Atemwegsinfekte: Bisher größte Metaanalyse findet nur Mini-Effekt durch Vitamin D – als Prophylaxe untauglich?

Martina Frei

Interessenkonflikte

3. März 2017

5 Metaanalysen gab es bisher zur Frage, ob Vitamin D akuten Atemwegsinfekten vorbeugt. 2 fielen positiv aus, 3 negativ. Jetzt kommt Nummer 6 – größer und aufwendiger gemacht als alle bisherigen [1]. Ihr Ergebnis: Vitamin D wirkt prophylaktisch bei akuten Atemwegsinfekten, aber der Effekt ist klein und nicht mehr nachweisbar, wenn das Vitamin im Bolus verabreicht wird. Die Schlussfolgerung der Autoren um Prof. Dr. Adrain Martineau vom Blizard Institute an der Queen Mary Universität in London klingt dennoch überraschend vollmundig: „Unsere Studie berichtet von einer neuen wichtigen Indikation der Vitamin-D-Supplementierung: Die Prävention akuter respiratorischer Infekte.“

Prof. Dr. Tobias Welte

„Vitamin D ist bei dieser Indikation seit zehn Jahren im Gespräch, immer mit Fragezeichen. Auch die jetzige Studie beweist nicht, dass es hier einen Effekt hat“, sagt Prof. Dr. Tobias Welte, Direktor der Klinik für Pneumologie an der Medizinischen Hochschule Hannover und Vize-Präsident der European Respiratory Society. Zusammengefasst sehe man zwar unter Vitamin-D-Behandlung einen kleinen Vorteil – „aber das ist ein mathematisches Ergebnis und klinisch kaum von Bedeutung“, so Welte.

Absolute Risikoreduktion von 2 Prozent

Für ihre Metaanalyse betrieben Martineau und seine Kollegen viel Aufwand: Sie bündelten die Daten aus allen 25 randomisierten, doppelt verblindeten und placebo-kontrollierten Studien, die bis Ende 2015 abgeschlossen waren. Zudem erfassten sie die individuellen Patientendaten aus allen Studien. Gemäß der Metaanalyse betrug die Rate an Personen mit mindestens einem respiratorischen Infekt unter Placebo 42,2%, bei Vitamin-D-Gabe 40,3%. Die absolute (aber signifikante) Risikoreduktion war also nur 2%.

 
Vitamin D ist bei dieser Indikation seit zehn Jahren im Gespräch, immer mit Fragezeichen. Auch die jetzige Studie beweist nicht, dass es hier einen Effekt hat. Prof. Dr. Tobias Welte
 

Wichtige Fragen ausgeblendet

Es sei unwahrscheinlich, dass die Bevölkerung die minimale Risikoreduktion als ausreichende Basis für die Supplementierung erachte, schreiben die Kommentatoren Prof. Dr. Mark J. Bolland, von der Universität Auckland, Australien, und Prof. Dr. Alison Avenell, Universität Aberdeen, Großbritannien [2].

Welte sieht schon die Methodik kritisch: „Diese Studien sind nur sehr bedingt miteinander vergleichbar. Zudem sind etliche davon nicht gut gemacht“, wendet er ein. „Eine solche Metaanalyse blendet zum Beispiel auch aus, von welchem Vitamin D wir überhaupt reden: Vom inaktivierten Vitamin D 25-OH oder vom Nieren-aktivierten 1,25-OH?“ In einer eigenen Studie fand Welte zusammen mit Kollegen den Schweregrad einer Pneumonie negativ korreliert mit dem Spiegel an 1,25-OH Vitamin D, nicht aber mit 25-OH Vitamin D.

Ein Leser weist im BMJ online darauf hin, dass sowohl die Resultate als auch die Heterogenität der aktuellen Analyse maßgebend durch 2 kleine Studien beeinflusst wurden, eine davon bei Schulkindern in der Mongolei, die andere an Kleinkindern in Afghanistan. Nehme man diese beiden aus der Gesamtbewertung, verschwinde der behauptete Nutzen, rechnet Harri Hemilä vor, Dozent am Department of Public Health an der Universität von Helsinki, Finnland, vor. „Ich finde es verwunderlich, dass das BMJ Martineaus Studie so abgedruckt hat, mit grob überoptimistischen Interpretationen. Um Vitamin D gibt es einen großen Hype“, so Hemilä.

