% des verschreibungspflichtigen Marktes in Deutschland abdecken. Nachdem seit Juni 2016 für Niedergelassene Bestechung oder Bestechlichkeit nicht mehr nur als standesrechtlicher, sondern auch als strafrechtlicher Verstoß gelte, „stehen Ärzte und Pharmaunternehmen unter einer Art Schockstarre“, bemerkt Diener. „Viele fragten sich: Ist alles, was ich tue, korrupt?“ Das betreffe auch Anwendungsbeobachtungen oder etwa Einladungen zu Fortbildungsveranstaltungen oder Kongressen, bei denen die Industrie sämtliche Kosten für den Arzt übernehmen.
„Das Gute: Der Gesetzgeber hat dazu konkrete Äußerungen gemacht“, sagt Diener. So müssen Reise- und Übernachtungskosten „angemessen“ bleiben; Bahntickets der 1. Klasse etwa seien jedoch erlaubt, ebenso Taxifahrten und in Ausnahmen auch Business-Class-Flüge. Übernachtungen können in einem Businesshotel, nicht jedoch in einem „Luxushotel“ oder einer Unterkunft mit außergewöhnlichem Wellness-Bereich gebucht werden. „Verdächtig machen sich auch Unternehmen, die einen einstündigen Vortrag und ansonsten nur Kulturprogramm anbieten.“
Anwendungsbeobachtung: Erkenntnisgewinn oder Marketingmasche?
Unsicherheit herrsche unter Ärzten, Klinikchefs und Pharmaunternehmen auch bei Anwendungsbeobachtungen (AWB), also nicht-interventionellen Studien mit bereits zugelassenen Arzneimitteln, sagte Diener. An solchen Studien waren 2014 rund 17.000 Ärzte beteiligt, die meisten davon Niedergelassene, laut Informationen des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) sowie des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI).
Der Gesetzgeber stufe diese als unbedenklich ein, wenn sie „wissenschaftlich wünschenswert“ seien und nicht zu reinen Marketingzwecken durchgeführt werden. Ferner sollten die Ergebnisse veröffentlicht und die Honorierung „angemessen“ sein. Auch Kooperationsverträge, sagte Diener, müssten bedarfsorientiert sein. Die Honorierung der Ärzte solle nicht durch Incentives, etwa iPods, sondern durch Geldzahlungen erfolgen.

Joachim Schmitt
Genau wie die Pharmaindustrie sah auch die Medizinprodukte-Branche Handlungsbedarf, um nicht unter Korruptionsverdacht zu geraten. Schon 1997 hat der Bundesverband Medizintechnologie (BVMed) einen „Kodex Medizinprodukte“ erarbeitet und ihn 2016 aktualisiert.
„Für beide Seiten drohen neben der strafrechtlichen Konsequenz Reputationsverluste, hohe Verteidigungskosten, persönliche Belastungen und Wettbewerbsnachteile“, erklärte Joachim Schmitt, Geschäftsführer des BVMed-Bundesverbands. Der Kodex beinhalte unter anderem Handlungsempfehlungen zu Spenden, Honoraren, Geschenken und Fort- und Weiterbildungen sowie anderen Zuwendungen von Herstellern an ihre Kooperationspartner und basiere auf der Einhaltung von Trennungs-, Transparenz- und Dokumentationsprinzipien.
REFERENZEN:
1. Gesundheitskongress des Westens, 7. bis 8. März 2017, Köln
Medscape Nachrichten © 2017 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: Noch Kooperation oder schon Korruption? Neues Antikorruptionsgesetz verunsichert Niedergelassene und Klinikchefs - Medscape - 14. Mär 2017.
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