Der Lebensmittelzusatz E171 (Titandioxid) schädigt bei Ratten das Immunsystem und fördert präkanzeröse Läsionen. Das ist das Ergebnis einer Studie von Sarah Bettini vom Institut Toxalim der Universität Toulouse und ihren Kollegen, veröffentlicht in Scientific Reports [1]. E171 wird meist zum Färben von Überzügen von Süßigkeiten, Kaugummis und Dragees eingesetzt. Es wird auch angewendet, um Fertiggerichte weißer zu machen oder einzudicken und als Weißpigment in Arzneimitteln und Kosmetika.
Ein erster Warnhinweis
Nach oraler Gabe von Titandioxid-Partikeln hat der Lebensmittelzusatzstoff das Tumorwachstum im Darm von Ratten gefördert, berichten die Studienautoren. Allerdings „lassen sich die Studienergebnisse nicht ohne weiteres auf den Menschen übertragen“, schränkt Erstautorin Bettini ein, dennoch stellten sie einen ersten Warnhinweis für Behörden und Kunden dar.
Eine erbgutschädigende Wirkung von E171 sieht das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) dennoch als nicht bewiesen an: „Aus unserer Sicht ergeben sich aus der Studie von Bettini und Kollegen keine Belege für eine initiierende und gentoxische Wirkung“, kommentiert Jürgen Thier-Kundke, Sprecher des BfR die Studienergebnisse. Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit EFSA gelangte in ihrem Gutachten 2016 zu dem Schluss, dass für eine Verwendung von Titandioxid als Lebensmittelzusatzstoff keine Bedenken bezüglich der Gentoxizität bestehen.
Eine mögliche tumorfördernde Wirkung von Titandioxid-Partikeln wurde auch schon in einer 2016 veröffentlichten mexikanischen Studie thematisiert. Die Studienergebnisse wurden für das EFSA-Gutachten evaluiert, aber als nicht geeignet für die Risikobewertung beurteilt. „Die jetzigen Daten von Bettini liefern allenfalls Hinweise auf eine mögliche tumorpromovierende Wirkung von Titandioxid-Partikeln, die weiterführende Untersuchungen sinnvoll erscheinen lassen“, sagt Thier-Kundke.
Erstmals bewiesen: E171 durchbricht die Darmbarriere
Bettini und ihre Kollegen hatten die Toxizität von E171 in 2 Experimenten untersucht. In einem ersten Experiment wurde den Ratten eine tägliche orale Dosis von 10 mg/kg Körpergewicht verabreicht, eine Dosis, die der menschlichen lebensmittelbedingten Exposition vergleichbar ist. Die Forscher konnten zum ersten Mal beweisen, dass Titandioxid die Darmbarriere durchbricht bzw. die Nanopartikel ins Blut gelangen. Sie haben zudem beobachtet, dass sich die Substanz schädlich auf das Immunsystem auswirkt, einen Rückgang der T-Helferzellen verursacht und Darmentzündungen hervorruft.
In einem weiteren Experiment testeten die Forscher, ob und inwieweit die Langzeitgabe von E171 tumorfördernd ist. Wurden die Ratten dauerhaft dem Nahrungsergänzungsmittel ausgesetzt (über 100 Tage), entwickelten 40% von ihnen präneoplastische Läsionen. Nach einwöchiger Gabe war das nicht der Fall.
Studie war keine Risikoanalyse
Aus Sicht des BfR erlaubt der Aufbau des Experiments keine klare Aussage darüber, ob die beobachteten Effekte spezifisch für Nanopartikel sind oder ob auch Partikel anderer Größenordnung oder Materialbeschaffenheit vergleichbare Effekte hervorrufen könnten, meint Thier-Kundke.
Er macht noch auf einen weiteren Aspekt aufmerksam: „Die Studie entspricht in ihrem Aufbau nicht den in den einschlägigen OECD-Guidelines festgelegten regulatorischen Anforderungen. Das erschwert die Verwendung der daraus gewonnenen Daten für die Risikobewertung.“ Er fügt hinzu: „Beachten muss man auch, dass die Titandioxid-Partikel in der Studie mit Ultraschall in Wasser dispergiert wurden. Das ist nicht direkt mit der Verwendung von Titandioxid als Lebensmittelzusatzstoff vergleichbar. Zudem wurden die Parameter der Ultraschallbehandlung – also Dauer und Intensität – nicht beschrieben.“
Zwar konnte die Studie von Bettini im EFSA-Gutachten aufgrund des Erscheinungsdatums noch nicht berücksichtigt werden: „Nach unserer Kenntnis liegt die Studie der EFSA aber vor. Insofern ist zu erwarten, dass mögliche Konsequenzen für die Risikobewertung einer Verwendung von Titandioxid als Lebensmittelzusatzstoff ggf. auch von der EFSA in Betracht gezogen werden“, fügt Thier-Kundke hinzu.
Bettini und ihre Kollegen betonen, dass es sich bei ihrer Arbeit nicht um eine Risikoanalyse, sondern um eine akademische Studie handele mit dem Ziel, neue Daten zu gewinnen. Nach der Veröffentlichung der Ergebnisse in einem Artikel in Le Monde hat die französische Regierung die Agentur für Lebensmittelsicherheit, Umweltschutz und Arbeitsschutz (ANSES) mit der Ermittlung des Gefahrenpotentials von Titandioxid für die menschliche Ernährung beauftragt. Der Bericht der ANSES über diese Gefahren der Nanomaterialien soll Ende März vorliegen.
REFERENZEN:
1. Bettini S, et al: Sci Rep (online) 20. Januar 2017
Medscape Nachrichten © 2017 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: Titandioxid als häufiger Zusatz in Lebensmitteln und Kosmetika: Präkanzerosen und Immunschäden bei Ratten - Medscape - 15. Feb 2017.
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