Gefährliche Kost für Kleinkinder: Erstickungs-Gefahr durch Weintrauben, Cherry-Tomaten und Erdnüsse oft unterschätzt

Ute Eppinger

Interessenkonflikte

3. Januar 2017

An Weintrauben denkt man wohl nicht als Erstes, wenn es um die Erstickungsgefahr durch verschluckte Lebensmittel geht. Dass aber gerade Kleinkinder durch das Essen von vermeintlich harmlosen Trauben und Cherry-Tomaten in tödliche Gefahr geraten können, davor warnen jetzt 2 Notfallmediziner in einem Beitrag in den Archives of Disease in Childhood [1].

Dr. Jamie G. Cooper und Dr. Amy J. Lumsden vom Emergency Department des Aberdeen Royal Infirmary in Aberdeen/Schottland beschreiben 3 Fälle von kleinen Kindern, die in die Notfallambulanz eingewiesen wurden, nachdem sie ganze Trauben gegessen hatten. Für 2 der Kinder kam jede Hilfe zu spät.

PD Dr. Frank Jochum

„Weintrauben sind eine eher seltene Ursache im Zusammenhang mit Unfällen durch Ersticken“, berichtet PD Dr. Frank Jochum, Chefarzt der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin im Ev. Waldkrankenhaus und der Neugeborenenmedizin am Martin-Luther-Krankenhaus in Berlin. Er fügt hinzu: „In unserer Klinik hatten wir noch keinen Fall eines Kleinkindes, das sich an einer Weintraube verschluckt hatte.“

Im Gegensatz zu Weintrauben sind verschluckte Erdnüsse nicht selten: „Mit verschluckten Erdnüssen hatten wir es schon häufiger zu tun. Das Problem bei Erdnüssen ist ja noch zusätzlich, dass sie – wenn sie in die Lunge geraten – eine Entzündung auslösen können. Der Bronchialbaum schwillt nach dem Verschlucken schnell an, und die Erdnuss kann dann nur schwer entfernt werden.“

Jochum berichtet von einem Fall, in dem ein gerade mal ein Jahr altes Mädchen Erdnüsse verschluckt hatte. „Das ältere Geschwisterkind kam zu seiner Mutter gelaufen und hat ihr ganz stolz erzählt, was die kleine Schwester schon kann – nämlich auch schon Erdnüsse essen – es hatte sie seiner Schwester in guter Absicht in den Mund gesteckt.“

Mehr Aufmerksamkeit für vermeintlich harmlose Lebensmittel

Doch gerade weil Weintrauben im Zusammenhang mit Ersticken eher selten die Ursache sind und deshalb auch seltener als potenzielle Gefahrenquelle eingestuft werden, hält Jochum die Arbeit von Cooper für wichtig: „Es ist deshalb sinnvoll und notwendig, auf die Gefahren, die vermeintlich harmlose Lebensmittel wie Weintrauben und Cherry-Tomaten für kleine Kinder haben können, hinzuweisen“, so Jochum.

Im 1. bis 3. Lebensjahr ist das Risiko, dass ein Säugling oder Kleinkind etwas verschluckt, am größten: „In den ersten beiden Lebensjahren stecken sich Kinder alles Mögliche in den Mund“, erklärt Jochum. Sind sie dann etwas älter, sinke die Gefahr kontinuierlich ab. „Anzumerken ist auch, dass neben Nahrung auch kleinteilige Spielzeuge eine Aspirationsgefahr bei Säuglingen und Kleinkindern darstellen.“

 
Weintrauben sind eine eher seltene Ursache im Zusammenhang mit Unfällen durch Ersticken. PD Dr. Frank Jochum
 

In der Altersgruppe jünger als ein Jahr ist Tod durch Ersticken mit weitem Abstand die häufigste Todesursache. Bei Kindern unter einem Jahr lag die Zahl der tödlichen Unfälle durch Ersticken in 2014 bei 13, in der Altersgruppe ein Jahr bis 5 Jahre traten 9 Todesfälle auf, im Alter von 5 bis 15 Jahren lag die Zahl bei 8 Todesfällen.

