Obama kämpft um seine Gesundheitsreform – auch mit einem Artikel im New England Journal

Sonja Böhm

Interessenkonflikte

9. Januar 2017

Am Freitag, den 6. Januar 2017, hat das New England Journal of Medicine einen sehr ungewöhnlichen Online-First-Beitrag veröffentlicht [1]. Der Autor ist Barack Obama. Der scheidende US-Präsident warnt eindringlich vor den Gefahren für das US-amerikanische Gesundheitssystem, wenn – wie von den Republikanern angekündigt – die unter seiner Ägide eingeführte Gesundheitsreform mit dem Namen Affordable Care Act (ACA, Obamacare) ersatzlos abgeschafft wird.

Barack Obama

Obamacare ist die größte Reform des US-Sozialsystems seit Jahrzehnten. Ihr Ziel: eine allgemeine Krankenversicherung. Seit der Einführung im Jahr 2013 haben sich rund 20 Millionen Menschen über Obamacare versichert. Die Rate der US-Bürger, die keine Krankenversicherung haben, hat sich dadurch von zuvor 16 auf nun 8,6% halbiert.

Vergangene Woche hatte allerdings der designierte republikanische Vize-Präsident Mike Pence nach einem Treffen mit Parteikollegen zur Vorbereitung der Amtsübernahme von Donald Trump am 20. Januar angekündigt: „Der erste Punkt auf der Tagesordnung ist die Abschaffung von Obamacare.“

 
So hat der ACA dazu beigetragen, den Anstieg der Gesundheits- ausgaben auf ein historisch niedriges Niveau zu bringen, während sich gleichzeitig die Qualität für die Patienten gebessert hat. Barack Obama
 

Republikaner ohne eigenes Konzept

Obama allerdings kämpft um den Erhalt seiner Reform. Und Teil dieses Kampfes ist der Artikel im NEJM. Darin betont er, die vergangenen 8 Jahre hätten gelehrt, dass eine Gesundheitsreform ein „evidenz-basiertes und sorgfältiges“ Vorgehen erfordere. Und „genau das ist der Grund, warum die Absicht der Republikaner, den ACA abzuschaffen, ohne einen Plan zu haben, wie man ihn ersetzen könnte, so unbesonnen ist. Statt die finanzielle Sicherheit und den Zugang zur Gesundheitsversorgung von Abermillionen US-Bürgern aufs Spiel zu setzen, sollten die Verantwortlichen besser Pläne machen, wie sie auf den Dingen, die bereits funktionieren, aufbauen können – und nicht das zerstören, was es bereits gibt“, warnt er eindringlich.

Noch nie seien so viele US-Amerikaner im Krankheitsfall abgesichert gewesen wie zurzeit, schreibt er. Mehr Menschen hätten einfacheren Zugang zur Gesundheitsversorgung, es werden mehr Leistungen erstattet, die finanzielle Sicherheit und damit auch die Gesundheit der Bevölkerung haben zugenommen. Auch Verbraucherschutz und Prävention hätten sich durch den ACA verbessert. Zudem seien Fortschritte gemacht worden darin, dass bei den Gesundheitsleistungen nicht mehr primär die Quantität, sondern vor allem Qualität finanziell belohnt werde.

„So hat der ACA dazu beigetragen, den Anstieg der Gesundheitsausgaben auf ein historisch niedriges Niveau zu bringen, während sich gleichzeitig die Qualität für die Patienten gebessert hat.“ Weitere Fortschritte seien in den nächsten Jahren zu erwarten – sowohl Pläne dafür als auch die Budgets seien bereits vorhanden.

Obama benennt in den Artikel allerdings auch Aspekte, die bislang bei Obamacare noch nicht so gut laufen: zu wenig Konkurrenz und damit Wahlmöglichkeiten bei den Versicherungsanbietern, Zusatzbeiträge, die für einige Familien immer noch nicht bezahlbar sind, sowie hohe Kosten für Medikamente, die nach seinen Plänen in Zukunft – ähnlich wie in Deutschland – zwischen Medicare und den Firmen verhandelt werden sollen. Viele geplante Nachbesserungen seien von den Republikanern blockiert worden, klagt Obama. Dies habe alles verlangsamt und erschwert.

