Verleger und Autoren diverser Wissensmedien protestieren hierzulande gegen die geplanten, erweiterten Nutzungsrechte von digitalen Inhalten für Unterricht, Lehre, Wissenschaft und Bibliotheken, ohne dass es der Zustimmung von Urhebern – der Autoren – bedarf. Sie haben die Kampagne Publikationsfreiheit im Internet initiiert, die von mehr als 2.000 Fachautoren und Wissenschaftlern unterzeichnet wurde.
Die Initiatoren sehen das Grundrecht in Gefahr, dass Autoren frei entscheiden können, wo sie publizieren wollen. Unter anderem sei von staatlicher Seite verpflichtend geplant, im Open Access zu publizieren. Dieser Zwang laufe dem Grundrecht der Meinungs-, Presse- und Wissenschaftsfreiheit zuwider, argumentieren sie.
Befürworter der Open-Access-Strategie aus der Wissenschaft halten entgegen, die Verlage wollten nur ihre Pfründe sichern und verschleierten ihre Interessen hinter der Verletzung von Autorenrechten.
Gesetzgeber plant Reform des Urheberrechts
Hintergrund des Streits: Die Bundesregierung plant eine Reform des Urheberrechts. Sie will damit die Regelungen anpassen an ein neues digitales Umfeld in Unterricht, Lehre, Wissenschaft und Bibliotheken. Der Gesetzgeber will erweiterte Nutzungsrechte für Bildung und Wissenschaft einräumen, die bislang durch das Urheberrecht eingeschränkt werden. Damit soll der „ungehinderte Wissensfluss in der Wissenschaft verbessert werden“, begründet das Bundesministerium für Wissenschaft und Bildung (BMBF) auf ihren Webseiten „Digitalisierung in Bildung und Forschung“.
Seit dem 1. Februar 2017 liegt dazu ein Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz „zur Angleichung des Urheberrechts an die aktuellen Erfordernisse der Wissensgesellschaft“ vor (Urheberrechts-Wissenschaftsgesellschafts-Gesetz – UrhWissG).
Auch in dem Bericht „Open Access in Deutschland“ wird die Strategie der Politik dargestellt, den offenen Zugang als Standard zu etablieren.

Dr. h.c. Albrecht Hauff
Die Allianz der Wissenschaftsorganisationen hatte dieses Ziel ausdrücklich in einer Stellungnahme begrüßt. Schon jetzt würden Wissenschaftler für die Publikation auf dem „Grünen Weg“ – das heißt etwa auf einem Repositorium der Bibliothek oder auf Institutsservern – sowie über den „Goldenen Weg“ – als primäre Veröffentlichung in einem Open-Access-Medium – von ihnen unterstützt werden. Dies trage zur besseren Verbreitung, Sichtbarkeit und Verwertung von Forschungsergebnissen bei.
Kritik der Verlage an „Kostenlos-Mentalität“
„Seit vielen Jahren ist der Trend zur Kostenlos-Mentalität speziell an den Hochschulen und im Bereich der wissenschaftlichen Literatur in Lehre und Forschung zu beobachten“, sagt der Thieme-Verleger Dr. h.c. Albrecht Hauff gegenüber Medscape. Er hat die Unterschriften-Kampagne mit initiiert. Der Referentenentwurf zum Urheberrechts-Wissenschaftsgesellschafts-Gesetz habe das Fass zum Überlaufen gebracht und Anlass zur Kampagne gegeben.
Gesetzespläne, dass rund 25% der Lehrbücher in einer Universität den Studierenden kostenlos zugänglich gemacht werden sollen, bedrohten den Markt für die aufwändige Entwicklung von Bildungsmedien. Zudem sei nur eine pauschale Vergütung für Lehrbücher vorgesehen, die bei 0,8 Cent pro Seite liege. Dies sei unangemessen, da für eine Seite – jedenfalls beim gedruckten Lehrbuch – mindestens zwischen 8 und 12 Cent zu veranschlagen seien, so Hauff.
Es sei geplant, dass Wissenschaftler und Bibliotheken kostenlos Zugang zu digitalen Angeboten erhalten, in die viele Verlage in den letzten Jahren hohe Investitionen getätigt und hierfür Lizenzverträge abgeschlossen hätten. Werde das Gesetz realisiert, das unter anderem auch Studierenden erlauben will, dass sie in der Bibliothek Lehrbücher auf einen Speicherstick ziehen, sehen sich Verleger wie Hauff ihres Geschäftsmodells beraubt: „Kein Student wird sich noch ein Lehrbuch kaufen. Kein Autor und kein Verlag werden dann noch professionelle Lehrwerke und -materialen entwickeln können“, prognostiziert er.