USA: 3 tragische Erstickungsfälle

Nahrungsmittel machen über die Hälfte der Erstickungstodesfälle bei Kindern unter 5 Jahren aus, erinnern Cooper und Lumsden: „Nach Hotdogs und Süßigkeiten sind Weintrauben die häufigste Ursache für Ersticken. Dieses Risiko wird in der Öffentlichkeit viel zu wenig wahrgenommen.“

Die Autoren berichten von einem 5 Jahre alten Jungen, der in einem Kinderhort ganze Trauben aß und daran erstickte. Sofortige Versuche, die Traube zu entfernen, waren nicht erfolgreich, das Kind erlitt einen Herzstillstand. Von Rettungssanitätern konnte die Traube zwar später von mittels Spezialwerkzeug entfernt werden, doch das Kind starb.

Im 2. Fall aß ein 17 Monate alter Junge Sandwiches und Früchte mit seiner Familie zuhause und erstickte an einer Traube. Versuche, die Traube zu entfernen, blieben erfolglos, und der Notdienst wurde gerufen. Schließlich konnte die Traube von einem Rettungssanitäter entfernt werden, doch das Kind starb trotzdem.

Im 3. Fall naschte ein 2-jähriges Kind Trauben im Park und drohte daran zu ersticken. Die Entfernung der Traube gelang nicht, und der Notarzt wurde gerufen. Innerhalb einer Minute waren die Rettungssanitäter vor Ort und konnten die Luftröhre erfolgreich frei machen. Dennoch erlitt das Kind mehrere Krämpfe, bevor es die Klinik erreichte; eine Hirnschwellung trat auf, in der Lunge sammelte sich Wasser. Das Kind verbrachte 5 Tage auf der Intensivstation, bevor es sich vollständig erholt hatte.

Trauben und kleine Tomaten können die Luftwege regelrecht abdichten

„Die Luftwege von Kleinkindern sind klein, außerdem haben die Kinder noch nicht alle Zähne, um richtig zu kauen. Ihr Schluckreflex ist unterentwickelt, und sie sind leicht abzulenken – all das erhöht das Risiko zu ersticken“, fasst Cooper zusammen.

 
Es ist deshalb sinnvoll und notwendig, auf die Gefahren, die vermeintlich harmlose Lebensmittel wie Weintrauben und Cherry-Tomaten für kleine Kinder haben können, hinzuweisen. PD Dr. Frank Jochum
 

Bei Trauben und kleinen Tomaten kommt noch ein weiterer Aspekt hinzu: Im Gegensatz zu kleinen harten Objekten wie Nüssen könne die weiche Oberfläche einer Traube die Luftwege regelrecht abdichten, was die Entfernung schwierig mache.

„Kleine Kinder sollte man im Auge behalten, wenn sie kleine feste Objekte essen. Nüsse müssen umgehend aus dem Mund von Kleinkindern entfernt werden“, empfehlen die Autoren. „Das Wissen, dass auch Weintrauben eine Gefahr für Kleinkinder darstellen können, ist jedoch nicht gerade verbreitet“, warnen sie.

Während es jede Menge Warnungen zu den Verpackungen kleiner Geschenke und zu kleinen Spielzeugen wegen des potenziellen Erstickungsrisikos gibt, finden sich solche Warnungen für Nahrungsmittel wie Trauben und Cherry-Tomaten nicht, betonen Cooper und Lumsden.

Trauben sollten zerkleinert werden

Kleinkinder schlingen häufig allzu große Bissen hinunter, weshalb die Studienautoren raten, Weintrauben und Cherry-Tomaten zu halbieren oder noch besser zu vierteln. Die Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ), das Bundesinstitut für Risikobewertung (BFR) als auch die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BzgA) warnen immer wieder vor der Aspirationsgefahr im Säuglings- und Kleinkindesalter.

Explizit weist der Internetauftitt des BVKJ auf die Gefahr durch Weintrauben hin. Dort heißt es: „Kindern unter 2 Jahren keine rohen Apfel- und Karottenstücke zum Beißen geben, sondern das Obst mit der Reibe klein raspeln. Auch Weintrauben können gefährlich werden!“ Selbst verschluckte Hülsenfrüchte können gefährlich werden, da sie im Körper aufquellen und starke Beschwerden verursachen können.

 

REFERENZEN:

1. Lumsden AJ, et al: Arch Dis Child (online) 20. Dezember 2016

 

Kommentar

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