 
Der Ansatz ‚zuerst abschaffen, später ersetzen‘ ist – um es auf den Punkt zu bringen – unverantwortlich ... Barack Obama
 

Aus republikanischen Führungskreisen verlaute nun, dass der ACA schon Anfang des Jahres abgeschafft werden solle – mit dem Versprechen eines Ersatzes im weiteren Verlauf der Legislaturperiode. Doch die Pläne und Gesetze für diesen Ersatz müssten erst noch erstellt werden. Und es benötige zuvor eine Kostenanalyse und eine öffentliche Debatte, so Obama. Wie nicht zuletzt die Erfahrungen mit Obamacare gezeigt hätten, sei die von Republikanern dafür avisierte Zeitspanne von 2 bis 3 Jahren knapp bemessen. „Der Ansatz ‚zuerst abschaffen, später ersetzen‘ ist – um es auf den Punkt zu bringen – unverantwortlich – und kann das Gesundheitssystem, das für uns alle von existentieller Bedeutung ist, ausbluten lassen“, warnt Obama.

Gesundheitsversorgung von Millionen Bürgern in Gefahr

Jedoch das Ende von Obamacare einfach etwas zu verzögern, sei ebenfalls keine Lösung, argumentiert er. Denn bereits mit einer solchen Ankündigung, werde die Gesundheitsversorgung quasi an den Rand einer Klippe gestellt. Die so verursachten Unsicherheiten haben ebenfalls negative Folgen: Versicherungsgesellschaften könnten sich zurückziehen oder die Preise deutlich erhöhen. Ärzte und Kliniken könnten vor Investitionen zurückschrecken – Innovationen würden behindert, Gesundheitsangebote und Jobs reduziert und eingeschränkt. Die Kosten der Gesundheitsversorgung würden steigen, sagt er voraus – und damit wahrscheinlich für viele chronisch Kranke unbezahlbar werden.

Obama erinnert daran, dass der US-Gesundheitshaushalt um 50% höher ist als der des Verteidigungsministeriums. „Repeal and replace (abschaffen und ersetzen)“, dieser republikanische Schlachtruf gegen Obamacare, sei eine verführerisch eingängige Phrase, warnt er. „Aber die Wahrheit ist, die Gesundheitsreform ist so komplex – mit vielen Aspekten, die ineinander greifen, dass – wenn wir einige davon herausnehmen – die Gefahr besteht, das wir das Ganze zerstören.“

 
... die Gesundheits- reform ist so komplex – mit vielen Aspekten, die ineinander greifen, dass – wenn wir einige davon herausnehmen – die Gefahr besteht, dass wir das Ganze zerstören. Barack Obama
 

Er verweist vor allem auf die Menschen mit chronischen Erkrankungen, die dank Obamacare nun nicht länger von Versicherungen abgelehnt oder mit exorbitant hohen Prämien belastet werden können. Es handele sich hier um immerhin 133 Millionen US-Amerikaner. Was passiert, wenn der ACA abgeschafft wird, aber die Pläne der Republikaner, einen entsprechenden Ersatz für diese Menschen zu schaffen, nicht aufgehen, fragt Obama.

Millionen von Amerikaner hätten dann die Konsequenzen zu tragen. Laut einer aktuellen Analyse des Urban Institute würde die Abschaffung des ACA die Rate der nicht (ausreichend) Versicherten in den USA sogar über das Level in der Zeit vor Obamacare heben.

