Berlin – Unter dem Gesetzesentwurf fehlt nur noch die Unterschrift des Bundespräsidenten, dann können Ärzte Medizinal-Cannabis bei schwerwiegenden Erkrankungen verschreiben und Patienten können die Kosten von der Gesetzlichen Krankenversicherung erstattet bekommen. Um den Anbau von Cannabis zu medizinischen Zwecken in Deutschland zu steuern und zu kontrollieren wird im Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) eine entsprechende Agentur eingerichtet. Die Aufgaben der Cannabisagentur wurden auf einer Pressekonferenz in Berlin vorgestellt [1].

Prof. Dr. Karl Broich
Quelle: BfArM
„Das neue Gesetz ist ein wichtiger Schritt für schwerkranke Patienten, die auf die Versorgung mit Cannabisarzneimitteln angewiesen sind“, sagte Prof. Dr. Karl Broich, Präsident des BfArM.
Hauptaufgabe der Agentur wird es sein, die Versorgung von schwerkranken Patienten mit Cannabis in pharmazeutischer Qualität sicherzustellen. Sie wird dazu Lizenzen für den Anbau in Deutschland vergeben, den Anbau nach den Vorgaben der „Guten Praxis für das Sammeln und den Anbau von Arzneipflanzen“ und weiterer Richtlinien kontrollieren sowie den Vertrieb überwachen. „Die erste Ernte in Deutschland ist für 2019 vorgesehen“, sagte Broich. Bis dahin wird der Bedarf über Importe gedeckt.
Außerdem wird die Agentur 5 Jahre lang anonymisierte Daten zur Therapie sammeln und auswerten, um weitere Erkenntnisse über die Wirkung von Cannabis als Medizin zu gewinnen. „Es gibt international noch wenige Erkenntnisse darüber, bei welchen Krankheitsbildern Cannabis nachweislich positive Wirkungen hat“, betonte Lutz Stroppe, Staatssekretär im Bundesministerium für Gesundheit.
Cannabis made in Germany
Eine der ersten „Amtshandlungen“ der Cannabisagentur wird es sein, ein EU-weites Ausschreibungsverfahren zum Anbau von Cannabis in Deutschland einzuleiten und Aufträge an geeignete Unternehmen zu vergeben. Nach der Ernte wird die Agentur Cannabis ankaufen und die Auslieferung an Hersteller von Cannabisarzneimitteln, Großhändler und Apotheken steuern. Allederdings wird das Cannabis nicht im BfArM gelagert. Das sowie die Auslieferung übernehmen die jeweiligen Firmen. Patienten können es dann mit Rezept über Apotheken beziehen.
Die Agentur wird auch den Herstellerabgabepreis festlegen und das BfArM darf keine Gewinne aus der Steuerung von Anbau und Vertrieb erzielen. Lediglich Personal- und Sachkosten werden für die Preisbildung berücksichtigt. Auf den Abgabepreis in Apotheken wird das Institut jedoch keinen Einfluss haben.
Bis dato wird Cannabis aus den Niederlanden und Kanada importiert. Auch wenn demnächst in Deutschland medizinisches Cannabis angebaut wird, ist der Import weiterhin möglich. Wie viel Cannabis künftig benötigt wird, lässt sich nur schätzen. Bisher nutzen rund 1.000 Patienten Cannabis mit einer Ausnahmeerlaubnis. Für diese Personen würden insgesamt rund 365 kg pro Jahr benötigt.
Ärzte dürfen verschreiben, Kassen erstatten
Seit 2005 wurden vom BfArM für Patienten Ausnahmegenehmigungen zum Bezug von Cannabisprodukten ausgestellt. Die Cannabis-Therapie mussten die Patienten aber in der Regel selbst zahlen. Ärzte durften das Cannabis nicht verordnen, sondern nur die Therapie begleiten. Das bisherige Erlaubnisverfahren zum Erwerb von Medizinal-Cannabis wird mit Inkrafttreten des Gesetzes entfallen. Die bereits erteilten Ausnahmegenehmigungen bleiben jedoch noch für 3 Monate ihre Gültigkeit.
Mit Inkrafttreten des Gesetzes können Ärzte Medizinal-Cannabisblüten oder -extrakt auf einem Betäubungsmittelrezept Patienten mit schwerwiegenden Erkrankungen verschreiben. Voraussetzung: Mit einer anderen guten und anerkannten Therapie konnte den Patienten nicht zufriedenstellend geholfen werden. Infrage kommt die Therapie etwa für Krebspatienten oder Multiple-Sklerose-Patienten mit Spastik. „Es geht hier tatsächlich nicht um den Joint auf Rezept“, betonte Stroppe.
Zudem muss die Aussicht bestehen, dass es einen spürbaren positiven Einfluss auf den Krankheitsverlauf oder auf schwerwiegende Symptome gibt. Die Entscheidung über die Verordnung liegt allein beim Arzt.
