Bis heute gilt: Einmal Herpes, immer Herpes. Der Leidensdruck der mit Genitalherpes Infizierten ist oft groß. Neue Therapien, die die Krankheitsdauer verkürzen sowie die Zahl der Rezidive und das Übertragungsrisiko senken, werden deswegen dringend gesucht. Der Helikase-Primase-Inhibitor Pritelivir könnte eine solche Therapie sein.
Wissenschaftler konnten in einer Studie nachweisen, dass Pritelivir die Zeit, in der Herpesviren ausgeschieden werden, und die Anzahl der Rezidive im Vergleich zur Standardtherapie mit Aciclovir etwa halbiert. Dies berichten Dr. Anna Wald von der University of Washington in Seattle, USA, und ihre Mitarbeiter im Journal of the American Medical Association [1].
„Vielversprechend“ nennt das Prof. Dr. Helmut Schöfer, Dermatologe am Universitätsklinikum in Frankfurt am Main. Aber: „Was mir Bauchschmerzen bereitet, ist die Frage nach der Langzeitverträglichkeit.“
Auch der Gynäkologe und Infektiologe Prof. Dr. Dr. Ioannis Mylonas von der Ludwig-Maximilians-Universität München begrüßt jede medikamentöse Neuentwicklung gegen Herpes genitalis, nicht zuletzt angesichts einer Versagerquote gängiger Mittel von schätzungsweise 5 bis 10%. Allerdings müsse eine Suppressionstherapie bei rezidivierendem Herpes genitalis nicht nur effektiv, sondern auch gut verträglich und kostengünstig sein – die Tagestherapiekosten mit dem derzeitigen Goldstandard Aciclovir liegen unter 1 Euro.

Prof. Dr. Helmut Schöfer
Weltweit sind Herpes-simplex-Infektionen die häufigste Ursache genitaler Ulzerationen infektiöser Genese. Ist die Virus-DNA in den menschlichen Körper gelangt, lässt sie sich nicht mehr entfernen. Medikamente wie Nukleosidanaloga lindern Symptome, verkürzen die Krankheitsdauer und reduzieren die Ansteckungsgefahr. Doch die weite Verbreitung und die Zunahme von Genitalherpes macht es notwendig, die Therapie- und Präventionsoptionen zu erweitern. Denn der Leidensdruck der an regelmäßigen schmerzhaften Ausbrüchen leidenden Patienten ist hoch. Und nicht allen kann mit den bisherigen Standardmedikamenten ausreichend geholfen werden.
Start der Virusreplikation wird gehemmt
Interessant an der neuen und sich noch in klinischer Entwicklung befindlichen Substanz Pritelivir ist, dass sie früh in die Replikation der DNA-Viren eingreift. Während die etablierten Nukleosidanaloga Aciclovir, Valaciclovir oder Famciclovir durch Einbau falscher Bausteine und Hemmung der Polymerase die DNA-Neusynthese blockieren, hemmt Pritelivir den viralen Helikase-Primase-Enzymkomplex. Dieser ist zuständig für die Trennung der DNA-Doppelstränge zu Beginn der Replikation.
Zudem muss Aciclovir zunächst durch die virale Thymidinkinase phosphoryliert werden. Dadurch wirkt es ausschließlich in bereits Virus-befallenen Zellen. Das limitiere die Aciclovir-Wirksamkeit, erklären Wald und ihre Kollegen, weil die Virusreplikation bereits im Gange sein muss, damit es überhaupt seine Effektivität entfalten könne. Pritelivir dagegen muss nicht erst durch die Thymidinkinase aktiviert werden und soll daher auch nicht-infizierte Zellen schützen.
In der Phase-2-Studie sollten Erwachsene, die pro Jahr 4 bis 9 Genitalherpes-Ausbrüche hatten, randomisiert und doppelblind sowie im Crossover-Design entweder die in den USA gängige Standardmedikation zur Suppressionstherapie mit täglich 500 mg Valaciclovir erhalten oder 100 mg Pritelivir einnehmen (nach einer Loading dose von 400 mg an Tag 1). Die ersten 28 Tage der Studie nahmen die Patienten Valaciclovir ein, gefolgt von einer einmonatigen Washout-Phase, und danach Pritelivir für weitere 28 Tage – oder in umgekehrter Reihenfolge.
Jeder Teilnehmer war damit seine eigene Kontrolle – ein Vorteil gegenüber einer Parallelgruppenstudie angesichts der hohen interindividuellen Variabilität der Herpesviren-Ausscheidung im Jahresverlauf, erläutern Wald und ihre Kollegen. Die Teilnehmer sollten über den gesamten Studienzeitraum 4 Mal täglich mit Tupfern Genitalabstriche vornehmen. Diese wurden dann per PCR (Polymerasekettenreaktion) auf Herpesviren (HSV-2) untersucht.
