Dass Feinstaub leicht eingeatmet, aber kaum abgebaut werden kann und deshalb Schleimhaut- und Atemwegsentzündungen sowie Herz-Kreislauf-Erkrankungen fördert, ist schon länger bekannt. Forscher des Helmholtz Zentrums München fanden nun Hinweise darauf, dass Feinstaub noch weiteren Schaden anrichten könnte: Zumindest in Zellkultur- und Tierversuchen induzierte die Feinstaubprovokation eine Aktivierung „ruhender“ Viren in Lungengewebe. Und solche inaktiven Virusinfektionen kommen nicht selten vor. Die Daten wurden im Fachjournal Particle and Fibre Toxycology publiziert [1].
„Wir konnten den grundsätzlichen Zusammenhang zwischen Feinstaubexposition und Virusreaktivierung nachweisen, das hatten wir nicht erwartet“, betont Prof. Dr. Heiko Adler, Helmholtz Zentrum München, im Gespräch mit Medscape. Gemeinsam mit Dr. Tobias Stöger und Prof. Dr. Philippe Schmitt-Kopplin war er maßgeblich an der Studie beteiligt. „Ob diese Ergebnisse auch auf den Menschen übertragbar sind und welche Konsequenzen das haben könnte, lässt sich aufgrund unserer Daten aber noch nicht sagen“, stellt Adler klar.
Feinstaub und EBV-Viren sind allgegenwärtig Bis zu 35 Tage im Jahr wird in den meisten deutschen Städten der Grenzwert für Feinstaub der Partikelgröße bis 10 Mikrometer überschritten. Nur 85 der 374 Messstationen (23%) haben im Jahr 2015 weniger als 4 Tage mit Grenzwertüberschreitung gemeldet, dies belegen Daten des Umweltbundesamtes. Quelle der winzigen kohlenstoffhaltigen Partikel sind vor allem Verbrennungsmotoren aus Industrie und Landwirtschaft, Energiegewinnung und Straßenverkehr. Feinstaub ist praktisch allgegenwärtig. Allgegenwärtig sind auch die von den Forschern des Münchner Helmholtz Zentrums untersuchten Viren: Eine frühere Studie hatte bereits gezeigt, wie sich Epstein-Barr-Viren (EBV) aus der Familie der Herpesviren in Zellen verstecken und sich dem Zugriff des Immunsystems entziehen können. Fast jeder ist von EBV infiziert. Das Virus findet sich bei 95 bis 98% der Menschen ab 40 Jahren. Nur wenige haben bei ihrer Erstinfektion ein Pfeiffersches Drüsenfieber erlebt, bei den meisten blieb die Ansteckung unerkannt. So oder so bleiben die Viren lebenslang im Organismus. |
Studiendesign: Zellkulturen und Mäuse mit Feinstaub provoziert
In der aktuellen Studie des Helmholtz Zentrums wurde handelsüblicher Industrieruß mit Dieselruß-ähnlichen Kohlenstoffkernen als Feinstaub verwendet. Mit einem mittleren Agglomeratdurchmesser von etwa 0,3 µm war dieser besonders fein und erfüllte teilweise die Kriterien für ultrafeine Partikel (< 0,1 µm).
Der Feinstaub wurde in einer Konzentration von 50 µg/ml auf Kulturen muriner Zellen gegeben, die mit einem EBV-ähnlichen, nicht humanspezifischen Virus infiziert waren, dem murinen Gammaherpesvirus 68.
Außerdem applizierten die Forscher eine Feinstaubsuspension in die Trachea von Mäusen, die ebenfalls mit einem EBV-ähnlichen Virus infiziert waren. Schließlich wurden EBV-infizierte menschliche Zellen – in Zellkulturen – mit Feinstaub provoziert und dann untersucht.
Als Grund für die Verabreichung des Feinstaubs in flüssiger Suspension nennt Adler praktische Erwägungen: „Das ist eine Standardmethode in der Grundlagenforschung. So lässt sich die Dosis besonders gut kontrollieren.“ Die Dosis war in der Studie übrigens sehr hoch: Wenn man versuchen würde, die Exposition der Labortiere auf den Menschen zu übertragen, so entspräche dies etwa der über eine Woche akkumulierten Dosis bei maximaler Arbeitsplatzkonzentration für Kohlenstoffteilchen.
Reaktivierung der Viren durch Feinstaub
Nach der Feinstaubexposition wurde in den murinen und humanen Zellkulturen eine Zunahme der Virusproduktion festgestellt. Im Lungengewebe der Mäuse wurden darüber hinaus Virusproteine gefunden, die nicht zu einer latenten Infektion passten, sondern nur zur aktiven, „lytischen“ Phase der Virusvermehrung, wie Adler berichtet. Außerdem fanden sich Stoffwechselprodukte, wie sie bei einer akuten Viruserkrankung vorkommen.
Nach Meinung der Münchener Wissenschaftler wirkt Feinstaub als „Second Hit“ und stört das empfindliche Gleichgewicht zwischen den Viren und den Abwehr- sowie Stoffwechselvorgängen in der Wirtszelle. Dadurch gewinnen die Viren die Oberhand.
Auf die Frage von Medscape ob – und vor allem wie oft – auch bei Menschen ein Zusammentreffen von EBV oder EBV-ähnlichen Viren und Feinstaub in der Lunge zum „Wiedererwachen“ der Viren führen könnte, antwortet Adler: „Für allgemeingültige Schlüsse ist es noch viel zu früh. Es ist aber durchaus vorstellbar, dass Personen mit Vorschädigungen der Lunge, etwa mit Asthma, COPD oder idiopathischer Lungenfibrose, besonders anfällig für eine solche Viruserkrankung sind. Ähnliches gilt wohl für Menschen mit einem ineffizienten oder supprimierten Immunsystem.“
Genaue Wirkmechanismen und Langzeitwirkung noch unklar
Vieles bleibt noch zu tun. So soll laut Adler in weitergehenden Untersuchungen zunächst der mechanistische Zusammenhang genauer beleuchtet werden, sprich der molekulare Prozess, der dem Ganzen zugrunde liegt: „Wir wissen noch nicht, was unter Feinstaubeinfluss in den Zellen genau passiert, welche Signalwege die Partikel dort auslösen.“
Zudem sollen die Labormäuse künftig nicht nur einmal, sondern gleich mehrfach mit Feinstaub provoziert werden, entweder erneut mit wässrigen Instillationen oder auch über die Atemluft: „Wir möchten herausfinden, ob durch Mehrfachexposition eine chronische Entzündung oder gar eine Lungenerkrankung in den Atemwegen der Tiere entsteht“, so der Münchener Forscher.
Langfristig wäre sicherlich die Entwicklung von Präventionsalgorithmen, Impfungen oder Medikamenten wünschenswert, um eine Virusreaktivierung bei suszeptiblen Menschen von vorneherein zu verhindern. „So weit sind wir aber noch lange nicht“, relativiert Adler. „Wir hoffen jedoch, dass sich andere Forschergruppen deutschland- und weltweit für diese Frage interessieren und sich an den Untersuchungen beteiligen.“
REFERENZEN:
1. Sattler C, et al: Part Fibre Toxicol. 2017;14(1):2
Medscape Nachrichten © 2017 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: Feinstaub weckt „schlafende“ Viren in menschlichen Zelllinien und in der Lunge von Mäusen – wer ist potentiell gefährdet? - Medscape - 3. Feb 2017.
Kommentar