Eine Entscheidung des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA), wonach die Antikörper Nivolumab und Ipilimumab für nicht-vorbehandelte Patienten mit einem fortgeschrittenen Melanom keinen Zusatznutzen versprechen, wird sowohl vom Pharmakonzern Bristol-Myers Squibb als auch von einem führenden Experten kritisiert [1].
Der Grund für die Irritationen liegt darin, dass der G-BA während des Verfahrens die Vergleichssubstanz für die Nutzenbewertung geändert hat. Anfangs war es der Antikörper Ipilimumab, kurz vor Ende des Verfahrens ersetzte man den Komparator für die Kombinationstherapie durch Nivolumab alleine beziehungsweise einem weiteren Antikörper, Pembrolizumab. Alle 3 Substanzen zählen zu einer Gruppe neuer immunonkologischer Wirkstoffe, welche die Erkennung bzw. Zerstörung von Tumorzellen durch die Immunabwehr des Patienten verbessern.
Bei Bristol-Myers Squibb (BMS), dem Hersteller von Nivolumab, hat dies für Empörung gesorgt. „Die Entscheidung ist für uns absolut nicht nachvollziehbar – ich bin schockiert“, ließ Han Steutel, Geschäftsführer BMS Deutschland und zugleich Vorsitzender des Verbands der forschenden Pharma-Unternehmen (vfa) unmittelbar nach Bekanntwerden des Urteils per Pressemitteilung verbreiten. Eine Überschlagsrechnung zeigt, dass das Unternehmen bei einer positiven Entscheidung zusätzliche Umsätze in Höhe von jährlich bis zu 292 Millionen Euro zu Lasten der gesetzlichen Krankenkassen hätte erzielen können. Die Entscheidung des G-BA wurde befristet bis zum 15. Juni 2017.
„Das Verfahren ist angreifbar“, kritisiert gegenüber Medscape Prof. Dr. Dirk Schadendorf, Direktor der Klinik für Dermatologie an der Universitätsklinik Essen. „Standards werden willkürlich festgesetzt, und eine Rücksprache mit den Fachgesellschaften ist zu spät erfolgt“, bemängelt Schadendorf, der an der Zulassungsstudie Checkmate-067 beteiligt war.
Für Nutzenbewertung nur Vergleichsdaten zur Monotherapie eingereicht
Zusammen mit den Ergebnissen aus einer weiteren Studie – Checkmate-069 – hatten die Resultate aus Checkmate-067 für die europäische Zulassungsbehörde EMA ausgereicht, um im Mai 2016 der Kombination aus Nivolumab und Ipilimumab eine Zulassung für die EU zu erteilen. Für die Nutzenbewertung hatte BMS nur Vergleichsdaten für die Kombinationstherapie versus Ipilimumab-Monotherapie eingereicht. Hier hatte sich in der Checkmate-067-Studie ein hochsignifikanter Unterscheid beim progressionsfreien Überleben von 11,5 gegenüber 2,9 Monaten ergeben, wenn auch bei erheblich schlechterer Verträglichkeit. Die 18-Monats-Überlebensrate hatte unter der Kombinationstherapie bei 67,7% gelegen gegenüber 54,1% unter Ipilimumab.
Der Unterschied zu den 6,9 Monaten progressionsfreiem Überleben unter der Nivolumab-Monotherapie war zwar ebenfalls hochsignifikant, diese Daten waren aber vom B-GA zunächst nicht gefordert und deshalb von BMS auch nicht eingereicht worden.
Messlatte im Verlauf des Verfahrens höher gelegt
„Die rasante Entwicklung auf dem Gebiet der Dermato-Onkologie stellt auch die Behörden vor große Herausforderungen“, konzidiert Schadendorf. Noch vor 5 bis 6 Jahren konnten die Ärzte Melanom-Patienten mit Fernmetastasen keine wirksame Therapie anbieten, die mittlere Überlebenszeit betrug nur 8 bis 9 Monate, erinnert er. „Nun hat eine große Welle an Innovationen zu einer erheblichen Verbesserung geführt. Mit den neuen Substanzen ist die Überlebenszeit auf 2 Jahre gestiegen, laufende Studien lassen sogar darauf hoffen, dass es bald 3 Jahre sein könnten.“
Dies könnte zum Teil erklären, warum im aktuellen Verfahren die Vergleichssubstanz geändert wurde. Mit dem Bekanntwerden neuer Studienergebnisse wurde die Messlatte durch den G-BA höher gelegt. Allerdings: „Es geht auch um Kostendeckelung“, vermutet Schadendorf.
Im Dossier zur Nutzenbewertung hat BMS die Jahrestherapiekosten pro Patient mit rund 163.400 Euro veranschlagt und spricht von einer „Zielpopulation“ zwischen 2.444 und 3.282 Patienten für die neue Indikation. Daraus ergeben sich dann Gesamtkosten von jährlich bis zu 536 Millionen Euro. Das sind 292 Millionen Euro mehr als mit der Ipilimumab-Monotherapie.
REFERENZEN:
1. Entscheidung des gemeinsamen Bundesauschusses zu Nivolumab, 15. Dezember 2016
Medscape Nachrichten © 2017 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: Fortgeschrittenes Melanom: G-BA sieht keinen Zusatznutzen für Nivolumab – noch ein Krebs-Hoffnungsträger vor dem Aus? - Medscape - 18. Jan 2017.
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