Die derzeitigen republikanischen Pläne verspielten die Chance, auf dem bereits Erreichten aufzubauen und verfestigten, was immer noch nicht funktioniere. „Es bringt Unsicherheit in das Leben von Patienten, ihrer Ärzte und in die Abläufe in den Krankenhäusern sowie in der Gesundheitsversorgung insgesamt und gefährdet die Fortschritte der Vergangenheit.“

Die Republikaner, so fordert Obama, sollten zunächst an den bereits erzielten Fortschritten und Verbesserungen festhalten und ihre weiteren Pläne von Beginn an offen legen – „dies schulden sie dem amerikanischen Volk“. Alle Entscheidungen nach dem Machtwechsel, schreibt er, sollten vor allem dem hippokratischen ärztlichen moralischen Grundsatz folgen: „Primum nil nocere!“

Abschaffung von Obamacare: Mögliche wirtschaftliche Konsequenzen analysiert

Etwa 2,6 Millionen Amerikaner würden ihre Arbeit verlieren und die Wirtschaft würde ins wanken geraten, wenn der Kongress wesentliche Teile des Affordable Care Act (ACA) rückgängig machen würde, ohne gleichzeitig eine eigene Gesundheitsreform umzusetzen. Das zeigt eine aktuelle Studie des Milken Institute School of Public Health an der George Washington Universität und des Commonwealth Fund. 2 Drittel der wegfallenden Jobs würden demnach außerhalb Gesundheitssektors liegen und Bereiche wie Konstruktion, Verkauf, Finanz- oder Versicherungswesen betreffen.

Konservative Expertenkommissionen zweifeln die Ergebnisse der Studie an, da sie von falschen Voraussetzungen ausgehe und deshalb zu falschen Schlüssen käme.

Die Studie hat die Folgen des Wegfalls von 2 finanziellen Förderungen im Rahmen des ACA untersucht: Das sind zum einen Subventionen in Form von Beitrags-Steuerkrediten, die Menschen mit mittlerem und niedrigem Einkommen erhalten, um ihre Krankenversicherung zu finanzieren. Zum anderen hat die Studie staatliche Zahlungen an die 31 Staaten und den Distrikt Columbia untersucht, die ihre medizinischen Programme unter dem ACA erweitert haben. Wenn diese beiden Förderungen eingestellt werden, würden sich die staatlichen Ausgaben um 140 Milliarden Dollar bis 2019 und um 807 Milliarden Dollar bis 2013 verringern.

Studien wie beispielsweise eine vom Urban Institute, Washington, DC, kommen zu dem Schluss, dass die Aufhebung von Teilen des ACA ohne einen Ersatzplan die Anzahl der unversicherten US-Bürger verdoppeln könnte. Die aktuelle Milken-Commonwealth-Studie zeigt, dass massive Kürzungen der staatlichen Unterstützung sich auch negativ auf die Wirtschaft auswirken, beginnend bei Versicherungen und Gesundheits-Dienstleistern.

Ausbleibende staatliche Dollars würden zudem das ökonomische Wachstum beeinflussen und das Äquivalent zum Bruttoinlandsprodukt im Jahr 2019 um geschätzte 246 Milliarden US-Dollar reduzieren. Die Regierungen der einzelnen Staaten könnten wiederum 8 Milliarden US-Dollar an dringend benötigten Steuereinnahmen verlieren. Solch ein Fehlbetrag könnte entweder zu weniger Serviceleistungen oder zu höheren Steuern führen, warnt die Studie.

Die Autoren räumen einige Limitationen ihrer Studie ein: So bleibt die Frage offen, ob die staatlichen Einsparungen nicht auch für andere Zwecke genützt werden könnten. Michael Cannon, Direktor für Gesundheitspolitik am Cato Institute ist überzeugt, dass das eingesparte Geld der Wirtschaft zugute käme und neue Jobs schaffen würde – vielleicht sogar mehr, als durch die Rücknahme des ACA vernichtet würden, wie er Medscape Medical News sagte.

 

REFERENZEN:

1. Obama BH: NEJM (online) 6. Januar 2017

 

Kommentar

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