5 Impfmythen im Check: Studiendaten widerlegen verbreitete Vorurteile und Vermutungen

Prof. Dr. Matthew E. Falagas, Dr. Georgia K. Vatheia

Interessenkonflikte

13. Januar 2017

Die Diskussionen um die Wirkung und die Sicherheit von Impfungen sorgen bekanntlich bei einigen Menschen für Ängste, Missverständnisse und Zweifel. Jedoch ist die Datenlage zu verbreiteten Mythen rund um das Thema „Impfen“ eindeutig – und zwar zugunsten der Vakzine.

Mythos 1 – Impfungen sind heute nicht mehr erforderlich

Die Vorstellung, Impfungen seien oft nicht mehr nötig, entspringt der falschen Vorstellung, dass die meisten Krankheiten, gegen die wir geimpft werden, verschwunden seien. Richtig ist, dass ehemals häufige Erkrankungen wie Diphtherie und Poliomyelitis, die mit einer hohen Morbidität verbunden sind, in den entwickelten Staaten selten geworden sind. Viele Menschen glauben jedoch, sie seien ausgerottet – und das ist falsch. Tatsächlich sind die Pocken die einzige Infektionserkrankung, für die dies weltweit offiziell gilt. Ihr letztes Auftreten wird für das Jahr 1977 in Somalia angegeben. Impfungen haben die Inzidenz verschiedener Infektionskrankheiten, wie etwa Tetanus, Diphtherie, Pertussis, Röteln-Embryopathie, Masern, Mumps oder Poliomyelitis erheblich gesenkt, ausgerottet haben sie sie aber nicht.

Die Geschichte der Masern belegt die Bedeutung der Impfung für die Prävention schwerer Erkrankungen. Die Masern sind eine hochinfektiöse Viruserkrankung mit potenziell schwerwiegenden Komplikationen. In den USA waren sie vor der Einführung flächendeckender Impfkampagnen im Jahre 1963 weit verbreitet. Bis dahin schlugen die Masern mit etwa 4 Millionen Erkrankungen jährlich und rund 450 Todesopfern zu Buche. Im Jahre 2000 galten die endemischen Masern in den USA als ausgerottet, doch kam es immer wieder zu einem Import aus anderen Ländern. In 2015 wurden insgesamt 159 Masernfälle in den USA registriert, wobei die meisten dieser Personen nicht gegen Masern geimpft waren (45%) oder einen unklaren Impfstatus aufwiesen (38%).

Eine zunehmende Zahl von Menschen, die sich gegen Impfungen entscheiden, schwächt zudem die Herdenimmunität. Von der Öffentlichkeit und auch der Wissenschaft wird oft übersehen, dass die Herdenimmunität auch vulnerable Bevölkerungsteile, bei denen eine vollständige Immunisierung nicht möglich ist (z.B. immunsupprimierte Personen), vor möglicherweise schweren und lebensbedrohlichen Erkrankungen schützt, indem sie die Wahrscheinlichkeit einer Übertragung senkt.

Mythos 2 – Impfungen führen zu Autismus

Dieser Mythos ist ein häufiges Argument gegen Impfungen und geht vornehmlich auf eine Arbeit von Andrew Wakefield et al. im Lancet aus dem Jahr 1998 zurück.[1] Darin legt Wakefield einen Zusammenhang zwischen Impfungen gegen Masern, Mumps und Röteln (MMR) und Autismus nahe, der sich auf 8 Fälle stützt. So geriet die Sicherheit von Impfstoffen ins Blickfeld. Allerdings traten bei einer genaueren Überprüfung der Untersuchung Fragen auf, bei denen es um methodische Schwächen und mögliche Interessenkonflikte ging. Die Kontroverse führte zu einer teilweisen Abkehr von den Schlussfolgerungen des Artikels durch Lancet im Jahr 2004 und zu einer vollständigen Distanzierung im Jahr 2010.[2,3] Im selben Jahr verlor der Autor wegen schwerer Verstöße gegen die Berufsordnung seine ärztliche Zulassung in Großbritannien.

