Bei Mäusen hat sich ein Gel mit 4% Azithromycin als wirksam gegen Borrelien erwiesen. Daher haben Erstautor Dr. Michael Schwarmeis, Abteilung für Klinische Pharmakologie der Medizinischen Universität von Wien, und seine Kollegen in einer internationalen placebo-kontrollierten Phase-3-Studie untersucht, ob sich bei Erwachsenen, die von einer Zecke gestochen wurden, durch ein Azithromycin-Gel (10%) über 3 Tage die Entstehung einer Lyme-Borreliose verhindern lässt.

Prof. Dr. Tomas Jelinek
Der Nachweis einer solchen Wirkung gelang in der in Lancet Infectious Diseases publizierten Studie nicht [1]. Trotzdem sind die Autoren aufgrund einer Post-hoc-Subgruppenanalyse der Ansicht, dass topisches Azithromycin eine präventive Wirkung bei Stichen durch infizierte Zecken haben könnte. Prof. Dr. Tomas Jelinek, wissenschaftlicher Leiter des CRM Centrum für Reisemedizin, der als Co-Autor an der Studie beteiligt war, betont in einer Pressemitteilung die Relevanz der Studie: „Ihr Ergebnis lässt uns berechtigterweise annehmen, dass wir Borrelien-Infektionen künftig wirksam und einfach bekämpften können.“ Für einen möglichen klinischen Einsatz des Gels müsse aber noch eine Belegstudie folgen, räumt auch er ein.
Die aktuelle randomisierte, Doppelblind-Studie war in 28 Zentren in Österreich und Deutschland mit 995 Patienten in der Intention-to-Treat-Gruppe erfolgt. Weil sich im primären Endpunkt keine Verbesserung mit dem Azithromycin-Gel zeigte, wurde sie vorzeitig abgebrochen.
Alternative zur Doxycyclin-Therapie gesucht
Die Lyme-Borreliose ist die häufigste Infektionskrankheit der nördlichen Hemisphäre, die durch Zecken übertragen wird. Erreger ist Borrelia burgdorferi sensu lato. In Europa sind 20 bis 25% der Zecken mit dem Bakterium infiziert, das Risiko einer Infektion nach einem Zeckenstich liegt zwischen 1 und 5%. Die Inzidenz in Österreich liegt bei 300 pro 100.000 Einwohner, in Deutschland bei 25 pro 100.000 Einwohner, wobei vermutet wird, dass die Inzidenzen in Wirklichkeit höher sind.
Aufgrund ihrer sehr unterschiedlichen Symptome wird die Lyme-Borreliose oft nicht entdeckt. Unbehandelt kann sie Folgeschäden an Haut, Nervensystem und Gelenken auslösen und schwere Komplikationen verursachen. Doxycyclin 200 mg einmal eingenommen kann die Entstehung einer Lyme-Borreliose nach einem Zeckenbiss verhindern, aber das Tetracyclin-Antibiotikum ist bei Schwangeren und Kindern unter 8 Jahren kontraindiziert. Weil die Number Needed to Treat (NNT) zur Prävention eines Falles sehr hoch ist, empfehlen Experten die Therapie nur für Hochrisiko-Fälle. Ideal wären daher universell und einfach anwendbare prophylaktische Maßnahmen mit nur geringen unerwünschten Wirkungen.
Wirksamkeit nur in Post-hoc-Subgruppenanalyse nachweisbar
Primärer Wirksamkeitsendpunkt war ein Therapieversagen nach 8 Wochen. Dieses war definiert als Auftreten eines Erythema migrans an der Bisswunde mit oder ohne Serokonversion. Das unabhängige Datenüberwachungskomitee empfahl jedoch eine vorzeitige Beendigung der Studie wegen Unwirksamkeit der untersuchten Behandlung. In beiden Gruppen waren je 11 Fälle (2%) von Therapieversagen aufgetreten. Die Autoren sind der Meinung, dass der primäre Endpunkt deshalb nicht erreicht wurde, weil die Studie hauptsächlich durch den Einschluss einer asymptomatischen Serokonversion in diesen Endpunkt verkompliziert wurde.
Weil unter Azithromycin-Behandlung aber trotzdem weniger Erythema-migrans-Fälle aufgetreten waren, empfahl das Komitee eine Post-hoc-Analyse mit dem neu definierten primären Endpunkt Erythema migrans allein. In diese Analyse wurden 174 Patienten eingeschlossen, die von einer infizierten Zecke gestochen worden waren. Innerhalb von 30 Tagen entwickelten in der Placebo-Gruppe 7 Patienten (8%) ein Erythema migrans, in der Azithromycin-Gruppe kein Patient, was einer absoluten Risikoreduktion von 8 Prozentpunkten entspricht. In der Azithromycin-Gruppe trat bei einem Patienten an Tag 33 und bei einem weiteren Patienten an Tag 51 ein Erythema migrans auf. Diese Ergebnisse sind jedoch nicht beweisend, sondern nur hypothesenbildend. Sie müssen deshalb in ausreichend großen Studien bestätigt werden.
Limitationen der Studie lassen Frage der Wirksamkeit offen
Prof. Dr. Eugene D. Shapiro, Abteilung für Kinderheilkunde und Abteilung für Epidemiologie, Yale-Universität, New Haven, und Prof. Dr. Gary P. Wormser, Abteilung für Infektionskrankheiten, New York Medical College, Valhalla, USA, betonen im begleitenden Editorial ebenfalls, dass die Studie ihren primären Endpunkt nicht erreicht habe. „Wir sind unsicher, ob man aus der Studie von Schwarmeis und Kollegen Schlussfolgerungen ziehen kann. Die Risiken von Post-hoc-Subanalysen klinischer Studiendaten sind gut bekannt.“
Sie weisen zudem auf die Schwierigkeiten in der Durchführung einer solchen Studie hin. So spiele die Zeit bis zur Entfernung der Zecke durch den Gestochenen eine erhebliche Rolle für das Infektionsrisiko. Werden die Zecken rasch entfernt, ist das Risiko sehr gering. Das bedeutet, dass für eine solche Studie sehr viele Patienten benötigt werden. Bei hohen Patientenzahlen ist es jedoch wiederum schwierig, die Auswertungen zu standardisieren. So differiere z.B. die Klassifikation der Hautläsionen je nach Auswerter. Moderne mobile Technik und Digitalfotografie könnten hierbei möglicherweise hilfreich sein.
REFERENZEN:
1. Schwarmeis M, et al: Lancet Infect Dis (online) 19. Dezember 2016
2. Shapiro E, et al: Lancet Infect Dis (online) 19. Dezember 2016
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Diesen Artikel so zitieren: Nach Abbruch großer Phase-3-Studie: Verhindert Azithromycin-Gel nach Zeckenstich nun eine Lyme-Borreliose oder nicht? - Medscape - 5. Jan 2017.
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