10 Dinge, die man nicht tun sollte, wenn man mit einem Krebspatienten spricht

Dr. Catherine Desmoulins

Interessenkonflikte

14. Februar 2017

Kopenhagen – Der Krebspatient ist kein Patient wie jeder andere. Konfrontiert mit dem Schreckgespenst einer Erkrankung mit sehr unsicherer Prognose, können die Qualität des Arztgesprächs und das Verhalten seines Therapeuten auch großen Einfluss auf seine Erkrankung und deren Symptomatik haben.

Was es bei solchen Gesprächen zu beachten gilt, fasste der Psychiater Prof. Dr. Luca Ostacoli, Universität von Turin, Italien, bei einem Symposium unter dem Titel „Die 10 Dinge, die man nicht sagen sollte, wenn man mit einem Krebspatienten spricht“ auf dem letzten Europäischen Krebskongress, ESMO 2016, zusammen [1].

„Seit 20 Jahren bin ich Zeuge der Folgen schlechter Kommunikation zwischen Ärzten und Krebspatienten. Ich ermutige alle Onkologen ausdrücklich, sich für eine bessere Kommunikation mit diesen Patienten weiterzubilden“, sagte Ostacoli – und wies darauf hin, dass unter den 200 Ärzten, die er bereits in dieser Hinsicht unterrichtet und beraten hat, sich nur 5 Onkologen befanden.

Der Körper und die innere Gefühlswelt

 
Ich ermutige alle Onkologen ausdrücklich, sich für eine bessere Kommunikation mit diesen Patienten weiterzubilden. Prof. Dr. Luca Ostacoli
 

Einleitend erinnerte der Psychiater an das Informationsgefälle zwischen Arzt und Patient. Der Therapeut dürfe nicht beim Sichtbaren, Tastbaren, Quantifizierbaren und im Körperlichen verharren, vielmehr müsse er in der onkologischen Sprechstunde auch die „innere Welt“ des Patienten berühren, vor allem dessen Ängste. Die Gefühle des Patienten „außen vor“ zu lassen, wäre ein Fehler, bekräftigte Ostacoli.

„Fragen Sie den Patienten, wovor er Angst hat – oder vielmehr: wovor er die meiste Angst hat, welchem Problem er die oberste Priorität gibt. Man ist von den Antworten oftmals überrascht“, rät er.

Als Beispiele häufig genannter Ängste listete er:

  • die Sorge, sich den kommenden Schwierigkeiten nicht mit klarem Bewusstsein stellen zu können,

  • seine Würde zu verlieren,

  • allein zu bleiben,

  • selbst vom Onkologen verlassen zu werden (denn dieser bleibt ja nur so lange beim Patienten, wie er ihn noch behandeln kann) sowie

  • die Furcht vor Leiden.

Eine 2. wichtige Frage in der onkologischen Sprechstunde sei: „Was wollen wir überhaupt behandeln?“ Denn die Behandlung solle immer auch die Ängste des Patienten mit berücksichtigen. „Beruhigen Sie die Phantasie des Patienten, so dass er nicht stärker unter seinen Gedanken als unter der Krankheit selbst zu leiden hat“, empfiehlt Ostacoli ganz im Sinne von Friedrich Nietzsche.

10 Dinge sollte man nach Ostacoli als Onkologe im Patientengespräch vermeiden – und stattdessen folgende Tipps beherzigen.

1. Seien Sie nicht unaufmerksam

Der Rahmen des Treffens zwischen Onkologe und Patient ist festgeschrieben. Ostacoli sprach von der „zugewandten oder ‚heiligen‘ Minute“, der ersten Minute der Konsultation, in der der Patient den Eindruck bekommen muss, in diesem Moment der Mittelpunkt der Welt zu sein. Der Patient sollte im Zentrum des Aufmerksamkeit des Arztes stehen: keine Telefonanrufe, flüchtige Blicke auf den Computerbildschirm, keine hereinkommenden Mitarbeiter. „Widmen Sie dem Patienten alle Zeit, die dieser braucht.“

 
Fragen Sie den Patienten, wovor er Angst hat – oder vielmehr: wovor er die meiste Angst hat. Prof. Dr. Luca Ostacoli
 

Denn: Gewinnt der Patient den Eindruck, dass er nicht die nötige Aufmerksamkeit bekommt, dann wird er seine Fragen, etwa zu Symptomen und Nebenwirkungen, mehrfach wiederholen – das Treffen gewissermaßen vervielfachen. Es geht aber nicht um die Dauer, sondern um die Qualität der Kommunikation. Der Arzt muss in ein Zwiegespräch mit der äußeren und inneren Welt des Patienten treten, der gerade vor ihm sitzt und sich um seine Zukunft sorgt.

Bei diesem Treffen zähle nur die Qualität des Dialogs, alles andere ist unwichtig. Denn man könne auch eine ganze Stunde mit einem Patienten verbringen und dabei doch nichts erreichen, wenn man sein Inneres nicht berühre.

