Hoffnung für Männer mit kastrationsresistentem Prostatakarzinom: Nuklearmedizinische Therapie mit PSMA-Ligand für austherapierte Patienten

Ute Eppinger

Interessenkonflikte

4. Januar 2017

Beim kastrationsresistenten Prostatakarzinom (CRPC) verlängern neben der Chemotherapie mit Docetaxel die Wirkstoffe Abirateron, Enzalutamid, Cabazitaxel, Sipuleucel T und Radium223 das Überleben. Die Liste der therapeutischen Möglichkeiten wird neuerdings durch einen weiteren Ansatz erweitert: Ein Gallium-68-PSMA-Ligand kann zum einen (als Tracer) einem Patienten injiziert werden und bindet an ein prostataspezifisches Membranantigen (PSMA), um metastasierte Krebszellen über PET/CT (Positronen-Emissionstomographie kombiniert mit Computertomographie) sichtbar zu machen. Zum anderen eignet sich der Ligand aber auch zur Therapie. Wird er mit LU-177 anstelle von Gallium-68 kombiniert, werden die Krebszellen durch die emittierte Beta-Strahlung zerstört.

Prof. Dr. Markus Luster

Von „vielversprechenden Wegen“ berichtet die European Association of Nuclear Medicine (EANM) in einer Pressemitteilung. „Das ist ein Hoffnungsstrahl für Patienten, die an dieser besonders schweren Form des Prostatakrebses leiden“, sagt auch Prof. Dr. Markus Luster, Direktor der Klinik für Nuklearmedizin der Philipps-Universität Marburg und EANM-Experte.

Als individuelles Therapieverfahren fände die Radionuklid-Therapie Lu-177-PSMA derzeit beim metastasierenden Prostatakarzinom Anwendung, bestätigt Prof. Dr. Thomas Steuber. „Prospektive Daten aus vergleichenden Studien liegen derzeit jedoch nicht vor, so dass eine breite Anwendung derzeit nicht gerechtfertigt erscheint“, stellt der Leitende Arzt des Prostatakrebszentrums, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, im Gespräch mit Medscape klar.

PSMA-Liganden etablieren sich in der Diagnostik

Prostatakrebs ist der am zweithäufigsten diagnostizierte Krebs bei Männern. Pro Jahr sterben in Europa 90.000 Männer daran. Bis zu 50% der Patienten, deren Prostata operativ entfernt wurde oder die sich einer Strahlentherapie unterzogen haben, erleiden ein Rezidiv, das dann mittels Androgendeprivation (ADT) behandelt wird. Kommt es zur Resistenzentwicklung gegen die ADT, spricht man vom CRPC, das auf die Lymphknoten übergreift oder Knochenmetastasen entwickelt.

Der Gallium-68-PSMA-Ligand spürt dieses Tumorgewebe auf: „Die Substanz ist hochempfindlich und zeigt Lymphknotenkarzinome wie auch Metastasen in anderen Körperregionen zuverlässig an“, so Luster.

 
Das ist ein Hoffnungsstrahl für Patienten, die an dieser besonders schweren Form des Prostatakrebses leiden. Prof. Dr. Markus Luster
 

„In der reinen Diagnostik ist das Galium-68-PSMA-PET/CT derzeit auf dem Weg sich zu etablieren. Durch eine höhere Empfindlichkeit gegenüber der klassischen Bildgebung mittels CT und Knochen-Szintigramm können Metastasen in Knochen und Weichteilen bei Prostatakrebspatienten häufig früher erkannt werden“, erklärt Steuber. Allerdings ist das Verfahren nicht flächendeckend verfügbar und auch die Erstattung der Kosten von über 1.000 Euro ist unterschiedlich geregelt.

Was können PSMA-Liganden in der Therapie leisten?

Ursprünglich wurde das PSMA-Konzept aus Diagnostik und Therapie vor fast 10 Jahren in den USA entwickelt und in Europa erstmalig in Heidelberg erfolgreich etabliert. Seit etwa 2 Jahren wird es in der Marburger Nuklearmedizin eingesetzt. „Deutschlandweit wurden bislang einige hundert Patienten damit behandelt, weltweit dürften es einige tausend sein“, sagt Luster. Während die Methode am Klinikum Gießen diagnostisch eingesetzt wird, wird in Marburg zudem mit Lu-177-PSMA therapiert. „In Marburg bewegen wir uns jetzt auf die hundertste Anwendung zu“, sagt Luster.

„Das Problem beim Einsatz der Lu-177-PSMA-Therapie ist, dass die radiochemische Aufbereitung derzeit nicht standardisiert ist“, erklärt Steuber. Wie Luster berichtet, haben sich 12 deutsche nuklearmedizinische Kliniken zu einem Konsortium zusammengeschlossen und ein einheitliches Vorgehen bei der PSMA-Methode festgelegt.

Kürzlich ist eine retrospektive Auswertung dazu im Journal of Nuclear Medicine erschienen. Ausgewertet wurden dabei die Daten von 145 Patienten mit metastasiertem CRPC, die mit 248 Therapiezyklen Lu-177-PSMA-617 behandelt worden waren. Die retrospektive Studie belege die Sicherheit und hohe Effektivität dieser Therapie bei Patienten mit metastasiertem kastrationsresistenten PCa, so Luster. Zu welchem Zeitpunkt im Verlauf der Erkrankung sie zu empfehlen sei, werde sich herausstellen. Aktuell wird sie eher in weiter fortgeschrittenen Stadien der Erkrankung eingesetzt (z.B. Dritt- oder Viertlinien-Therapie).

