Adipositas gilt, neben dem Rauchen, schon lange als einer der wichtigsten vermeidbaren Risikofaktoren für Krebs. Um den Zusammenhang zwischen Übergewicht und den einzelnen Krebsarten zu spezifizieren, haben sich britische Wissenschaftler jetzt 204 Übersichtsarbeiten zu dem Thema vorgenommen und daraus ein Meta-Review erstellt [1]. Wie die Gynäkologin Dr. Maria Kyrgiou vom Imperial College London und ihre Kollegen im Fachblatt British Medical Journal (BMJ) berichten, sehen sie es inzwischen als erwiesen an, dass Fettleibigkeit insbesondere das Entstehen von Tumoren der Verdauungsorgane und von hormonabhängigen Krebserkrankungen bei Frauen begünstigt.
Liste der mit Adipositas in Zusammenhang stehenden Krebsarten wird länger

Prof. Dr. Rudolf Kaaks
„Überraschend sind diese Ergebnisse nicht“, kommentiert Prof. Dr. Rudolf Kaaks, Leiter der Abteilung Epidemiologie von Krebserkrankungen am Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) in Heidelberg, im Gespräch mit Medscape. Im vergangenen Jahr sei eine im New England Journal of Medicine (NEJM) erschienene Publikation der IARC (International Agency for Research on Cancer) bereits zu sehr ähnlichen Ergebnissen gekommen.
„Die Liste der Krebsarten, die nachweislich durch Adipositas begünstigt werden, wird länger“, sagt Kaaks. Den Zusammenhang von Fettleibigkeit und Darm- oder Brustkrebs beispielsweise kenne man seit mehr als 15 Jahren. „Inzwischen zeigen die vorliegenden epidemiologischen Daten aber auch, dass starkes Übergewicht eindeutig das Risiko unter anderem vom Multiplen Myelom sowie von Leber-, Pankreas- und Gallenblasenkrebs erhöht.“
Bei jeder vierten untersuchten Krebsart liefern die Daten starke Evidenz
Die systematischen Reviews und Meta-Analysen, die Kyrgiou und ihre Kollegen unter die Lupe genommen haben, entstammen den Publikationsdatenbanken PubMed und Embase sowie der Cochrane Database of Systematic Reviews. Wie die Forscher berichten, liefern die von ihnen analysierten Publikationen eine starke Evidenz für den Zusammenhang von Adipositas und Krebs bei 9 von 36 untersuchten Tumorarten.
Dazu gehören Adenokarzinome der Speiseröhre, Dick- und Enddarmkrebs bei Männern, Tumore der Gallenwege, Bauchspeicheldrüsen- und Nierenkrebs, Endometrium- und Mammakarzinome bei postmenopausalen Frauen sowie das Multiple Myelom. In Studien, die fettleibige mit normalgewichtigen Menschen verglichen, fand sich darüber hinaus eine starke Evidenz, dass Übergewicht die Bildung von Kardiakarzinomen und Eierstockkrebs begünstigt.
Auf deutliche Hinweise für den Zusammenhang eines hohen Body Mass Index (BMI) und der Entstehung von Tumoren sind Kyrgiou und ihre Kollegen bei Leber-, Eierstock- und Schilddrüsenkrebs gestoßen. Auf die Entwicklung von Plattenepithelkarzinomen der Speiseröhre und von Lungenkrebs hingegen habe ein hoher BMI sehr wahrscheinlich keinen Einfluss, berichten die Forscher.
Wie stark der BMI das Krebsrisiko beeinflusst, hängt von der Tumorart ab
Das Risiko für die einzelnen Krebsarten wird erwartungsgemäß unterschiedlich stark durch den BMI beeinflusst. Wie das Team um Kyrgiou ermittelt hat, führt beispielsweise bei Männern eine Steigerung des BMI um 5 kg/m2 zu einem um 9% erhöhten Risiko für Enddarmkrebs. Bei Tumoren der Gallenwege führt die gleiche Steigerung des BMI zu einem um 56% erhöhten Risiko.