Vor der Verordnung muss zunächst bei der Krankenkasse ein Antrag auf Kostenübernahme gestellt werden. Bei der Erstversorgung muss die Kasse dann innerhalb von 3 Wochen darüber entscheiden, bei Einbeziehung des medizinischen Dienstes innerhalb von 5 Wochen. Im Bereich der ambulanten Palliativversorgung beträgt die Genehmigungsfrist für die Kostenübernahme höchstens 3 Tage.
Ärzte müssen sich selbst informieren
Bisher konnten Ärzte die Fertigarzneimittel auf Cannabisbasis Sativex® und Canemes® sowie das individuell für den Patienten hergestellte Rezepturarzneimittel Dronabinol auf einem Betäubungsmittelrezept verschreiben. Für die Fertigarzneimittel stehen entsprechende Fachinformationen zur Verfügung.
Neu ist die mögliche Verordnung von Cannabisblüten und -extrakten, die nicht zugelassen sind. Dr. Peter Cremer-Schaeffer, Leiter der Bundesopiumstelle im BfArM,empfahl Ärzten, sich über die Möglichkeiten einer Therapie mit diesen Cannabisprodukten in der Fachliteratur zu informieren und sich Rat bei Kollegen zu holen, die bereits Erfahrungen mit der Therapie bzw. der Begleitung der Therapie mit Cannabisprodukten haben. Er betonte, dass das BfArM – wie bei anderen Arzneimitteln auch – nicht dazu beraten kann. Es könne Ärzte jedoch zur korrekten Anwendung der betäubungsmittelrechtlichen Rahmenbedingungen informieren.
Medizinisches Cannabis sollte nicht geraucht werden sondern entweder in Form von Tropfen oder Kapseln oral aufgenommen oder mithilfe von Inhaliergeräten eingeatmet werden, so Cremer-Schaeffer. Tees seien nicht empfehlenswert, da zur optimalen Wirkstofffreisetzung eine Temperatur von 160 Grad Celsius erforderlich ist.
Zum Autofahren oder Führen von Maschinen unter Cannabis-Therapie gelten die gleichen Richtlinien wie bei Opiaten. Zu Beginn der Therapie ist davon eher abzuraten. Letztlich müssen Arzt und Patient dann gemeinsam entscheiden, ob und ab wann etwa Autofahren unter Cannabis-Therapie wieder möglich ist.
Von Anwendungsdaten zur Fertigarznei
Für die Begleiterhebung der Cannabisagentur sollen Ärzte anonymisiert Daten an das BfArM weiterleiten. Es handelt sich dabei um Daten, die ohnehin im Rahmen der Behandlung erhoben werden, etwa zu Diagnose, Dosis und Nebenwirkungen.
„Ärzte müssen jedoch nicht mit der Therapie warten, bis die Rechtsverordnung dazu veröffentlicht ist, denn zu Beginn der Therapie müssen noch keine Daten für die Begleiterhebung übermittelt werden“, betonte Cremer-Schaeffer. Sie müssten lediglich ihre Patienten darüber aufklären, dass eine solche Begleiterhebung durchgeführt wird. Hierfür werde nach Inkrafttreten des Gesetzes umgehend ein Informationsblatt zur Verfügung gestellt, kündigte er an.
Zur Sicherheit und Anwendung von Cannabisblüten und nicht zugelassenen Cannabisextrakten gebe es nur ca. 70 Publikationen, die wissenschaftlichen Ansprüche genügen, berichtete Cremer-Schaeffer.
„Wir können Cannabis zwar zur Verfügung stellen, aber wir haben keine Zulassung von Cannabis mit den üblichen Phase-3-Studien zur Wirksamkeit und Sicherheit eines Arzneimittels, sondern wir beziehen uns auf Hinweise, die wir aus der klinischen Anwendung von Cannabisprodukten gesammelt haben, etwa bei Krebspatienten oder bei Spastiken infolge von Multipler Sklerose“, so Broich. Für andere Schmerzsyndrome stehe dieser Wirksamkeitsnachweis auf tönernen Füßen.
Die Datenübermittlung durch die behandelnden Ärzte sei daher von besonderer Bedeutung. Die Auswertung in der Begleiterhebung de BfArM soll eine Einschätzung ermöglichen, ob Cannabisarzneimittel in nicht zugelassenen Indikationen mehr Chancen als Risiken bergen.
„Unser Fernziel ist, in 5 bis 10 Jahren regulär zugelassene Fertigarzneien mit standardisierten Cannabis-Inhaltsstoffen zu haben“, erläuterte Broich. Mit Kanada, Israel und Australien, wo es bereits umfangreiche Erfahrungen in der medizinischen Anwendung von Cannabisprodukten gibt, sind wissenschaftliche Kooperationsprojekte geplant.
REFERENZEN:
1. Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte: Pressekonferenz, 3. März 2017, Berlin
Medscape Nachrichten © 2017 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: Cannabis „Made in Germany“: In Kürze können Blüten und Extrakte per Rezept verordnet werden – worauf es zu achten gilt - Medscape - 8. Mär 2017.
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