Meinung

Prostatakrebs-Screening: „Der PSA-Test wurde lange zu undifferenziert eingesetzt“

Dr. Shari Langemak

Interessenkonflikte

24. Januar 2017

Prof. Dr. Markus Graefen

Kontroverse Studienergebnisse und der undifferenzierte Einsatz haben dazu geführt, dass Sinn und Unsinn des PSA-Tests seit Jahren diskutiert wird. Prof. Dr. Markus Graefen, Chefarzt der Martini-Klinik in Hamburg, erklärt im Interview, wie die unterschiedlichen Studienergebnisse zu bewerten sind und wie der PSA-Test bestmöglich eingesetzt und bewertet wird.

Medscape: In den USA wird der flächendeckende Einsatz des PSA-Tests zur Früherkennung eines Prostatakrebses seit einigen Jahren nicht mehr empfohlen. Maßgeblich dazu beigetragen hat eine große Studie aus dem New England Journal of Medicine, die keinen signifikanten Unterschied der Gesamtmortalität zwischen Getesteten und Nicht-Getesteten feststellen konnte. Können Sie uns etwas dazu erzählen?

Prof. Dr. Graefen: Der PSA-Test ist in den USA entwickelt worden, wurde 1986 zugelassen und hat durch seinen flächendeckenden Einsatz die Gesamt-Mortalität von Männern nach einer gewissen Zeit gesenkt. Ähnliche Beobachtungen konnten wir bei der europäischen ERSPC-Studie mit 170.000 Teilnehmern machen [1]. Insgesamt zeigte die Gruppe der Getesteten eine um 20% geringere Mortalität als die der Nicht-Getesteten. Doch damit nicht genug: Sobald man diejenigen der Test-Gruppe herausrechnete, die trotz Empfehlung keinen Test gemacht haben, kam man auf eine noch sehr viel deutlichere Reduktion der Gesamtmortalität. Der PSA-Test hat insgesamt die Sterblichkeit halbiert.

 
Als ich hörte, mit welchen Mitteln die PLCO-Studie ausgewertet worden ist, war ich regelrecht fassunglos.
 

Die US-amerikanische PLCO-Studie mit über 70.000 Teilnehmern kam dahingegen zu einem anderen Ergebnis [2]. Zwischen Getesteten und Nicht-Getesteten gäbe es ihrer Auswertung nach keinen Unterschied. Und da sich die US-Taskforce zur Bewertung von Screening-Untersuchungen eher an US- als an europäischen Studien orientiert, gab sie dem PSA-Test die Bewertung Grad D – sie rieten also davon ab, den Test flächendeckend in den USA einzusetzen, da die möglichen Schäden dem möglichen Nutzen überwiegen würden. Seitdem wird in den Staaten deutlich weniger getestet.

Medscape: Was sich allerdings bald auch wieder ändern könnte. Letztlich gibt es mittlerweile allerhand Kritik am Design und an der Auswertung der PLCO-Studie.

Prof. Dr. Graefen: Zurecht. Als ich auf dem Amerikanischen Urologenkongress hörte, mit welchen Mitteln diese Studie ausgewertet worden ist, war ich regelrecht fassunglos. Nachträglich stellte sich heraus, dass sich 90% der angeblich Nicht-Getesteten doch heimlich testen und – wenn nötig – therapieren haben lassen. Zudem hat nicht jeder Teilnehmer der Test-Gruppe einen PSA-Test gemacht. Tatsächlich gab es in der Kontrollgruppe sogar ein paar mehr Getestete als in der Testgruppe. Die PLCO-Studie hat damit zwei Studiengruppen verglichen, in denen der PSA-Test nahezu gleich häufig vorgenommen worden ist – kein Wunder also, dass kein Unterschied in der Mortalität gefunden werden konnte!

 
Viele sind der Meinung, dass die Grad-D-Bewertung in naher Zukunft zurückgenommen wird.
 

Medscape: Erstaunlich, dass so etwas übersehen werden konnte.

Prof. Dr. Graefen: Erstaunlich sind bei dieser Studie viele Dinge. Zum Beispiel, wie die Fragenbögen konzipiert worden sind. So wurde ein PSA-Test mit folgender Frage ausgeschlossen: „Haben Sie in den letzten 12 Monaten Ihren PSA-Wert bestimmen lassen?“ Sobald ein PSA-Test also länger als 12 Monate zurück lag, galt der Teilnehmer also als „nicht getestet“.

Medscape: Nachdem diese Details bekannt wurden, ist auch die Diskussion in den USA wieder entfacht. Wird der PSA-Test nun wieder flächendeckend eingeführt?

Prof. Dr. Graefen: Darüber habe ich bereits mit vielen US-Kollegen gesprochen – zuletzt zum Beispiel beim Deutschen Urologenkongress. Viele sind der Meinung, dass die Grad-D-Bewertung tatsächlich in naher Zukunft zurückgenommen wird.