Konkrete Zahlen liefern Kyrgiou und ihre Kollegen auch für die hormonabhängigen Tumoren der Frauen. Allerdings beziehen sich ihre Angaben auf unterschiedliche Faktoren, die auf eine Fettleibigkeit hinweisen. So erhöht sich beispielsweise das Risiko eines Endometriumkarzinoms pro 0,1 Einheiten im Taillen-Hüft-Verhältnis um 21%. Das Risiko eines postmenopausalen Mammakarzinoms steigt bei Frauen, die sich keiner Hormonersatztherapie unterziehen (oder früher einmal unterzogen haben), pro 5 kg Gewichtszunahme im Erwachsenenalter um 11%.
Die meisten Ergebnisse beruhen auf Beobachtungsstudien
Inwieweit solche Zahlen, die zum größten Teil anhand von Beobachtungsstudien ermittelt wurden, valide sind, ist schwer zu sagen. Der DKFZ-Forscher Kaaks lobt in diesem Zusammenhang aber, dass die britischen Forscher darauf geachtet haben, verzerrte Ergebnisse durch „effect modification“ zu vermeiden.
„Die Ermittlung des Brustkrebsrisikos aufgrund einer Fettleibigkeit ist nur bei Frauen sinnvoll, die keine Hormonersatztherapie durchführen“, erläutert er. Bei allen anderen Frauen könne der Einfluss der Adipositas nicht ermittelt werden, da die Östrogenwerte durch die Therapie ja ohnehin erhöht seien, betont der Wissenschaftler. „Ohne die HET aber muss davon ausgegangen werden, dass die endogene Östrogensynthese aufgrund des Übergewichts gesteigert ist – und dass sich dadurch die Gefahr eines Mammakarzinoms erhöht.“
Verzerrungen durch Confounding, also das Verschmelzen von Risikofaktoren, ließen sich vermutlich nicht ganz ausschließen. „Ich denke aber, dass sich solche Effekte durch die große Zahl der berücksichtigten Studien zu einem guten Teil gegenseitig wieder aufheben“, sagt Kaaks.
Adipositas-Prävention dringend geboten – schon bei Jugendlichen
Für den Heidelberger Epidemiologen ist das Fazit der aktuellen Publikation, trotz aller möglichen Limitationen, klar: „Um Krebs vorzubeugen, muss man Übergewicht verhindern“, sagt er. Unterstützung erhält Kaaks bei dieser Forderung unter anderem von Prof. Dr. Yikyung Park und Prof. Dr. Graham Colditz von der Washington University School of Medicine in St. Louis: „Die Datenlage ist eindeutig“, schreiben die US-Gesundheitswissenschaftler in einem Editorial im BMJ [2]. „Nun ist es an der Zeit zu handeln.“
Auch Park und Colditz verweisen auf den 2016 veröffentlichten Bericht des IARC, der ebenfalls den bewiesenen Zusammenhang zwischen Fettleibigkeit und den meisten Tumorarten des Verdauungssystems sowie Gebärmutterkrebs und postmenopausalem Brustkrebs betone. Lediglich bei Kardiakarzinomen sowie bei Leber-, Eierstock- und Schilddrüsenkrebs werde die Stärke der Evidenz von den beiden Teams unterschiedlich bewertet, schreiben die Wissenschaftler. Dies lasse sich auf die unterschiedlichen Methoden, mit denen die Evidenz ermittelt worden sei, zurückführen.
Darüber hinaus zeichne sich immer deutlicher ab, dass Übergewicht in der Jugend das spätere Krebsrisiko ebenfalls erhöhe, betonen die US-Forscher. Angesichts der wichtigen Rolle von Ärzten bei der Prävention und dem Erkennen von Adipositas seien diese nun besonders gefragt, um Krebserkrankungen, die eindeutig auf Fettleibigkeit zurückgehen, zu verhindern, schreiben Park und Colditz. Auch die Zahl der Diabetes- und Herzerkrankungen sowie Schlaganfälle ließe sich auf diese Weise reduzieren.
REFERENZEN:
1. Kyrgiou M, et al: BMJ 2017;356:j477
2. Park Y, et al: BMJ 2017;356:j908
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Diesen Artikel so zitieren: Adipositas erhöht Krebsrisiko: Meta-Review sieht starke Evidenz bei 9 von 36 untersuchten Tumorarten - Medscape - 10. Mär 2017.
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