Der orale Kinase-Inhibitor Selumetinib lässt inoperable Neurofibrome schrumpfen – doch ist nicht verfügbar

Michael Simm

Interessenkonflikte

6. Januar 2017

Eine noch laufende Phase-1-Studie mit 24 Kindern hat gezeigt, dass der Wirkstoff Selumetinib bei der Neurofibromatose Typ 1 (NF1) inoperable plexiforme Neurofibrome wirksam bekämpfen kann. Ursprünglich war die Studie lediglich darauf angelegt, die höchste tolerable Dosis zu finden und die Pharmakokinetik von Selumetinib zu bestimmen. Nun verkünden die Wissenschaftler um Dr. Brigitte C. Widemann, Leiterin des Pediatric Oncology Branch am National Cancer Institute der USA im New England Journal of Medicine: „Unsere frühen Daten legen nahe, dass [diese Kinder] von der langfristigen, dosis-adjustierten Behandlung mit Selumetinib profitiert haben, ohne übermäßige Nebenwirkungen zu erleiden.“ [1]

„Das ist eine signifikante und erfolgreiche Arbeit“, kommentiert gegenüber Medscape Deutschland Prof. Dr. Victor-Felix Mautner, Leiter der Neurofibromatose-Ambulanz am Universitätsklinikum Eppendorf in Hamburg. Die Kollegen hätten den Beweis erbracht, dass Selumetinib wirkt, auch wenn nicht alle Patienten von der Therapie profitiert hätten.

71 Prozent der Patienten profitierten von der Therapie

Widemann und ihre Kollegen fanden heraus, dass die maximal tolerierte Dosis von Selumetinib bei 25 mg/qm lag und somit etwa 60 Prozent der empfohlenen Dosis für Erwachsene betrug. Die häufigsten Nebenwirkungen waren Akne-artige Ausschläge, gastrointestinale Effekte und asymptomatisch erhöhte Kreatinkinase-Werte.

 
Unsere frühen Daten legen nahe, dass [diese Kinder] von der langfristigen, dosis-adjustierten Behandlung mit Selumetinib profitiert haben, ohne übermäßige Nebenwirkungen zu erleiden. Dr. Brigitte C. Widemann
 

Dafür schrumpften die Tumoren bei 17 der 24 Studienteilnehmer um 20 bis 50%. Ein Fortschreiten der Krankheit – definiert als eine Zunahme der Tumormasse um mehr als 20% – wurde in keinem einzigen Fall beobachtet, wobei die Daten bis zum Januar 2016 berücksichtigt wurden.

Die Autoren verweisen auf 5 wenig erfolgreiche Versuche, die Pathogenese der plexiformen Neurofibrome zu beeinflussen. Dort hatte man lediglich bei 5% bzw. 14% der Patienten das Volumen der Tumoren um mindestens 20% verringern können, wogegen in der aktuellen Studie 71% der Patienten profitierten und median für alle Patienten eine Tumorreduktion von 31% erreicht wurde.

Die Kinder hatten die Arznei jeweils 2 Mal täglich geschluckt. Im Durchschnitt dauerte die Behandlung 30 Monate. Dabei stellte sich die Wirkung recht langsam ein. Im Mittel wurde die maximale Wirkung erst nach 20 Monaten erreicht. Danach wurde bei manchen Patienten ein erneutes, wenn auch langsames Wachstum der Tumoren beobachtet.

Als erfolgreichsten Fall präsentieren die Forscher um Widemann ein Mädchen, das wegen sehr großer Neurofibrome an Hüfte und Abdomen unter ständigen Schmerzen litt und an den Rollstuhl gefesselt war. Hier reduzierte sich die Tumormasse fast um die Hälfte, die Ärzte konnten die Schmerzmedikamente absetzen und das Mädchen war wieder in der Lage, längere Strecken zu laufen.

Etwa jedes 3.000. wird mit der Krankheit geboren. 20 bis 50% davon entwickeln die plexiformen Neurofibrome. Sie können, je nach Lage, zu Schmerzen und Entstellungen führen, zu Blindheit, geschwächten Gliedmaßen oder auch zu Blasenschwäche und Darmdysfunktion. Mit Operationen können bis zu 75% der Patienten geheilt werden, ein Viertel ist jedoch inoperabel, wie auch die Teilnehmer der aktuellen Studie.

Der Wirkstoff ist in Deutschland nicht verfügbar

Mautner sieht in der Arbeit einen Hoffnungsschimmer für seine Patienten. „Das sind Menschen, die durch diese Krankheit entstellt werden. Über Jahrhunderte wurden sie verspottet und auf Jahrmärkten ausgestellt“, macht er deutlich. Unklar sei aber noch, ob die Behandlung neben der Reduktion der Tumormasse auch zu einer besseren Lebensqualität führt.

Das größte Problem ist aber, dass Selumetinib in Deutschland nicht verfügbar ist. Die von der Firma AstraZeneca bereitgestellte Substanz war zuvor unter anderem gegen das nicht kleinzellige Lungenkarzinom getestet worden. Im Sommer vergangenen Jahres jedoch ist eine Studie der Phase 3 gescheitert, sodass es keine Zulassung gibt und Selumetinib auch nicht für individuelle Heilversuche zur Verfügung steht. „Und dies wird auch nicht so schnell passieren“, befürchtet Mautner.

 

REFERENZEN:

1. Dombi E, et al: NEJM 2016;375:2550-2560

 

Kommentar

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