 
Prospektive Daten aus vergleichenden Studien liegen derzeit jedoch nicht vor, so dass eine breite Anwendung derzeit nicht gerechtfertigt erscheint. Prof. Dr. Thomas Steuber
 

„Mehrere Tests haben gezeigt, dass eine Lu-177-PSMA-Therapie die Tumormasse reduzieren und die Schmerzen mildern kann. Patienten, für die es keine anderen Behandlungsmöglichkeiten mehr gibt und deren Krebszellen nachgewiesenermaßen PSMA-Liganden aufnehmen, werden sehr wahrscheinlich vom diagnostischen und therapeutischen Potential der PSMA-Bildgebung und -Therapie profitieren“, sagt Luster.

Zwar kommt das Verfahren für Patienten mit kastrationsresistentem PCa infrage, „es gibt jedoch auch Patienten, denen es zu schlecht geht, als dass wir sie noch sinnvoll behandeln könnten“, betont er und fügt hinzu: „Wir prüfen individuell sehr genau, wie hoch die Tumorlast ist und ob der Patient wirklich profitieren kann.“ Infrage kommende Patienten müssen auch ein weitgehend intaktes Knochenmark aufweisen. „Sind die Werte in der Knochenmarksanalyse zu schlecht, ist die Methode nicht durchführbar“, erläutert Luster.

Die Therapie sieht dann so aus: Ein Patient wird 2 Mal behandelt (in der Regel 6 GBq pro Zyklus im Abstand von 8 Wochen). Dann wird der Gesamtzustand bzw. das Ansprechen erneut evaluiert. Standard sind 3 Behandlungen. Während der Behandlung bleiben die Patienten 2 Tage stationär.

„Zu den Nebenwirkungen zählen in erster Linie Veränderungen des Blutbildes. Die Therapie wirkt sich auch auf die Speicheldrüsen aus und kann zu Mundtrockenheit führen. Wie häufig es dazu kommt, ist noch nicht abschließend geklärt“, berichtet Luster.

Nicht bei allen Patienten schlägt die Therapie an und nicht alle Krebszellen nehmen PSMA-Liganden in ausreichendem Maße auf. „Die Ansprechrate in unserer retrospektiven Studie lag bei knapp 50 Prozent. Bei diesen Patienten kam es zu einem PSA-Abfall von rund 50 Prozent.“ Grundsätzlich gilt: Je fortgeschrittener das Prostatakarzinom ist, desto mehr PSMA wird exprimiert und umso mehr PSMA-Liganden werden aufgenommen.

Wie schon bei der Diagnostik ist auch die Kostenübernahme für die nuklearmedizinische Therapie durch die Kassen unterschiedlich. An der Marburger Uniklinik würden die Kosten übernommen. „Das ist aber nicht überall der Fall“, so Luster.

Individuelles Therapiekonzept, wenn alle anderen Optionen ausgeschöpft sind

Wie lange die Methode das Leben tatsächlich verlängern kann, ist „derzeit schwer zu sagen“, räumt er ein. „Die tatsächliche Überlebenszeit zu untersuchen – das wird ein Schwerpunkt unserer Studie sein, denn systematische Untersuchungen dazu gibt es bislang noch nicht.“ Geplant sind dazu jetzt Phase-2- bzw. Phase-3-Studien.

 
Mehrere Tests haben gezeigt, dass eine Lu-177-PSMA-Therapie die Tumormasse reduzieren und die Schmerzen mildern kann. Prof. Dr. Markus Luster
 

Die Studienlage sei unbefriedigend, das bestätigt auch Steuber: „Daten zur Effektivität, zur Überlebenszeit, Tests gegen Placebo oder geltende Standardtherapien, wie sie bei der Etablierung von medikamentösen Verfahren zu fordern sind, gibt es bislang nicht. Die berichteten Behandlungserfolge basieren derzeit überwiegend auf der Senkung des PSA-Wertes, doch das ist nicht wirklich verlässlich, harte Endpunkte fehlen“, räumt der Urologe und Krebsspezialist ein.

Es gibt zwar bereits eine Vielzahl von Studien zum Therapieansatz des Lu-177-PSMA, Deren Evidenz ist aber gering: „Das sind Phase-1- und Phase-2-Studien zur Dosisfindung, zur Toxizität und zur Sicherheit mit mittelfristiger Verlaufsbeurteilung des Therapieerfolges.“

Damit bleibt die Methode ein individuelles Therapiekonzept, wenn alle anderen Optionen ausgeschöpft sind, und sollte nicht anstelle von derzeit geltenden Standardmedikamenten eingesetzt werden. „Den kleineren Therapieserien ist zu entnehmen, dass die Lu-177-PSMA-Therapie durchaus effektiv sein kann. Bis zur Verfügbarkeit von belastbaren Phase-3-Studien sollte sie jedoch nur bei austherapierten Patienten in Einzelfällen erwogen werden“, resümiert Steuber.

 

REFERENZEN:

1. European Association of Nuclear Medicine: Pressemitteilung, 13. Dezember 2016

 

Kommentar

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