Dennoch wurden die Behauptungen auch von der medizinischen Fachwelt zunächst ernst genommen. In der Folge versuchten verschiedene professionell durchgeführte epidemiologische Studien, einen Zusammenhang zwischen Impfungen und Autismus aufzuzeigen. Ein Metaanalyse sammelte 2011 Daten aus 5 Kohortenstudien (mit 1.256.407 Kindern) und 5 Fall-Kontroll-Studien (insgesamt 9.920 Kinder) und wertete sie im Hinblick auf einen Zusammenhang zwischen Impfungen und der Entwicklung eines Autismus oder einer vergleichbaren Störung aus. Es konnten keine Verbindungen zwischen einer kombinierten Masern-Mumps-Röteln-Impfung und Autismus festgestellt werden (Odds Ratio (OR) 0,84; Konfidenzintervall (KI) 95% 0,70-1,01).[4]

Zusätzlich wurden die organischen Quecksilberverbindungen Thiomersal und Quecksilber als Konservierungsstoffe für Impfstoffe als Ursachen einer Autismus-Entwicklung verdächtigt und weiter untersucht. Auch hier konnte für beide Substanzen kein Zusammenhang ermittelt werden (Thiomersal: OR 1,00; KI 95% 0,77-1,31; Quecksilber OR 1,00; KI 95% 0,93-1,07).[5]

Jenseits der Tatsache, dass es keinen Zusammenhang zwischen MMR-Impfung und Autismus gibt, ist die beträchtliche Morbidität und Mortalität potenziell vermeidbarer Infektionskrankheiten unzweifelhaft. Hierzu zählen auch Todesfälle durch Diphtherie in den Industrienationen – so etwa der Tod eines 6-jährigen spanischen Jungen 2015 und eines 3-jährigen belgischen Mädchens, die beide nicht geimpft worden waren.

Mythos 3 – Impfungen sind für Autoimmunerkrankungen verantwortlich

Die Bedeutung von Impfstoffen für die Pathogenese von Autoimmunerkrankungen (mutmaßlich als Trigger für die Autoimmunität) ist schon seit geraumer Zeit Gegenstand wissenschaftlicher Diskussionen. Obwohl die Ursache derartiger Erkrankungen immer noch unklar ist, werden verschiedene Faktoren wie genetische Prädisposition, Umweltfaktoren und Infektionserkrankungen verdächtigt, an der Pathogenese beteiligt zu sein.

Der genaue Zusammenhang zwischen Impfungen und autoimmunen Vorgängen wird derzeit noch erforscht. Allerdings gibt es bislang keine definitive Evidenz, die den Verdacht einer Verbindung stützt. Die meisten Daten, die einen Zusammenhang zwischen Impfungen und Autoimmunerkrankungen nahelegen, stammen aus Fallstudien mit niedrigem Evidenzniveau. Bis heute wurde noch keine große epidemiologische Untersuchung durchgeführt, die überzeugende klinische Evidenzen liefern könnte. Angesichts der heterogenen Natur von Autoimmunerkrankungen sind solche Studien auch sehr schwer umzusetzen.

Das „Syndrom autoimmunologischer Erkrankungen ausgelöst durch Additive“ (autoimmune syndrome induced by additiva, ASIA) wurde zuletzt als Klassifikationshilfe für eine Reihe von Autoimmunerkrankungen eingeführt, die möglicherweise mit Impfstoff-Additiven (Substanzen, die die Immunogenität des Impfstoffes verbessern) in Zusammenhang stehen.[6] ASIA sorgte für Aufmerksamkeit in der Medizinwelt und führte zu einer Reihe von Publikationen, in denen das Thema diskutiert wurde. Es bleibt zumindest bis heute bei einem theoretischen Konzept mit allgemeinen Einschlusskriterien und ohne ausreichend eindeutige klinische Daten.

Bei Untersuchungen zur Inzidenz von Autoimmunerkrankungen in geimpften bzw. ungeimpften Populationen konnte keine erhöhte Anfälligkeit für derartige Erkrankungen unter Geimpften festgestellt werden.