Bildungsmedien nicht zu vergleichen mit globalem Wissensaustausch
Prof. Dr. Gerd Antes, Direktor des Deutschen Cochrane Zentrums am Universitätsklinikum Freiburg, betont, dass Bildungsmedien ein spezielles Segment sind und anderen Strukturen als denen des globalen Wissensaustauschs unterliegen. Die Versorgung von Schule und Hochschule mit landessprachlichen Unterrichtsmaterialien müsse sichergestellt werden und sollte von Verlagen geleistet werden.

Prof. Dr. Gerd Antes
Diese Anforderungen sollten jedoch nicht vermischt werden mit den „Verwerfungen im Publikationsprozess neuen Wissens“. Gemeint ist damit die Debatte um hohe Preise für die Subskription von Zeitschriften und Fachliteratur, die Bibliotheken und Wissenschaftseinrichtungen bezahlen, um sie für ihre Wissenschaftler zugänglich zu machen.
Die Initiatoren der Kampagne „Publikationsfreiheit“ führen laut Antes an, dass die Bildungsrepublik Deutschland bedroht sei, wenn Autoren nicht mehr frei entscheiden könnten, wo und wie sie ihre Inhalte publizieren und dazu nicht mehr auf unabhängige Verlage zurückgreifen könnten. „Tatsächlich ist die Kampagne jedoch ein kaum verhohlener Lobbybeitrag eines Verlagswesens, das die seit vielen Jahren laufenden Bewegungen hin zu Open Access verschlafen oder ignoriert hat und nun seine Felle davonschwimmen sieht“, meint Antes.
Asymmetrische Beziehung zwischen Verlagen und Autoren?
Die Unterschriften-Kampagne beschwört laut Antes eine Allianz zwischen Verlagen und Autoren, die es so nicht im akademischen und universitären Umfeld gebe. Im Gegenteil: Die gegenwärtigen gewaltigen Verschiebungen seien die Folge der asymmetrischen Beziehung zwischen Verlagen und Autoren.
„Einerseits haben wir die seit vielen Jahren beklagte Mehrfachbezahlung, in der öffentlich bezahlte Autoren ihre Artikel unter Aufgabe ihrer Rechte in Zeitschriften publizieren. Diese müssen dann von ihren eigenen Institutionen durch Lizensierung dieser Zeitschriften für den akademischen Austausch zurückgekauft werden. Andererseits sind da die Autoren, die diesen Verlagen ausgeliefert sind und sicherlich nicht geschwächt werden, wenn die Verlage geschwächt werden“, betont Antes. Aufrufe von Nobelpreisträgern, die Top-Zeitschriften zu boykottieren, seien nur die Spitze vom Eisberg dieser Interessengegensätze.
Dass Verlagen das nicht gefalle, sei nicht überraschend, würden die Profitraten von Verlagen doch in der gleichen Größenordnung wie die von pharmazeutischen Unternehmen gesehen, so Antes. Das zu erhalten, liege weder im Interesse von Autoren, noch diene es den gesellschaftlichen Erwartungen an den Wissenschaftsprozess, sagt Antes.
Der Gesetzgeber hat bei der Reform des Urheberrechts Autoren aus der Wissenschaft im Blick, die von einem möglichst großen Kreis rezipiert werden wollen, heißt es im Referentenentwurf. Honorare treten demnach in den Hintergrund, sofern sie überhaupt üblich seien – zumal viele Autoren ihr Gehalt von einer Bildungs- oder Forschungseinrichtung beziehen.
Schlechte Publikationen in der Medizin bedrohen Gesundheit der Patienten
Was die Publikationsfreiheit von Autoren anbelange, sollte diese laut Antes grundsätzlich gewährleistet sein, nur sollte sie keine absolute Bedingung sein, sondern müsse gegen andere Einflüsse und Auswirkungen abgewogen werden. Medizin und Gesundheitsversorgung erforderten eine spezielle und besonders sorgfältige Betrachtung, da die Freiheit von Autoren, Zeitschriften und Verlagen zu immensen Schäden an Gesunden und Patienten geführt habe. Dies sei durch Tausende empirische Studien inzwischen gut belegt. Vermeidbare Krankheiten und Tode seien also vielfach die Folge von der Freiheit für Autoren und dem Publikationswesen.
Grob irreführend werde von der Unterschriften-Kampagne der Begriff „staatlich“ benutzt, um daraus abzuleiten, dass dies mit dem Verlust von Qualität und Vielfalt einhergehen würde. Übersehen werde dabei, dass dieser Qualitätsverlust in der wissenschaftlichen Publikationswelt – und damit in seinen Auswirkungen besonders relevant für die Medizin – schon lange eingetreten sei und wesentlich von der „freien“, nichtstaatlichen Publikationswelt zu verantworten sei.