Allerdings verfügte die US-Zulassungsbehörde FDA im Jahre 2013 einen Entwicklungsstopp der Substanz, weil bei Affen, die bis zu 1.000 mg/kg Körpergewicht der Substanz erhalten hatten, toxikologisch bedenkliche Effekte aufgetreten waren. Inzwischen hat die FDA laut Auskunft des Unternehmens AiCuris den „full clinical hold“ in einen „partial clinical hold“ geändert, wodurch die weitere Entwicklung des Wirkstoffs in „definierten Patientengruppen“ wieder erlaubt sei.
Halb so viele Läsionen wie unter Standardtherapie
Aufgrund der FDA-Intervention konnten von den 91 randomisierten Teilnehmern nur 56 Patienten beide Studienphasen abschließen. Mehr als 14.700 Genitalabstriche hatten die Autoren ausgewertet. Demnach waren unter Valaciclovir 5,3% der Abstriche positiv für HSV-2, unter Pritelivir-Behandlung waren es 2,4% der Abstriche. Dies entspricht mehr als einer Halbierung der Ausscheidungsrate und ist statistisch signifikant.
Genitale Läsionen waren unter Valaciclovir-Behandlung an 3,9% der Tage festgestellt worden und an 1,9% der Tage unter Pritelivir-Behandlung, also ebenfalls nur halb so viele. War es zu einem Rezidiv gekommen, unterschied sich die Dauer dieses Rezidivs zwischen den Gruppen nicht.
Die Sicherheit der beiden Therapien war bei allen 91 randomisierten Teilnehmern analysiert worden. Die unerwünschten Wirkungen unterschieden sich im Wesentlichen nicht zwischen den Gruppen. So hatten 13% der Patienten in der Verumgruppe und knapp 17% in der Vergleichsgruppe Kopfschmerzen, neurologische Störungen traten bei jeweils etwa 18% der Teilnehmer auf, Nebenwirkungen an der Haut oder Subkutis bei jeweils etwa jedem 10. Teilnehmer.
Toxische Wirkungen, wie sie bei den oben erwähnten Versuchen an Affen aufgetreten waren – wie etwa Anämie, seien nicht beobachtet worden, so Wald und ihre Kollegen. Allerdings kam es unter Pritelivir zu leichten Anstiegen der Kreatinin-Werte, was in der Washout-Phase nicht vollständig zurückging: So waren die Kreatinin-Werte 4 Wochen nach Absetzen von Pritelivir im Durchschnitt immer noch 0,02 mg/dl höher als unter Valaciclovir. Ein Patient entwickelte unter der neuen Substanz eine Urtikaria und musste die Behandlung beenden. Insgesamt unterschied sich die Abbruchrate aber nicht zwischen den Gruppen (jeweils 1,3%).
Daten zur Langzeiteffektivität und -sicherheit stehen aus
„Wir haben uns immer gefragt, warum Menschen HSV übertragen, die gar keinen Ausbruch hatten“, sagt Schöfer. Im Durchschnitt werde an 2 bis 3% der Tage eines Jahres HSV an der Schleimhautoberfläche gefunden, ohne dass die typischen Bläschen vorhanden sind. „Das hat man in der Studie mit 4 Abstrichen pro Tag nachvollzogen.“ Ziel ist es, über die Reduktion der Virenausscheidung die Rezidive zu reduzieren. Um dies nachzuweisen, so der Frankfurter Dermatologe mit Blick auf die geringe Teilnehmerzahl und die kurze Studiendauer, sei diese Studie jedoch nicht ausreichend.
Mylonas verweist zudem auf die Bedeutung der Eliminationshalbwertszeit (HWZ) der Substanzen. Das noch nicht zugelassene Pritelivir hat eine HWZ von 50 bis 80 Stunden, die von Aciclovir und Valaciclovir beträgt 3 Stunden. Aus diesem Grund sollte bei einer entsprechenden Indikation sowohl das Medikament als auch die Dosierung mit Bedacht gewählt werden, so Mylonas. Benötigt würden jetzt vor allem Daten, inwiefern sich die reduzierte Virusausscheidung tatsächlich in der Ausbruchsfrequenz pro Jahr niederschlage, sowie zur Langzeitsicherheit.
Ob die klinische Entwicklung des Helikase-Primase-Inhibitors zur Behandlung bei rezidivierendem Herpes genitalis fortgesetzt wird, dazu hat das Herstellerunternehmen auf Anfrage von Medscape keine konkreten Angaben gemacht. Seit Frühjahr 2016 läuft die Entwicklung zur topischen Behandlung mit Hilfe eines Pflasters bei rezidivierendem Lippenherpes.
Wünschenswert sind neue Substanzen nach Meinung der Experten allemal, denn bei allen derzeit verfügbaren Substanzen sind Resistenzentwicklungen zu beobachten. Und die Bemühungen, einen prophylaktischen oder therapeutischen Impfstoff gegen HSV herzustellen, waren bislang noch nicht erfolgreich.
REFERENZEN:
1. Wald A, et al: JAMA 2016;316:2495-2503
Medscape Nachrichten © 2016 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: Genitalherpes: Neuer Helikase-Hemmer senkt Anzahl der Rezidive, doch Langzeitwirkung noch unklar - Medscape - 29. Dez 2016.
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