Lässt sich die Antibiose bei Kleinkindern mit Otitis media verkürzen? Dies haben Dr. A lejandro Hoberman vom Children’s Hospital in Pittsburgh, USA, und seine Kollegen untersucht. Das im New England Journal of Medicine publizierte Ergebnis: Unter der von 10 auf 5 Tage verkürzten Antibiotika-Gabe waren die klinischen Ergebnisse schlechter [1]. Und die kürzere Antibiose führte weder zu weniger Nebenwirkungen, noch verursachte sie weniger Resistenzen.
„Die Studie von Hoberman ist wirklich interessant und die Ergebnisse muss man ernst nehmen. Sie bestätigen: Man tut den erkrankten Kindern nichts Gutes, wenn man die Antibiotika-Therapie zu früh abbricht. Ist ein Antibiotikum notwendig, dann sollte es auch über zehn Tage gegeben werden. Zumal die Nebenwirkungsraten sich ja nicht unterscheiden – es gibt also keinen Grund, die Antibiose zu verkürzen“, sagt Dr. Hermann Josef Kahl, Kinderkardiologe in Düsseldorf und Sprecher des Berufsverbandes der Kinder-und Jugendärzte (BVKJ).
Klinisches Versagen bei verkürzter Therapie doppelt so häufig
Hoberman und sein Team hatten 520 Kinder im Alter von 6 bis 23 Monaten mit akuter Otitis media auf Amoxicillin-Clavulansäure für eine Standarddauer von 10 Tagen oder auf die reduzierte Dauer von 5 Tagen mit anschließendem Placebo über 5 Tage randomisiert. Die Evaluationsdauer ging in beiden Gruppen über 10 Tage. Gemessen wurden die Ansprechraten auf Basis von Symptomen, das Wiederaufflammen der Erkrankung und die nasopharyngeale Kolonisation. Die Nicht-Unterlegenheit der kürzeren Antibiose prüften die Forscher über Symptom-Scores, die von 0 bis 14 reichten. Dabei entsprachen höhere Werte schwereren Symptomen.
Als klinisches Versagen definierten Hobermann und seine Kollegen Symptomverschlechterungen (z.B. anhaltendes oder höheres Fieber als zu Behandlungsbeginn), ein vorgewölbtes Trommelfell und eine nur unvollständige Symptomverbesserung. Wiesen die Kinder nach 10 Tagen noch Symptome auf, die mit der Otitis media in Verbindung gebracht wurden, galt dies ebenfalls als klinisches Versagen.
Ein klinisches Versagen war bei Kindern, die nur 5 Tage lang mit Antibiotika behandelt worden waren, mehr als doppelt so häufig (77 von 229 Kindern, 34%) als bei denjenigen, die das Mittel 10 Tage erhalten hatten (39 von 238 Kindern, 16%).
Der durchschnittliche Symptom-Score nach 6 bis 14 Tagen betrug in der Gruppe mit der 5-Tages Antibiose 1,61 und in der Gruppe mit der 10-Tages-Dosis 1,34 (p = 0,07), nach 12 bis 14 Tagen bei 1,89 versus 1,20 (p = 0,001). Die Gruppe mit der verkürzten Antibiose schnitt auch bei der Symptomverbesserung schlechter ab: In der 5-Tages-Gruppe lag die Zahl der Patienten deren Symptome sich von Studienbeginn bis Behandlungsende um 50% gebessert hatten bei 181 von 227 Kindern (80%), in der 10-Tages-Gruppe dagegen bei 91%, 211 von 233 Kindern (p = 0,003).
„Wir fanden keine signifikanten Differenzen zwischen den Gruppen bei den Raten des Wiederauftretens, Nebenwirkungen oder der nasopharyngealen Kolonisation mit Penicillin-resistenten pathogenen Keimen“, schreibt Hoberman.
Einen Einfluss auf das klinische Versagen hatten die Schwere der Erkrankung und der Kontakt der Erkrankten zu anderen Kindern. Bei den Kindern, die pro Woche für 10 Stunden oder mehr Kontakt mit 3 oder mehr Kindern hatten, war klinisches Versagen signifikant häufiger als unter den Kindern, die weniger Kontakt mit Gleichaltrigen hatten (p = 0,02). Waren beide Ohren erkrankt lagen die Raten klinischen Versagens ebenfalls höher, als wenn nur ein Ohr infiziert war (p = 0,001).
Antibiotikagabe individuell entscheiden
Dr. Margaret A. Kenna vom Children’s Hospital in Boston, erinnert im begleitenden Editorial daran, dass die Studie eine ganz spezielle Gruppe untersuchte: Kinder im Alter von 6 Monaten bis zu 23 Monaten mit schwerer akuter Otitis media [2]. Deshalb, so Kenna, ließen sich die Studienergebnisse nicht auf ältere Kinder übertragen und auch nicht auf Kinder mit weniger schwerer akuter Mittelohrentzündung oder Kinder mit nur leichter Otitis media in einem Ohr oder Kinder mit zusätzlichen Risikofaktoren wie Gaumenspalte oder Trisomie 21.
„Vorerst ist die Gabe von Amoxicillin-Clavulansäure über zehn Tage für Kinder, die jünger als zwei Jahre sind und die eine definitive Diagnose von schwerer akuter Otitis media aufweisen, eine vernünftige Option“, schließt Kenna.
Die Resistenzentwicklung ist aus Sicht von Kahl kein großes Problem: „Und wir wollen natürlich vermeiden, dass sie überhaupt zum Problem wird“, so Kahl. Die wichtigste Entscheidung bei Otitis media sei deshalb, genau zu prüfen ob ein Antibiotikum wirklich notwendig sei oder nicht. Inzwischen werden – auch bei uns – in dieser Indikation deutlich seltener Antibiotika verordnet.
In der von Hoberman untersuchten Altersgruppe galt ein Antibiotikum dann als indiziert, wenn das Kind u.a. hohes Fieber hat und das Trommelfell gerötet war, so Kahl. Bei der Prävention von Mittelohrerkrankungen sieht er auch einen Einfluss der Pneumokokken-Impfung: Nach seiner Einschätzung sind infolge der Impfung die Otitis-media-Erkrankungen zurückgegangen.
REFERENZEN:
1. Hoberman A, et al: NEJM 2016;375:2446-2456
2. Kenna MA: NEJM 2016;375:2492-2493
Otitis media: Lassen Antibiotika einen Erguss doch schneller abheilen?
Politzer-Verfahren bei Otitis media unterschätzt? Nasenballon nimmt Kindern den Schmerz
Lokal schlägt oral: Antibiotikatropfen bei Paukenröhrchen und Otorrhoe erstaunlich effektiv
Rationale Antibiose in der Pädiatrie: „Manche Eltern lieben Antibiotika einfach zu sehr“
Medscape Nachrichten © 2017 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: Kleinkind mit akuter Mittelohrentzündung: 5 statt 10 Tage Antibiotikum bringt keine Vor- sondern eher Nachteile - Medscape - 5. Jan 2017.
Kommentar