Hautkrebs-Diagnose via Smartphone: Neuer trainierbarer Diagnose-Algorithmus nutzt Daten von mehr als 130.000 Fotos

Ute Eppinger

Interessenkonflikte

20. Februar 2017

Könnte einem Patienten bald schon ein Blick aufs Smartphone genügen um ein Melanom von einem harmlosen Pigmentfleck zu unterscheiden? Geht es nach Prof. Dr. Sebastian Thrun vom Stanford Artificial Intelligence Laboratory, USA, so lautet die Antwort „ja“. Ihre Arbeit stellten Thrun und seine Kollegen jetzt in Nature vor [1].

Auf Basis von mehr als 130.000 Fotos von gut- oder bösartigen Hautveränderungen entwickelte der Wissenschaftler gemeinsam mit seinen Studenten aus einem vorhandenen Google-Algorithmus einen Diagnose-Algorithmus: Der soll Hautkrebs erkennen und mit jeder „Diagnose“ besser werden können. „Seit dem ersten Test funktioniert er mit beeindruckender Genauigkeit“, schreiben die Forscher in einer Pressemitteilung der Stanford University. „Als wir gesehen haben, dass das funktioniert, sagten wir uns: Das ist nicht nur ein Modellprojekt für Studenten, das ist die Chance etwas Großes für die Menschen zu machen“, so Thrun.

„Es ist schon eine spannende Entwicklung neuronale Netzwerke über Bilder auf Diagnosen zu trainieren“, kommentiert Prof. Dr. Dirk Schadendorf, Direktor der Klinik für Dermatologie und Direktor des Westdeutschen Tumorzentrums (WTZ) am Universitätsklinikum Essen die Arbeit im Gespräch mit Medscape.

 
Seit dem ersten Test funktioniert er mit beeindruckender Genauigkeit. Prof. Dr. Sebastian Thrun und Kollegen
 

Vergleichbare Entwicklungen gebe es beispielsweise in der Radiologie mit den Bildbewertungsanalysen. „Das Prinzip bei einem Algorithmus, der Hautkrebs diagnostizieren können soll, ist ja ein ähnliches – aber die Probleme sind noch vielfältiger und komplexer, vor allem in Hinblick darauf, dass ja über Smartphones diagnostiziert werden soll“, sagt Schadendorf.

Das Ziel: Frühere Diagnosen ermöglichen

Während die 5-Jahres-Überlebensrate für Melanome im Frühstadium bei fast 97% liegt, fällt sie auf geschätzt 14%, wenn ein Melanom im Spätstadium entdeckt wird. Der Algorithmus soll zu schnelleren Diagnosen beitragen.

„Es ist angstauslösend genug zum Arzt zu müssen und prüfen zu lassen, ob ein seltsam aussehendes Muttermal womöglich kanzerogen sein könnte. Und nun stellen Sie sich vor, dass Sie weit weg vom nächsten Arzt wohnen, keine Möglichkeit haben, einen Tag frei zu nehmen von Ihrer Arbeit und noch dazu nicht wissen, ob Sie den Arztbesuch überhaupt bezahlen können. In einer solchen Situation ist die Möglichkeit, mittels Smartphone rasch eine Diagnose zu erhalten, lebensrettend“, schildert Thrun, was ihn und seine Kollegen dazu bewogen hat, den Algorithmus zu entwickeln.

Algorithmus und Dermatologen erreichten die gleiche Trefferquote

Die Forscher nutzten einen von Google entwickelten Algorithmus zur Bilderkennung und brachten ihm bei, ein malignes Karzinom von einer benignen seborrhoischen Keratoses zu unterscheiden. Dazu trainierten die Forscher das Programm mithilfe von 130.000 beschrifteten Fotos von verschiedensten gut- und bösartigen Hautveränderungen. So lernte das Programm selbstständig, die typischen Merkmale von malignen Melanomen und malignen Karzinomen zu erkennen.

Dabei stießen die Forscher schon auf die ersten Schwierigkeiten, denn: „Es gab kein großes Datenset zu Hautkrebs, mit dem wir unseren Algorithmus hätten trainieren können. Deshalb mussten wir zunächst ein eigenes zusammenstellen“, sagt Brett Kuprel, Co-Studienautor des Papers. Sie sammelten also Aufnahmen aus dem Internet. „Mithilfe von Prof. Dr. Helen M. Blau, Mikrobiologin und Immunologin an der Stanford University und ebenfalls Co-Autorin des Papers, klassifizierte das interdisziplinäre Team die gefundenen Internetaufnahmen.

 
Es ist schon eine spannende Entwicklung neuronale Netzwerke über Bilder auf Diagnosen zu trainieren. Prof. Dr. Dirk Schadendorf
 

Letztendlich konnten dann 130.000 Fotos zu Trainingszwecken verwendet werden. Wie präzise der Algorithmus arbeitet, testeten Thrun und seine Kollegen im Direktvergleich mit 21 Dermatologen. Das Ergebnis: Hautärzte und Computer schnitten bei der Diagnose von Melanomen gleich gut ab und erkannten rund 91%.

Vom Computer aufs Smartphone

Der Algorithmus läuft gegenwärtig auf einem Desktop-Computer. Er soll aber künftig auch auf dem Smartphone funktionieren. „Mein Aha-Moment war, als ich realisiert habe, wie universell einsetzbar Smartphones sind“, sagt Erstautor Andre Esteva vom Thrun Lab. „Jeder hat ein Smartphone in seiner Tasche – mit Sensoren und einer Kamera. Wie wäre es, wenn wir das nutzen könnten für visuelle Screens für Hautkrebs?“ Die Forscher glauben, dass es relativ einfach ist, den Algorithmus auf mobile Geräte zu übertragen. Vorher müsse der Algorithmus aber erst einmal umfassend getestet werden.

 
Die Tele-Dermatologie wird an Bedeutung gewinnen. Prof. Dr. Dirk Schadendorf
 

Das eigentliche Problem, neben der Übertragung des Algorithmus vom Computer auf das Smartphone, dürften jedoch Faktoren beim Fotografieren mit dem Smartphone sein wie Gegenlicht, Bild-Auflösung, Unschärfe, unterschiedliche Ebenen der Aufnahmen oder die Qualität der Internetverbindung, so Schadendorf. Sie dürften die Einordnung einer Hautläsion erheblich erschweren.

„Es müssen noch etliche technische Probleme gelöst werden. Die Unterscheidung von schwarzem und weißem Hautkrebs ist da noch die Einfachste“, sagt Schadendorf. Von der Qualität des Smartphone-Fotos hängt letztlich auch die Sicherheit der Diagnose ab.

Dennoch ist Schadendorf sicher: „Die Tele-Dermatologie wird an Bedeutung gewinnen.“ Schließlich werde die Bevölkerung immer älter, der Zugang zu medizinischen Einrichtungen gerade auch in strukturschwachen Gegenden schwieriger. Doch bis der Algorithmus einsetzbar ist, wird es seiner Einschätzung nach noch dauern: „Die Idee ist wirklich interessant. Ich könnte mir vorstellen, dass ein solches Gerät in 5 bis 10 Jahren eingesetzt werden kann. Von einem flächendeckenden Einsatz sind wir aber auch dann noch weit entfernt.“



REFERENZEN:

1. Esteva A, et al: Nature (online) 25. Januar 2017

 

Kommentar

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