 
Eine solche Metaanalyse blendet zum Beispiel auch aus, von welchem Vitamin D wir überhaupt reden. Prof. Dr. Tobias Welte
 

Nutzen für bestimmte Subgruppen

Derzeit werde die Medizin „etwas von der Biometrie dominiert“, kritisiert Welte. „Das, was uns Ärzte aber interessiert, ist der klinische Nutzen.“ Dieser Nutzen fällt laut der aktuellen Metaanalyse mäßig aus. Die Number needed to treat, um einem Atemwegsinfekt vorzubeugen, beträgt demnach 33 (95%-Konfidenzintervall: 20-101).

Deutlicher zeigt sich ein möglicher Effekt in den Subgruppenanalysen: Bei Probanden, deren Ausgangswert an 25-OH Vitamin D unter 25 nmol/l betrug, lag die NNT bei 8 (95%- KI: 5–21). War der Ausgangswert über diesem cut-off, ergab sich dagegen kein signifikanter Nutzen – wobei diese Laborwerte nur bei 40% aller Studienteilnehmer bekannt waren.

Zu denken gibt ein Resultat der Subgruppenanalyse: Studienteilnehmer, die das Vitamin im Bolus (über 30.000 IU) erhielten, profitierten nicht, im Gegensatz zu jenen mit täglicher oder wöchentlicher Gabe. Hier lag die NNT bei 20. Am stärksten zeigte sich dies bei den 1- bis 16-Jährigen, ebenfalls signifikant war das Resultat auch für die Altersgruppe 16 bis 65 Jahre und – über alle Altersgruppen hinweg – bei einem BMI unter 25.

 
Ich finde es verwunderlich, dass das BMJ Martineaus Studie so abgedruckt hat, mit grob überoptimistischen Interpretationen. Harri Hemilä
 

Plausibler Pathomechanismus fehlt

„Hohe Vitamindosen sind völlig unphysiologisch“, gibt Welte zu bedenken. „Wir wissen noch nicht, welche unerwünschten Wirkungen wir damit langfristig heraufbeschwören.“ Der Pneumologe erinnert an die früheren Erfahrungen bei Dialyse-Patienten, bei denen es unter Behandlung mit Cholecalciferol zu Kalkablagerungen in verschiedensten Organen kam. „Mich erinnert der Hype ums Vitamin D an denjenigen bei den Vitaminen C und E. Dort erkannte man mit der Zeit immer mehr, dass zuviel auch schädlich sein kann.“

Was ihm fehle, sei ein plausibler Pathomechanismus, weshalb Vitamin D Infekten vorbeugen sollte, sagt Welte. „Das ist wie mit den Störchen und den Geburten. Im Winter bekommen wir weniger Sonne, also sind die Vitamin-D-Spiegel tiefer. Und es zirkulieren um diese Jahreszeit mehr Erkältungsviren. Aber bedingt nun das eine das andere?“ Das Konzept, dass Vitamin D Atemwegsinfekten vorbeuge, sei zwar interessant, „aber man sollte ihm mit zurückhaltender Skepsis begegnen. Da braucht es noch mehr Verständnis auf der Grundlagenebene.“ Bei seinen Patienten bestimme er den Vitamin-D-Spiegel selten, sagt Welte, geschweige denn, dass er das Vitamin als Infektprohylaxe verordne. Dieser Ansicht sind auch die beiden Kommentatoren im BMJ. „Die Ergebnisse sind heterogen und ungenügend auf die breite Bevölkerung anwendbar“, resümieren sie.

 

REFERENZEN:

1. Martineau AR, et al: BMJ 2017;356:i6583

2. Bolland MJ, et al: BMJ 2017;356:j456

Kommentar

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