Neue EU-Verordnung für Medizinprodukte: Mehr Überwachung und mehr Bürokratie – bedeutet das auch mehr Sicherheit?

Michael van den Heuvel

Interessenkonflikte

1. Februar 2017

Mitte 2017 tritt die europaweit geltende Medical Device Regulation (MDR) in Kraft. Sie ergänzt bisherige Regelungen, allen voran das Medizinproduktegesetz (MPG) beziehungsweise die Implantate-Richtlinien 93/42 und 90/385 [1].

Künftig sollen Medizinprodukte nach deren Markteinführung besser überwacht werden. Das Regelwerk sieht auch vor, dass sich benannte Stellen – das sind Institutionen zur Bewertung und Prüfung von Medizinprodukten – neu akkreditieren.

„Aufgrund des Brustimplantate-Skandals ist der Druck auf den Gesetzgeber und auf die Europäische Kommission gewachsen, Medizinprodukte stärker zu regulieren und zu kontrollieren“, sagt Dr. Volker Lücker zu Medscape. Er ist Fachanwalt für Medizinrecht aus Essen. Seine Bewertung: „Um ehrlich zu sein, rechne ich nicht mit einem großen Gewinn an Sicherheit.“

Die Verordnung orientiere sich stark am französischen Brustimplantate-Skandal. Hier verwendete der Anbieter von Brustimplantaten statt der offiziell zugelassenen Silikonmasse billige, minderwertige Füllmaterialien. Eine Problematik, die sich kaum auf Stents oder Hüftgelenksimplantate übertragen lasse. „Es wird versucht, über einzelne Vorgaben zu vermeiden, dass sich genau dieser Skandal wiederholt“, so Lücker. Die Vielschichtigkeit der Medizinprodukte-Industrie werde jedoch nicht abgebildet. Einheitliche Regeln ließen sich nur schwer auf unterschiedliche Produkte anwenden. Im Gegenzug rechnet der Experte mit „mehr regulatorischem und mehr finanziellem Aufwand für Hersteller.“

 
Um ehrlich zu sein, rechne ich nicht mit einem großen Gewinn an Sicherheit. Dr. Volker Lücker
 

Expertengruppe begleitet problematische Medizinprodukte

Die wichtigsten Änderungen: Künftig soll eine Expertengruppe bei Hochrisiko-Medizinprodukten intervenieren, falls der Verdacht auf Defizite besteht. „Nach meinem Kenntnisstand nehmen an diesem sogenannten Scrutiny-Verfahren Vertreter der EU-Kommission und noch von der Kommission zu benennende Experten teil“, erklärt Lücker. „Scrutiny“ steht hier für die Überprüfung eines Produkts durch unabhängige Fachleute.

Der Fachanwalt verweist auf die Medical Device Coordination Group (MDCG). In diesem Gremium sitzt je ein Vertreter der 28 Mitgliedsstaaten. Beschlüsse werden mehrheitlich gefasst. Jeder Staat kann eigene Experten in sogenannte Subgruppen entsenden. Das können Behördenvertreter sein, aber auch Unternehmensvertreter oder Vertreter wissenschaftlicher Institutionen.

Benannte Stellen: Mehr Qualifikation bei den Auditoren

Außerdem verpflichtet die EU-Kommission alle staatlich anerkannten Unternehmen, die als benannte Stellen Medizinprodukte-Hersteller kontrollieren, sich erneut zu zertifizieren. Lücker: „Es wird einen neuen Anforderungskatalog geben, was diese Stellen an sachlicher, personeller und organisatorischer Qualifikation mitzubringen haben.“

 
Neu ist, dass Bewertungsberichte von Firmen von der benannten Stelle überprüft werden. Dr. Volker Lücker
 

Als wesentliche Kriterien nennt er, dass die Qualifikation von Auditoren und Gutachtern künftig deutlich besser zum Produkt passen muss, das sie begutachten. „Man kann nicht mit einem Allgemeinmediziner alle Produkte bewerten. Je nach Produktart muss die benannte Stelle zum Beispiel über einen Orthopäden oder Kardiologen verfügen.“

Künftig darf es auch keine personelle Kontinuität bei den Auditoren geben. „Spätestens nach 2 oder 3 Jahren muss das Team ausgewechselt werden“, erklärt der Experte. „Man kann sich gut vorstellen, auf welchen Personalpool benannte Stellen künftig zurückgreifen müssen.“

Mehr Kontrolle nach Markteinführung

Gleichzeitig verpflichtet die neue Medizinprodukte-Verordnung Hersteller, Daten auch nach der Markteinführung zu sammeln, zu speichern und auszuwerten. Lücker: „Neu ist, dass Bewertungsberichte der Firmen von der benannten Stelle überprüft werden.“

Nur die Klasse I sei hiervon ausgenommen. In diese Einteilung fallen Produkte ohne methodische Risiken, mit geringem Invasivitätsgrad sowie ohne nennenswerten Hautkontakt, etwa Rollstühle.

Deutlich kritischer sind Produkte der Klasse IIa (Einmalspritzen, Trachealtuben, u.a.), IIb (Anästhesiegeräte, Defibrillatoren, u.a.) sowie III (Brustimplantate, Stents, u.a.) einzuordnen.

Auszüge aus den Bewertungen sind in die Europäische Datenbank für Medizinprodukte (Eudamed) hochzuladen. Diese Datenbank wird von der Europäischen Kommission eingerichtet und gepflegt. „Es soll dabei einen öffentlichen und einen behördeninternen Teil geben“, sagt Lücker.

 
Für unser Gesundheitssystem bedeutet das eine radikale Preissteigerung. Dr. Volker Lücker
 

Auch die Unique Device Identification (UDI), eine individuelle Kennzeichnung jedes Medizinprodukts, wird in Eudamed hinterlegt. Die Nummer soll Ärzten dabei helfen, fehlerhafte Produkte zu identifizieren und zurückzuverfolgen. „Nach meinem Kenntnisstand wird das im öffentlichen Teil der Datenbank zu finden sein“, erklärt der Experte.

Weniger Innovation, höhere Kosten

Lückers Resümee: „Eine ganze Reihe einfacher Medizinprodukte wird es nicht mehr geben, weil sie für Unternehmen wirtschaftlich nicht mehr rentabel sein werden.“ Er ergänzt: „Das Produktportfolio wird schrumpfen, und wir werden eine Verlangsamung der Innovation im medizintechnischen Bereich haben.“

Gleichzeitig erwartet Lücker, dass sich der Markt stärker als bislang auf wenige Global Player konzentriert. „Für unser Gesundheitssystem bedeutet das eine radikale Preissteigerung.“

 

REFERENZEN:

1. Pressemitteilung der TÜV Nord Group, 20. Januar 2017

 

Kommentar

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