Berlin – Open Access, also der freie Zugriff auf die wissenschaftliche Literatur, ist der große Trend. Er birgt jedoch neben zahlreichen Chancen auch viele Risiken. Dieses Fazit zogen Experten bei der Konferenz Academic Publishing in Europe (APE) 2017 [1]. Sie mahnen nicht nur ethische Standards an. Sie warnen auch vor fehlenden Qualitätsstandards wie beim „predatory open access publishing“ gegen Gebühr, aber ohne Prüfprozesse.
Gerade Kollegen aus der Praxis ohne akademische Anbindung fehlt der Zugriff auf wissenschaftliche Originalquellen. Etliche Institutionen unterstützen deshalb die Initiative „Open Access 2020“. Auf der Konferenz ging es hier vor allem um die möglichen Folgen für die Qualität der Publikationen: Denn neben Verlagen mit langjähriger Tradition versuchen neue Anbieter auf dem wachsenden Markt von Open Access Fuß zu fassen. Nicht alle orientieren sich an etablierten Maßstäben der Qualitätssicherung wie dem Peer-Review-Verfahren. Bereits heute gibt es Unternehmen, die „predatory open access publishing“ anbieten, also Veröffentlichungen gegen Gebühr, aber ohne sonstige Begutachtungsprozesse.
Open-Access-Anbieter und Qualitätsmaßstäbe
Ralf Schimmer, stellvertretender Leiter der Max Planck Digital Library (MPDL) in München, befürwortet Open Access. Auf der Konferenz sprach er von einem „Endspiel“ und erklärte, mit „Open Access 2020“ wolle man das Abonnement-Publishing innerhalb von 4 Jahren auslöschen und durch ein Open-Access-Modell ersetzen. Denn das etablierte Publikationsmodell zeige „Symptome eines sich verschlechternden Systems“. Ziel sei es, „die Nacktheit des Abo-Systems“, dessen „Tage sichtbar vorbei“ seien, aufzudecken.
Letztlich würde dann nur noch die wissenschaftliche Community informell über Qualitätsstandards wachen – eine Tatsache, die auch Wissenschaftspolitikern nicht verborgen bleibt.

Prof. Dr. Johanna Wanka
Foto: Presse- und Informationsamt der Bundesregierung / Steffen Kugler
„Nachhaltigkeit, Langzeitverfügbarkeit und hohe Qualitätsstandards von Publikationen sollen in Zukunft weiterhin das wissenschaftliche Publizieren prägen“, forderte Prof. Dr. Johanna Wanka (CDU), Bundesministerin für Bildung und Forschung (BMBF), im Rahmen der APE 2017. Die Bundesregierung wolle mit ihrer digitalen Agenda die Rahmenbedingungen für einen ungehinderten Wissensfluss in der Wissenschaft verbessern. „Ein zentraler Baustein ist der freie Zugang zu wissenschaftlichen Publikationen über das Internet“, so Wanka. „Diesen freien Zugang wird das BMBF mit seiner Open-Access-Strategie stärken.“ Die Ministerin setzt auf Initiativen, die aus der Wissenschaft selbst kommen.
STM-Verlage veröffentlichen „Berliner Erklärung“
Richard Horton, Chefredakteur des Lancet, hat im Namen der STM-Verlage (Science, Technology, Medicine) zur APE 2017 die „Berliner Erklärung“ veröffentlicht. „Die Funktionen von Zeitschriften, nämlich Zertifizierung, Archivierung, Verbreitung und Navigation, bleiben für die Wissenschaft von zentraler Bedeutung“, schreibt er in einem Kommentar zur Erklärung.
Dazu heißt es in der Berliner Erklärung: „Wir glauben, dass die Aufgabe des wissenschaftlichen Publizierens über die Verbreitung hinausgeht.“ STM-Verlage verpflichten sich, die Prinzipien und Werte unserer Gesellschaft zu unterstützen. Explizit nennen sie die Meinungsfreiheit, die Gerechtigkeit und die Gleichheit, aber auch die Zusammenarbeit verschiedener Nationen.
Gemeinsam wollen sie den gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Wert des Wissens – von der Schaffung über die Erschließung und den Zugang bis hin zur Anwendung – verbessern. Im Dokument ist auch von „neuen Messmethoden“ die Rede, um den Erfolg zu beurteilen. Dies kann als Hinweis auf die häufig kritisierten Impact Factors wissenschaftlicher Zeitschriften verstanden werden. Abschließend verpflichten sich die Unterzeichner, das Vertrauensverhältnis zwischen Wissenschaft und Gesellschaft zu stärken.
DEAL vorerst „geplatzt“
Große Worte, die sich in der Praxis nur teilweise umsetzen lassen. Verlage brauchen neue Möglichkeiten der Wertschöpfung. Bei der APE 2017 wurde klar, dass es noch nicht allen Häusern gelungen ist, Alternativen zum Subskriptionsmodell zu entwickeln. Ärzte und Forscher sollen uneingeschränkten Zugriff auf Artikel bekommen. Im Umkehrschluss benötigen Institute ein höheres Budget, um selbst zu veröffentlichen. Die Kosten werden von den Bibliotheken auf die Wissenschaftler umgewälzt – ein schwieriges Unterfangen, wie sich in der Praxis zeigt.
Erst im August hatte Prof. Dr. Horst Hippler, Präsident der Hochschulrektorenkonferenz (HRK), große Hoffnungen gehegt. Im Rahmen von DEAL wollte er Angebote großer Wissenschaftsverlage bundesweit lizensieren. „Ich bin überzeugt, dass wir jetzt eine große Chance haben, hier gemeinsam deutlich bessere Bedingungen zu erreichen“, sagte Hippler. Anfang August begannen die Verhandlungen mit Elsevier. Spätestens zum 1. Januar 2017 sollte es eine tragfähige Regelung geben, doch die Gespräche scheiterten.
Als Grund nennt Elsevier die Komplexität des Unterfangens. Bei DEAL sollten weitaus mehr Einrichtungen mit ins Boot genommen werden. „Als weltweit drittgrößter Open-Access-Verleger unterstützt Elsevier die Open-Access-Bemühungen der Deutschen Bundesregierung“, schreibt der Verlag. „Im Zuge dessen hat Elsevier der HRK-Vorschläge für einen Weg hin zu einem Veröffentlichungssystem unter dem Open-Access-Modell in Deutschland unterbreitet.“
Gleichzeitig widersprach man Vorwürfen der Branche: „Wir sind über die Anschuldigung überrascht, wir würden Wissenschaftsorganisationen damit drohen, ihren Zugang abzuschalten. Vielmehr waren es diese Institutionen selbst, die uns über ihre Absicht informiert haben – basierend auf der Annahme, dass eine Nationallizenz bis Ende des Jahres 2016 erzielt würde – ihre auslaufenden individuellen Vereinbarungen nicht automatisch erneuern zu wollen.“ Immerhin laufen weitere Gespräche.
REFERENZEN:
1. Academic Publishing in Europe (APE), 17. bis 18. Januar 2017, Berlin
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Diesen Artikel so zitieren: Open-Access-Konferenz: Streit um Vergütungsmodelle, Experten warnen vor Qualitätseinbußen und fordern einheitliche Standards - Medscape - 31. Jan 2017.
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