Ostacoli räumt ein, dass dies nicht immer so ideal läuft. Die Ärzte teilt er „ganz grob“ in 3 Gruppen ein:

  • Diejenigen, die sich um die Kranken kümmern (für sie sorgen);

  • diejenigen, die sich keine Sorgen machen (sorglos sind)

  • und schließlich diejenigen, die ausweichend reagieren, nach dem Motto „Ich möchte ja gern, aber ich kann nicht.“

2. Wenn Sie etwas gesagt haben, heißt dies noch nicht, die Botschaft ist auch angekommen

Ostacoli betont: „Bedenken Sie: Es gibt einen Unterschied zwischen

  • dem, was Sie glauben, gesagt zu haben,

  • dem, was Sie tatsächlich gesagt haben,

  • dem, was Ihr Gegenüber, der Patient, verstanden hat,

  • dem, was er davon behalten hat, und

  • dem, was er anderen in seinem Umfeld weitererzählen wird.“

Man sollte nur das sagen, was die Person gegenüber auch verstehen kann, betont er. 50% der Patienten, die das Sprechzimmer des Onkologen verlassen, berichten, dass sie keine – oder nicht genug – Informationen erhalten hätten. Deshalb ist es wichtig, bei der nachfolgenden Konsultation zu eruieren, was beim Patienten hängengeblieben ist.

In einer emotional berührenden Unterhaltung ist es laut Ostacoli zu 55% das Auftreten des Arztes, das dem Patienten in Erinnerung bleibt. 38% seiner Erinnerung macht seine Stimme aus – und nur 7% der Inhalt der Ausführungen.

„Man darf aber nicht glauben, dass sich der Patient gegen die Botschaft sperrt – das war noch bei keinem meiner Krebspatienten so“, stellt er klar. „In all den Jahren ist mir kein Krebspatient begegnet, der sich der Wahrheit verweigert hätte. Vielleicht sagt mancher die Dinge in anderen Worten, aber er verweigert sich nicht.”

3. Machen Sie den Patienten keine falschen Hoffnungen

Die Arbeiten von Calman mit Krebskranken haben zu der Hypothese geführt, die Lebensqualität in der Onkologie sei der Raum zwischen den Erwartungen und der harten Realität. Der Körper spricht mit dem Patienten, und er hat immer „recht“. Dazu Ostacoli: „Wenn wir den Patienten falsche Hoffnungen machen, wird dieser anfangs den Eindruck haben, alles wird besser, nur damit anschließend der Körper ‚spricht‘ – etwa durch Symptome – und umso mehr Angst hervorbringt.“

Natürlich müsse man sich um Gesprächskultur bemühen; der Arzt sollte sich dem Patienten gegenüber nicht unnötig grob und gefühllos ausdrücken. Aber dem Kranken auf sachliche Art die Wahrheit über die Diagnose zu sagen, erlaubt diesem, sie zu akzeptieren und mit seinem Körper im Einklang zu bleiben.

Wenn man aber falsche Beruhigung vermeiden will – wie geht man dann mit der Angst um? „Selbstorganisation und die Wahrnehmung der Selbstwirksamkeit sind gute Mittel im Kampf gegen die Angst“, antwortet Ostacoli auf diese Frage. „Und sie helfen auch gegen das Gefühl von Traurigkeit. Und wer dann immer noch unsicher ist, sollte versuchen, seinen Blick auf das Leben zu erweitern; die Krankheit als Teil und natürlichen Prozess im Lebensverlauf zu betrachten.“

 
Gefühle sind Ressourcen und nicht etwa Schwächen. Prof. Dr. Luca Ostacoli
 

4. Haben Sie keine Angst vor Emotionen

„Gefühle sind Ressourcen und nicht etwa Schwächen”, ergänzt der Psychiater. Betrachte man die Traurigkeit aus einem solchen anderen Blickwinkel, könne man auf einen Schlag 70% der Depressionspatienten aus ihrer Depression herausholen, meint er.

„Wenn Sie in Ihrer Sprechstunde mit Gefühlen konfrontiert werden, dann reagieren Sie nicht sofort. Nehmen Sie sich 10 Sekunden, in denen Sie gar nichts tun. Das zeigt nebenbei dem Patienten, dass Sie ihn nicht verlassen werden”, rät er und verspricht: „Sie sind nicht allein mit dem Patienten, das gesamte Gesundheits- und Pflegesystem steht hinter Ihnen. Mit dieser Strategie bewahren Sie sich vor dem Burnout.”

5. Blicken Sie bei den Symptomen über den Tellerrand

Symptome sind mehr als die Symptomatik allein. Ein Hauptsymptom bei Krebserkrankungen ist z.B. die Asthenie (und nicht etwa Leiden und Schmerz). Die „Kraftlosigkeit“ trägt zur fortschreitenden „Abspaltung“  der Krankheit bei, zur Differenzierung, was wirklich wichtig ist und was nur „Beiwerk“ – dies hilft dem Patienten, besser für sich selbst zu sorgen. Es ist ein Symptom mit mehreren Gesichtern: Der Patient wird mehr Wert auf seinen engen Beziehungen legen, seine Außenaktivitäten aber reduzieren, und er wird nach einem Sinn in seinem Leben suchen.