„In Hunderten von Artikeln mit empirischen Untersuchungen werden diese Missstände seit Jahrzehnten beschrieben, ohne dass umfassende Besserungen eingetreten sind“, so Antes. Der von der nordamerikanischen Ärztezeitschrift JAMA getragene, alle 4 Jahre stattfindende „International Peer Review Congress“ werde auch im September 2017 wieder zeigen, wie ernst die Qualitätsdefizite in der medizinischen Literatur seien. „Die Freiheit von Zeitschriften und Verlagen sind nicht der Garant für Verbesserungen, sondern ein zentraler Grund für die Defizite“, meint Antes.
Publikationsgebühren für Wissenschaftler statt Subskriptionsmodell für Zeitschriften
Dr. Ralf Schimmer von der Max Planck Digital Library in München betont, dass die Publikation im Open Access mitnichten zu einer Beschneidung der Autorenrechte führe, sondern zu einer Erweiterung. Anstelle den Verlagen sämtliche Rechte zu übertragen, könnten Autoren im Open Access über ihr eigenes Werk verfügen.
Schimmer ist Verfasser eines „White Papers“, das die Lanze bricht für eine flächendeckende Umstrukturierung der Finanzströme im wissenschaftlichen Publikationswesen. Anstatt einem Subskriptionsmodell sollten eher Publikationsgebühren für Wissenschaftler beziehungsweise deren Institutionen eingeführt werden. Die Verlage erhielten dann Geld für den Publikationsprozess, die Rechte blieben bei den Autoren.
Nach seinen Schätzungen geben Wissenschaftsorganisationen – wie Hochschulen, Universitäten und andere Forschungsinstitutionen – weltweit zirka 7,6 Milliarden Euro für Subskriptionen aus. Dieses Geld könnte im System bleiben. „Wir wären bereit, für die Dienstleistungen der Verlage zu bezahlen. Und dann wäre es absurd, den Wert wieder zu vernichten – dadurch, dass die Publikationen hinter eine Paywall gestellt werden. Wir wollen, dass die Bezahlschranke für den lesenden Zugriff fällt“, sagt Schimmer.
Wenn weltweit 60 bis 100 international renommierte Wissenschaftseinrichtungen an einem Strang zögen, könnte die Umstellung bis 2020 vollzogen sein, meint Schimmer.
„Verlage verschleiern ihre Interessen“
Dass inzwischen 2.000 Personen – auch aus der Wissenschaft – die Unterschriften-Kampagne „Publikationsfreiheit“ unterstützen, liegt nach Meinung von Schimmer daran, dass sie geschickt gemacht worden sei und die Interessen der Verlage verschleiere. Open Access sei keine Bedrohung, sondern ein Schutzmechanismus davor, dass Autoren in eine schwächere Position geraten als die Verlage. „Die Argumentation der Kampagne kann ich nicht nachvollziehen. Sie grenzt an Unredlichkeit“, so Schimmer.
Das Publikationswesen stamme aus dem 19. Jahrhundert. Die Digitalisierung sei ein epochaler Schritt. Auch beim Übergang zum Autozeitalter habe die Kutschenindustrie geklagt, dass sie arbeitslos würde. Tatsächlich hätten sich aber neue Marktchancen durch die neue Technik ergeben. Verleger, die heute ihr Geschäft bedroht sähen, erkennen zum Teil – seiner Ansicht nach – nicht die Perspektive neuer Geschäftsmodelle.
Wenn die ersten „Digital Natives“ in Führungspositionen in der Wissenschaft kommen werden, werde sich ohnehin ein Wandel vollziehen, weil sie andere Erwartungen hätten, so Schimmer. Jetzt sei dagegen noch der geordnete Übergang möglich – für Verlage ebenso wie für Bibliotheken.
Verleger: Teurer Publikationsprozess muss bezahlt werden
„Ich habe gegen Open Access überhaupt nichts einzuwenden – als zusätzliches Publikationsmodell. Wir wehren uns aber dagegen, dass Open Access zu einem Zwangsmodell wird“, betont Verleger Hauff. Auch Open-Access-Publikationen, egal ob sie von Verlagen oder wissenschaftlichen Fachgesellschaften oder Universitäten betreut werden, kosten Geld. „Der Publikationsprozess kostet Geld. Und die Menschen, die das machen, brauchen ein Gehalt, um ihre Familien zu ernähren“, so Hauff.