Mythos 4 – Die Grippe ist eine harmlose Erkrankung, die keiner Impfung bedarf

Influenza wird zu oft und zu Unrecht als leichte Erkrankung angesehen. Tatsächlich ist die Grippe eine enorme Bedrohung für die öffentliche Gesundheit. Allein im vergangenen Jahrhundert haben die 3 großen Pandemien weltweit Millionen Todesopfer gefordert. Während der letzten Pandemie zwischen dem 1. Juni 2009 und dem 1. August 2010 wurden weltweit 18.449 Todesfälle auf das H1N1-Virus zurückgeführt, wobei die tatsächliche Opferzahl wahrscheinlich weitaus höher ist.[7]

Eine Influenza kann schwere Komplikationen mit sich bringen, wie eine schwere Pneumonie oder auch eine Enzephalopathie oder Myokarditis. Eine beträchtliche Zahl von Todesfällen nach einer Grippeepidemie ist typischerweise die Folge solcher kardialer und pulmonaler Komplikationen. Vor allem ältere Menschen, kranke Menschen und Schwangere haben ein erhöhtes Komplikationsrisiko, sodass für diese Gruppen die Grippeimpfung dringend empfohlen wird.

Mythos 5 – Schwangere sollten nicht geimpft werden

Die meisten Impfungen sind bei Schwangerschaften nicht nur sicher. Sie werden auch ausdrücklich empfohlen. Hier sind vor allem 2 Impfungen zu nennen: die TDaP-Impfung (Tetanus, Diphtherie, azellulärer Pertussis; zu geben am besten zwischen der 27. und 36. Schwangerschaftswoche) und die Grippe-Impfung. Tetanus, Keuchhusten und Grippe sind Erkrankungen mit potenziell schwerwiegenden Komplikationen für das Ungeborene und/oder die Mutter, die sich gleichwohl durch eine Impfung verhindern lassen. Die Pertussisimpfung einer Schwangeren bietet auch dem Neugeborenen einen Infektionsschutz.

Die Evaluation des verfügbaren Datenmaterials zeigt, dass Impfstoffe mit inaktiven Mikroorganismen zu jedem Zeitpunkt einer Schwangerschaft sicher verabreicht werden können. Da vor allem die Grippe in der Schwangerschaft einen sehr schweren Verlauf nehmen kann, sollten sich Schwangere nach Möglichkeit während der Grippesaison impfen lassen. Die Unbedenklichkeit der Grippeschutzimpfung während einer Schwangerschaft wurde in verschiedenen Studien belegt. In einer Metaanalyse ließ sich für kein Trimenon ein Zusammenhang zwischen der Grippeimpfung und Fehlbildungen bei Neugeborenen erkennen (OR 0,96; KI 95% 0,86-1,07).[8] Auch Impfungen während der Schwangerschaft gegen Hepatitis B sowie gegen Pneumokokken und Meningokokken (jeweils Polysaccharidimpfstoff) werden als unbedenklich eingestuft.

Lebendimpfstoffe, z.B. gegen das Varizella-Zoster-Virus, oder der MMR-Impfstoff werden während einer Schwangerschaft und einen Monat zuvor nicht empfohlen, da hier das potenzielle Risiko einer Übertragung des Virus auf den Fetus besteht. Obwohl sich aus retrospektiven Studien an Frauen, die während einer Schwangerschaft Lebendimpfstoffe erhalten hatten, kein erhöhtes Risiko für eine kongenitale Infektion herauslesen ließ, bleibt die Gabe solcher Lebendimpfstoffe bei Schwangerschaften weiterhin kontraindiziert.

Was lässt sich daraus lernen?

Es existieren verschiedene Mythen und Ängste rund um das Thema Impfung. Obwohl derlei Ängste kaum durch wissenschaftliche Studien zu belegen sind, gefährden sie die Erfolge der staatlichen Impfprogramme. Denn leider lehnt eine beachtliche Zahl von Erwachsenen aufgrund dieser Fehlinformationen Impfungen für sich oder ihre Kinder ab.

Während weitere Forschungsanstrengungen zu einer Erhöhung der Effektivität zukünftiger Impfprogramme (z.B. gegen die Grippe) sowie Studien zur Immunogenität von Impfstoffen unterstützt werden sollten, ist es wichtig, dass der öffentliche Gesundheitssektor Impfkampagnen unterstützt und die Compliance der Bevölkerung ankurbelt.


Dieser Artikel wurde von Markus Vieten aus
www.medscape.com übersetzt und adaptiert.

 

Kommentar

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