Ähnlich sei es mit dem Appetitverlust, erklärt Ostacoli und mahnt: „Bedrängen Sie die Kranken nicht mit Aufforderungen wie ‚Sie müssen essen!‘ Denn der Mangel an Appetit hat ganz unterschiedliche Ursachen.“

6. Bürden Sie nicht die schwerste Verantwortung dem Schwächsten auf

Wer ist am zerbrechlichsten, der Patient oder seine Angehörigen? Die Angehörigen denken und fühlen wie Gesunde, erinnerte Ostacoli. Sie spüren nicht die Symptome und sie werden nicht durch die Krankheit dazu getrieben, den Sinn des Lebens zu hinterfragen.

 
Der Stärkste ist der Patient selbst. Prof. Dr. Luca Ostacoli
 

Trotzdem: „Legen Sie nicht die ganze Last auf das nächste Umfeld der Patienten, denn sie sind die Schwächsten“, fordert er. Es drohen Überlastung und Brüche, denn die nächsten Angehörigen und Freunde fühlen sich dem Krebskranken verpflichtet und nicht frei darin, mit anderen über das Erlebte zu sprechen. Doch haben die Angehörigen ja auch noch ihr eigenes, „externes Leben mit Verpflichtungen und Plänen.“ Ostacoli hält Selbsthilfegruppen für besser geeignet, in denen sich Kranke gegenseitig stützen, ohne die Verwandten zu stark zu beteiligen.

Patienten und Angehörige sollten die gleichen Informationen erhalten. Es sei falsch, Patienten von belastendem Wissen auszuschließen. „Den Erfolg dieser Strategie kann ich schon seit 20 Jahren beobachten. Denn der Stärkste ist der Patient selbst.“

7. Sprechen Sie nicht über Prozentzahlen oder Zeitverläufe

„Je mehr Zukunftsprognosen Sie stellen, desto mehr konfrontieren Sie die Person mit ihren Ängsten; die Vorstellungskraft sieht immer sofort das Schlimmste”, so der Psychiater.

„Konzentrieren Sie sich bei jeder Konsultation auf das, was Sie heute für den Patienten tun können; machen Sie einen Schritt nach dem anderen.” Krebs sei nichts anderes als eine Krankheit mit Symptomen.

 
Denken Sie nicht ausschließlich an die Kranken; holen Sie sich vielmehr Ihre eigene Lebensfreude zurück! Prof. Dr. Luca Ostacoli
 

8. Gehen Sie auf Kritik der Patienten nicht zu sehr ein

„Wenn Sie es mit Anfeindungen von Patienten oder ihren Familien zu tun bekommen: Hüten Sie sich vor dem Teufelskreis der Aggressivität”, so Ostacoli weiter. Fühlt sich der Patient nicht gut genug behandelt, macht er eventuell seinen Onkologen dafür verantwortlich, der dies als ungerecht empfindet, weil er sein Bestes getan hat – und der Onkologe versucht dann, den Angriff abzuwehren – auf den Patienten. Das sollte nicht passieren.

Diese Art von spiegelbildlicher Kommunikation kann mit Hilfe bestimmter Techniken vermieden werden:

  • Atmen Sie tief, anstatt zu reagieren.

  • Antworten Sie: „Ich habe es so verstanden, dass…“

  • Ziehen Sie andere Lösungen in Betracht, bei denen sich der Patient und/oder seine Familie schon beim ersten Austausch der Argumente verstanden fühlen.

  • Bringen Sie Ihre eigene Sicht der Dinge in aller Ruhe vor.

  • Geben Sie in wohlwollenden Worten einen einfachen medizinischen Grund für Ihr Handeln an.

9. Fühlen Sie sich nicht schuldig, wenn Sie den Patienten nicht heilen können

Unabhängig von einer eventuellen Heilung bietet die Onkologie eine einzigartige Unterstützung für den Patienten und die Reflektion seines eigenen Lebens, betonte Ostacoli und bekräftigte nochmals: „Die Onkologie ist ein Begleiter.“

10. Vergessen Sie Ihr eigenes Leben nicht!

„Kümmern Sie sich um sich selbst und Ihre Lieben, pflegen Sie ihr Sozialleben und ihre Hobbys und Interessen“, empfahl der Psychiater abschließend. „Leben Sie gesund! Das erste Zeichen eines Burnout ist das Herunterfahren der Quellen Ihrer Freude im Leben. Denken Sie nicht ausschließlich an die Kranken; holen Sie sich vielmehr Ihre eigene Lebensfreude zurück!“


Dieser Artikel wurde von Simone Reisdorf aus francais.medscape.com übersetzt und adaptiert.

 

REFERENZEN:

1. Kongress der European Society for Medical Oncology (ESMO), 7. bis 11. Oktober 2016, Kopenhagen/Dänemark

 

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