Medscape: Trotzdem wird der PSA-Test auch in Deutschland nicht von der Krankenkasse übernommen. Dabei ist er mit durchschnittlich 30 Euro doch recht kostengünstig.

Prof. Dr. Graefen: Leider wurde das Prostata-Krebs-Screening lange Zeit sehr undifferenziert eingesetzt – zum Beispiel mit wiederholten Messungen bei unauffälligen Werten. Wer einen PSA-Wert unter 1 hat, muss allenfalls noch einmal nach 3 Jahren kontrolliert werden. Die regelmäßige, jährliche Kontrolle bei unauffälligen Werten ist dagegen unsinnig.

 
Wer im Alter von 40 bis 50 Jahren bereits einen PSA-Wert über 1 hat, hat ein höheres Risiko.
 

Zudem wurde von Seiten der Urologen nicht immer die richtige Maßnahme empfohlen. Selbst bei leicht auffälligen Werten ist in vielen Fällen die aktive Beobachtung besser, als eine direkte Operation oder Bestrahlung. Bei einem auffälligen PSA-Wert ist nur bei etwa 60% sofort eine Behandlung notwendig.

Medscape: Ab welchen Werten sollte denn biopsiert werden – und wie oft ist diese dann auch positiv?

Prof. Dr. Graefen: Ein PSA-Wert über 4 gilt als suspekt. Insbesondere, wenn der Wert so hoch bleibt, sollte über eine Biopsie nachgedacht werden. Dabei kann in 25% der Fälle ein Karzinom sicher diagnostiziert werden. Natürlich entdecken wir durch die Biopsie nicht alle Karzinome. Diese sind dann aber oft so klein, dass sie in dem Moment nicht bedrohlich sind.

 
Es ist ganz entscheidend, den Patienten im Vorfeld darüber aufzuklären, welche Folgen ein auffälliger Befund haben kann.
 

Mehr Anhalt gibt uns allerdings die Dynamik des PSA-Wertes. Es gibt dazu eine sehr gute Studie aus Skandinavien. Wer im Alter von 40- bis 50-Jahren bereits einen PSA-Wert über 1 hat, hat ein höheres Risiko, ein Prostata-Karzinom zu entwickeln, und sollte ein paar Jahre später noch einmal kontrolliert werden. Wer in dem Alter darunter bleibt, hat ein geringeres Risiko, und kann beruhigt nach Hause gehen. Genau diesen Aspekt vergessen wir nämlich oft: Dass einer großen Mehrheit von Getesteten die Sorge genommen wird.

Medscape: Ab welchem Alter sollte ich gar nicht mehr testen?

Prof. Dr. Graefen: Die US-Taskforce hat vor 2012 empfohlen, dass sich Männer ab 75 Jahren nicht mehr testen lassen sollten. Im klinischen Alltag sind solche klaren Grenzen aber oft nicht zielweisend. Laut RKI werden die gesündesten 25% der Bevölkerung im Durchschnitt 90 Jahre alt. Deswegen sollten wir uns anstelle des Alters lieber daran orientieren, wie fit der Patient noch ist, welche Begleiterkrankungen er mitbringt, und – das ist besonders wichtig – was er selbst möchte.

Es ist ganz entscheidend, den Patienten im Vorfeld darüber aufzuklären, welche Folgen ein auffälliger Befund haben kann. Dazu gehören natürlich die möglichen Komplikationen von Biopsie und Therapie, aber ebenso die möglicherweise psychische Belastung durch die aktive Beobachtung.

Medscape: Das heißt, dass die Entscheidung zum PSA-Test in jedem Fall von Arzt und Patient zusammen getroffen werden muss?

Prof. Dr. Graefen: Genau, der PSA-Test ist immer eine individuelle Entscheidung. Während der eine Patient weniger Probleme hat, sich bei der Diagnose eines Prostata-Karzinoms gleich die gesamte Prostata entfernen zu lassen, scheut ein anderer vielleicht bereits die Bestrahlung, da er Langzeit-Komplikationen befürchtet.

Das ist übrigens auch einer der Gründe dafür, warum die PREFERE-Studie nicht funktioniert hat. Hierbei gab es insgesamt 4 Arme: Aktives Beobachten, Operieren, Brachytherapie und Bestrahlung. Ziel war es, herauszufinden, welche Therapie die beste ist. Dabei gibt es das gar nicht: „die beste Therapie für jeden“. Genau diese Differenzierung – sowohl vor als auch nach dem PSA-Test – müssen wir Urologen besser treffen.

Medscape: Vielen Dank für das Gespräch.

 

REFERENZEN:

1. Schröder FH, et al: Lancet, 6. August 2014.

2. Andriole GL, et al: N Eng J Med, 2009.

 

Kommentar

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