Es sei unrichtig zu behaupten, dass die Wissenschaft ohnehin die ganze Sache finanziere. Hauff: „Die Autoren erhalten zwar in aller Regel kein Honorar, auch nicht die Gutachter. Aber nicht, weil die Verlage zu geizig sind, sondern weil dies eine 300 Jahre alte Übereinkunft unter den Wissenschaftlern ist, ihre Arbeit wechselseitig zu begutachten als Dienst an der Wissenschaft und dafür kein Geld zu verlangen. Ansonsten wird der gesamte Publikationsprozess von den Verlagen bezahlt.“
Die Verlage steckten viel Geld in die Publikationen: die Beschäftigung der Herausgeber, deren Sekretariate, teure digitale Plattformen, um das Peer-Review-Verfahren zu organisieren, und vor allem das Publizieren über moderne elektronische Plattformen sowie auch das Marketing für die Beiträge. Der Thieme-Verleger bezweifelt, dass es um die Qualität der Publikationen besser bestellt wäre, wenn die Arbeit künftig von wissenschaftlichen Mitarbeitern an den Universitäten gemacht werden müsste – neben der Forschung und der Lehre.
Warum der Markt allein auf Publikationsgebühren umgestellt werden solle, sei nicht nachvollziehbar: „Wir leben in einem freien Land mit einem freien Markt. Warum sollen ein Subskriptionsmodell und ein Open-Access-Modell nicht miteinander in den Wettbewerb treten? Dann würde der Wettbewerb zeigen, was das bessere Modell ist“, meint Hauff.
Wissenschaftler wollten vor allem in einem Umfeld publizieren, wo sie von ihren Kollegen in einem ähnlichen Gebiet wahrgenommen werden. Sie wollten in Zeitschriften mit hohen Zitierquoten publizieren, vielmehr als in einer unbekannten Zeitschrift – gleich ob im Subskriptionsmodell oder im Open Access. „Vor allem Buchautoren wünschen sich auch individuelle Vergütung, die dem Markterfolg der Publikation entspricht. Sie wollen nicht mit einer billigen Pauschale abgespeist werden“, ergänzt Hauff.
Verschiebung der Finanzierung
Tatsächlich erleben wir gegenwärtig eine totale Verschiebung der Rollen von Autoren und deren Institutionen einerseits und Zeitschriften und Verlagen andererseits, betont Antes. Damit einher gehe eine notwendige Verschiebung der Finanzierung. „Salopp gesagt: Früher konnte der Arme nicht lesen, heute und in Zukunft kann der Arme nicht schreiben.“
Heute koste die Veröffentlichung in Open Access-Zeitschriften in der Größenordnung 1.500 bis 2.500 US-Dollar, die von den Autoren, deren Institutionen oder gesamten Universitäten (oder Großforschungseinrichtungen) aufgebracht werden müssen. Damit seien die Publikationen dann für jeden frei zugänglich – auch außerhalb des Wissenschaftsbetriebs, erklärt Antes.
Verstößt die Verhandlung mit Großverlagen gegen das Kartellrecht?
Mit dem Projekt Deal versucht die Hochschulrektorenkonferenz (HRK) im Auftrag der Allianz der deutschen Wissenschaftsorganisationen, neue Bedingungen mittels Nationallizenzen mit den großen Zeitschriftenverlagen Springer, Nature und Wiley zu verhandeln. Mit Elsevier kam es zu Unstimmigkeiten, deshalb gerieten die Verhandlungen ins Stocken (wie Medcape berichtete). Hintergrund sind gestiegene Preise der Zeitschriften, während die Etats an den wissenschaftlichen Bibliotheken mit diesen nicht mehr Schritt halten könnten, so die Begründung der HRK.
Ziel des Projekts ist der Abschluss von Verträgen für das gesamte elektronische Zeitschriftenportfolio der großen Wissenschaftsverlage für über 700 Einrichtungen, Universitäten, Hochschulen und Forschungseinrichtungen und Open-Access-Veröffentlichungen im Rahmen dieser Lizenz.
„Auch der Thieme Verlag wollte mit der HRK verhandeln, dies ist aber abgelehnt worden, weil wir zu klein seien“, berichtet Verleger Hauff. Er schätzt, dass künftig bis zu 80% des Budgets der Bibliotheken an die 3 großen Verlage gehen werde. Dann würden auch die Wissenschaftler künftig von ihren Institutionen aufgefordert werden, bei diesen großen Verlagen im Open Access zu veröffentlichen, weil dies dann mit der Nationallizenz abgedeckt wird und scheinbar kostenlos ist.
Hauff befürchtet dadurch eine Wettbewerbsverzerrung und Konzentration zu Lasten der mittelständischen und kleinen Verlage. Auch das Bundeskartellamt untersuche derzeit, ob hier ein Verstoß gegen das Kartellrecht vorliege.
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Diesen Artikel so zitieren: Befürworter und Gegner von Open Access in erbittertem Streit: „Unredliche“ Kampagne gegen Reform des Urheberrechts? - Medscape - 15. Feb 2017.
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